Ukrainischer Autor

"Wir sind von Deutschland sehr enttäuscht"

10:48 Minuten
Ein verwittertes Wandbild mit einem sowjetischen Soldaten.
Dass Moskau als Aggressor auftritt, sieht der ukrainische Autor Andrij Kurkow auch in der russischen Mentalität begründet: Der "sowjetische Geist" lebe in Russland weiter, sagt er. © imago-images / Zuma Wire / Bryan Smith
Andrij Kurkow im Gespräch mit Vladimir Balzer · 08.02.2022
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Der ukrainische Schriftsteller Andrij Kurkow fürchtet den baldigen Ausbruch eines Krieges in seinem Land. Er fordert mehr internationalen Druck auf Russland. Die Haltung Deutschlands in der Krise können die Ukrainer nicht verstehen, betont Kurkow.
Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock war an der ostukrainischen Frontlinie im Donbass, um sich ein Bild von der dortigen Situation zu machen. Man werde die Aggression von russischer Seite "nur am Verhandlungstisch" lösen können, sagte sie.
Dass Deutschland nicht bereit ist, Waffen für die Verteidigung der Ukraine bereitzustellen, wird in dem Land sehr kritisch gesehen. Viel Hilfe von deutscher Seite erwarte man nicht, sagt der ukrainische Schriftsteller Andrij Kurkow: "Die Menschen in der Ukraine sind von Deutschland sehr enttäuscht." Als wichtigste Partner würden momentan die USA, Litauen und Polen gesehen. Kurkow wünscht sich von der EU eine einheitliche Linie statt vieler Einzelstimmen.

Wirtschaftliche Interessen wichtiger als Menschenrechte

Aufgrund der Geschichte könne man die deutsche Zurückhaltung gegenüber Russland zwar nachvollziehen, betont er. In der Ukraine gebe es aber kein Verständnis für die deutsche Haltung in Bezug auf die Gas-Pipeline Nord Stream 2. "Da sind die ökonomischen Interessen wichtiger gewesen als Demokratie und Menschenrechte", sagt Kurkow.
Der Autor Andrij Kurkow blickt lächelnd in die Kamera.
Andrij Kurkow wünscht sich, dass die EU im Ukraine-Konflikt mit einer Stimme spricht.© imago-images / dpa-Zentralbild / Jens Kalaene
Die Lage in der Ukraine ändere sich gerade von Tag zu Tag. Vor kurzem noch habe er nicht an einen Krieg geglaubt. "Aber heute habe ich Angst, dass man mit einer großen Aggression von russischer Seite rechnen muss. Die Diplomatie ist fast am Ende." Jetzt müsse international mehr Druck auf Russland ausgeübt werden.

Kulturelle Grenze trotz sprachlicher Nähe

Kurkow sieht eine Mentalitätsgrenze zwischen Russland und der Ukraine. In Russland lebe der "sowjetische Geist" fort:

Es gibt eine Spaltung zwischen zwei Mentalitäten, der russischen, sowjetisch-kollektiven und der ukrainischen, individualistischen, vielleicht auch anarchischen Mentalität.

Dazu habe maßgeblich das russische Fernsehen durch Filme mit sehr starker Sowjet-Nostalgie beigetragen. Russland strebe an, die Sowjetunion neu aufzubauen:
"Freiheit ist für Russland nicht wichtig, die Stabilität ist wichtiger. Für Ukrainer ist Freiheit wichtiger als Stabilität, denn die Leute sind es gewöhnt, ohne Stabilität zu leben."
(rja)
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