Deniz Yücel über Literaturboykott

"Das Problem ist nicht Puschkin, sondern Putin"

05:11 Minuten
Der Journalist Deniz Yücel bei einer Lesung auf einer Bühne
PEN-Präsident Deniz Yücel befürwortet alle Maßnahmen Russland auf kultureller, wirtschaftlicher und sportlicher Ebene auszustoßen. © picture alliance / dpa / Gerald Matzka
Deniz Yücel im Gespräch mit Sigrid Brinkmann · 03.03.2022
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Der PEN-Vorsitzende Deniz Yücel hat Verständnis für die Forderung russische Bücher und Verlage zu boykottieren. Doch das Verbot treffe auch Autoren, die sich schon früh gegen Putins Regime positioniert hätten, kritisiert der Autor Wladimir Kaminer.
Die russische Aggression gegen die Ukraine führt dazu, dass auch auf kultureller Ebene Kooperationen mit Russland beendet werden: Auftritte von Künstlern wurden abgesagt, Ausstellungen verschoben, der Disney-Konzern zeigt keine Filme mehr in Russland und in Cannes will man die Delegation bei den Festspielen nicht empfangen.

Kunstschaffende gegen Krieg

Deniz Yücel, der Vorsitzende der deutschen PEN, findet, dass Maßnahmen in allen Bereichen, also auf wirtschaftlicher, sportlicher und kulturelle Ebene, angebracht sind. Er hat angesichts des russischen Einmarsches in die Ukraine Verständnis dafür, dass das ukrainische Buchinstitut und der ukrainische PEN forderten, weltweit russische Bücher und Verlage in der aktuellen Situation zu boykottieren.

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Bei der Frage nach der Angemessenheit der Forderung müsse man bedenken, dass dies „ein Appell von Angegriffen und von Opfern, der russischen Aggression“ sei.

Sprachmissbrauch für die Propaganda

Wichtig findet er auch die Erklärung russischer Autorinnen und Autoren – darunter auch die Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch –, die nicht nur den Angriffskrieg kritisieren, sondern auch den Missbrauch der russischen Sprache für Kriegspropaganda anprangeren.
Die russische Literatur habe großartige Werke der Weltliteratur hervorgebracht, die auch über Putin hinaus Bestand haben werden. „Auf den Punkt gebracht, glaube ich: Das Problem ist nicht Puschkin, das Problem heißt Putin.“

Boykott trifft die Falschen

Der in Moskau geborene deutsche Schriftsteller Wladimir Kaminer kritisiert dagegen die Vorschläge zum Boykott . Schon früh hätten namhafte russische Autoren gegen den „Bruderkrieg“ protestiert und mit einem Brief an die Regierung gefordert, dass der Krieg sofort aufhören solle . „Obwohl sie natürlich wussten, dass das mit Schwierigkeiten für sie verbunden ist.“
Der Sinn des Aufrufes des ukrainischen PEN sei doch, den Krieg so schnell wie möglich zu beenden, um einen Waffenstillstand zu erreichen. Dass ein Verbot von russischen Autoren zu einem Waffenstillstand beitragen könne, sehe er nicht, so Kaminer.
Der Schriftsteller Wladimir Kaminer bei einer Lesung auf der Bühne
Der in Moskau geborene Bestseller-Autor Wladimir Kaminer lebt in Berlin und wurde mit seinem Roman "Russendisko" bekannt.© imago/3S PHOTOGRAPHY
„Das Verbot ist wahrscheinlich auch als Racheakt gemeint, dass die Russen mit ihrer Invasion auch gegen Europa im Grunde genommen gar nicht einen kulturellen Anteil am europäischen Kulturmarkt haben dürfen.“ Doch dies sei der falsche Weg mit falschen Prioritäten. Zuerst müsse man alles tun, um den Krieg zu beenden. Und erst nach humanitären Hilfeleistungen könne man über „das kaputtgegangene Erscheinungsbild der Russen“ reden.

Ukrainer kämpfen auch für die Freiheit der Russen

Viele mutige Autoren würden aktuell ihre Stimme gegen das Regime erheben, um den Ukrainern helfen. Die Russen wüssten sehr wohl, dass die Ukraine heute nicht nur für ihre eigene Freiheit, sondern auch für die Russen kämpften.
Eine russische Niederlage im Krieg werde auch das Ende des totalitären russischen Regimes bedeuten, glaubt Kaminer.
„Man muss die russischen Schriftsteller gewinnen als Freunde, als Verbündete gewinnen und nicht alle in einen Topf schmeißen und wegwerfen.“

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