Eva Menasse über PEN-Neugründung

"Wir fangen noch mal von vorne an"

08:16 Minuten
Journalistin und Autorin Eva Menasse. Eine Frau mit halblangen braunen Haaren sitzt auf einem Podium.
„Wir wollen jedenfalls anfangen, besser miteinander zu sprechen", sagt Eva Menasse, Autorin und eine der Gründerinnen von PEN Berlin. © imago images/Manfred Segerer
07.06.2022
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Er wolle nicht mehr Präsident dieser „Bratwurstbude“ sein – mit diesen Worten trat Deniz Yücel als Präsident des PEN-Zentrum Deutschland zurück. Mit der angekündigten Neugründung von PEN Berlin geht der Streit jetzt in die nächste Runde.
Der Eklat war perfekt. Auf der Jahrestagung des PEN-Zentrums in Gotha vor wenigen Wochen erklärte der Autor und Journalist Deniz Yücel seinen Rücktritt: Er wolle nicht mehr Präsident dieser „Bratwurstbude“ sein, begründete er. Begleitet wurde dieser Abgang mit lautem Gejohle und Klatschen seiner Gegnerinnen und Gegner im Saal.
Als Reaktion auf den internen Streit und in Abgrenzung zum PEN-Zentrum Deutschland haben nun mehr als 200 Autorinnen und Autoren bekannt gegeben, zum 10. Juni 2022 einen neuen PEN Berlin zu gründen.

Bei der Gründungsversammlung des neuen PEN Berlin wurde Eva Menasse mit 100 Prozent der abgegebenen Stimmen an die Spitze des Verbands gewählt, sie erhielt 143 von 143 möglichen Stimmen. Auf Deniz Yücel entfielen 136 Stimmen. Die Satzung wurde ohne Widerworte durchgewunken und Wikileaks-Gründe Julian Assange als Ehrenmitglied aufgenommen. Eine fast schon unheimliche Einigkeit .

Gewählt wurde auch ein neunköpfiges Board, das die beiden Sprecherinnen in ihrer Arbeit unterstützen wird, darunter sind Mithu M. Sanyal, Elke Schmitter, Ronya Othmann und der aus Rumänien stammende Lyriker Alexandru Bulucz. Dieses Board, so der Autor Alban Nikolai Herbst, sei eine der wichtigen Neuerungen im PEN Berlin. So könnten sich interessierte Mitglieder einfacher in die Vereinsarbeit einbringen .  

Auf ihrer Webseite erklären die Schriftstellerinnen und Schriftsteller, darunter Antje Rávik Strubel, Thea Dorn und Daniel Kehlmann, einen „zeitgemäßen und diversen PEN“ zu wollen – „von und für Kolleg:innen, die sich für Meinungsfreiheit und offenen Diskurs einsetzen“. 
Mitgliederversammlung des PEN-Zentrums Deutschland. Zwei Männer auf einem Podium.
Denkwürdige Veranstaltung: Journalist Deniz Yücel (l.) und der Jurist und Theaterintendant Christoph Nix am 13. Mai in Gotha.© picture alliance/dpa
Eine der Neugründerinnen ist die Schriftstellerin Eva Menasse und sie sagt: „Wir sind eine Gruppe sehr engagierter, energetischer Menschen, die vieles anders machen wollen, ohne Bratwurstgeruch.“

Die Grundidee ist immer noch richtig

Der PEN sei grundsätzlich eine „wichtige Veranstaltung“ und eine „gute Idee“ sagt sie: „Schreibende und Intellektuelle, die anderen Schreibenden und Intellektuellen helfen, die in Not sind, daran ist nichts falsch.“
Die Frage sei nur, ob man diese Idee mit der gewachsenen Struktur gut weiterführen könne, meint die Schriftstellerin. Und daran zweifele sie und viele ihrer Mitstreiterinnen und Mitstreiter.

Statt den PEN Berlin zu gründen, hätten sich lieber alle für eine Reform der bestehenden Schriftstellervereinigung einsetzen sollen, sagt Josef Haslinger, Interimspräsident des traditionellen PEN-Zentrums Deutschland im Interview. Wenn der neue Verein vom internationalen PEN anerkannt werde, gebe es sicher eine Zusammenarbeit. "Was soll ich mich mit diesen Leuten streiten? Wir haben gemeinsame Ziele und werden irgendwie zusammenfinden", so Haslinger. Der 66-Jährige wurde nach dem Rücktritt von Deniz Yücel eingesetzt, um die Wahl eines regulären Präsidiums zu organisieren.

Josef Haslinger, Interimspräsident des PEN-Zentrums Deutschland.
© picture alliance/dpa/Jens Wolf
Sie selbst sei bei der Jahrestagung in Gotha anwesend gewesen und habe die verbalen Eskalationen im Saal miterlebt: „Dieser Moment war für mich der, wo es mir alle Körperhaare aufgestellt hat, weil eine Schadenfreude und eine Genugtuung im Raum getobt hat und sich Bahn gebrochen hat.“

„Stimmen und Intellektuelle aller politischen Lager"

Das PEN-Zentrum Deutschland habe „ein kommunikatives Total-Problem“, kritisiert Eva Menasse. Auch deshalb „fangen sie noch mal von vorne an“. „Wir wollen jedenfalls anfangen, besser miteinander zu sprechen.“
So befänden sich unter den mehr als 200 Gründungsmitgliedern „Stimmen und Intellektuelle aller politischen Lager aller Weltanschauungen“, die alle verstanden hätten, dass es einen gemeinsamen Nenner gebe.
„Der ist über alle internen Querelen hinweg dieses Schriftstellersein in unserem zum Glück friedlichen und reichen Deutschland. Und damit, indem wir zusammen uns aufstellen, sind wir stark und sind wir auch öffentlich genug, um anderen helfen zu können“, erklärt sie.
Am kommenden Freitag stehe im Literaturhaus Berlin die Gründung an. „Dann, als Verein, können wir beginnen, politisch zu agieren und uns darum zu kümmern, auch Gelder aufzustellen oder Möglichkeiten“, sagt Eva Menasse. Dann könne man – auch in Kooperation mit anderen Organisationen, die helfen – anfangen, das alles neu aufzusetzen.

Neben dem PEN-Zentrum Deutschland und dem neuen PEN Berlin gibt es auch noch das PEN-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland, den sogenannten Exil-PEN. Dieser wurde von Autoren gegründet, die während der Nazizeit aus Deutschland vertrieben wurden. Der Schriftsteller Marko Martin ist dort Mitglied und könnte sich eine Vereinigung mit PEN Berlin vorstellen. Er wirft der traditionellen Schriftstellervereinigung Erstarrung vor und sagt im Interview: "Das sind keine literarischen Kaninchenzüchteraffären, es geht hier ums Eingemachte: Sind wir treu und auch offensiv für die Verteidigung des freien Wortes und der demokratischen Werte oder wird hier irgendwelches organisatorisches Kleinklein durchgezogen?"

Der Autor Marko Martin.
© picture alliance/dpa/Jens Kalaene

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