PEN und der Ukraine-Krieg

Wenn Intellektuelle sich streiten

54:03 Minuten
Deniz Yücel und Christoph Nix stehen nebeneinander auf einer Bühne. Nix gestikuliert entrüstet in Yücels Richtung.
Deniz Yücel und Christoph Nix auf der Jahrestagung des PEN-Zentrums Deutschland. Auch hier wurde der Streit um Waffenlieferungen in die Ukraine mit harten Worten ausgetragen. © picture alliance / dpa / Martin Schutt
Moderation: Cornelia Zetzsche · 22.05.2022
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Der Krieg in der Ukraine und deutsche Waffenlieferungen an Kiew werden von Intellektuellen kontrovers diskutiert – in Offenen Briefen und auf Podien. Auch bei der Jahrestagung des PEN-Zentrums Deutschland prallten die Meinungen hart aufeinander.
Zurückhaltung bei den großen politischen Debatten kann man deutschen Intellektuellen angesichts des Ukraine-Kriegs nicht vorwerfen. Vor allem das Thema schwere Waffen für die Ukraine polarisiert. Wie etwa bei einer Podiumsdiskussion anlässlich der Jahrestagung des PEN-Zentrums Deutschland in Gotha.
Vor einer unkontrollierbaren Eskalation des Kriegs warnt dort die Philosophin Svenja Flaßpöhler. Sie hat den von Alice Schwarzer initiierten Offenen Brief mitunterzeichnet, der sich gegen die Lieferung schwerer Waffen aus Deutschland in die Ukraine wendet.
Zumal, so die Chefredakteurin des Philosophie Magazins, die Aufrüstung der Ukraine den Krieg verlängern und die Zahl der Opfer erhöhen dürfte. „Gibt es eine Grenze, was die Opferzahl angeht, ab der man sagen muss: Jetzt müssen wir mit allen Mitteln Diplomatie betreiben und nicht mehr diese militärische Steigerung?“
Und falls Russlands Präsident Wladimir Putin seine Drohung mit dem Einsatz von Atomwaffen in die Tat umsetzen würde, „was machen wir dann“, fragt Flaßpöhler.

Pazifismus und eine ideale Welt

Die Schriftstellerin Eva Menasse hat ebenfalls einen Offenen Brief unterschrieben, schweren Herzens, wie sie sagt. Diese auf Ralf Fücks zurückgehende Intervention plädiert pro schwere Waffen für die Ukraine aus deutschen Beständen. Die Geschichte ihrer jüdischen Familie habe sie gelehrt, „dass Pazifismus das Beste ist in einer idealen Welt, diese ideale Welt aber manchmal nicht zu haben ist".
„Es gibt auch eine moralische Verpflichtung, dem Angegriffenen beizustehen“, entwickelt Johano Strasser, Schriftsteller und ehemaliger PEN-Präsident, diesen Gedanken weiter. Und das bedeute eben auch militärische Unterstützung.
Marjana Gaponenko, in Deutschland lebende ukrainische Schriftstellerin, bemängelt bei der deutschen Debatte über den Krieg in ihrer Heimat, dass bisweilen „die Ukraine bevormundet wird“, es fehle manchmal an Empathie, so auch beim Offenen Brief Alice Schwarzers.

„Abgeschmackte“ Solidaritätsbekundungen

„Abgeschmackt“ findet der Journalist und Ex-PEN-Präsident Deniz Yücel deutsche Solidaritätsbekundungen, wenn sie einhergingen mit Belehrungen über das, was die Führung in Kiew tun und lassen sollte oder mit Kritik am Stil des ukrainischen Botschafters Andrij Melnyk.
An dieser Stelle wird die Diskussion auf dem Podium in Gotha laut, was wohl auch die aktuellen Kontroversen innerhalb des PEN widerspiegelt, die zum Rücktritt von Yücel als Präsident der Autor:innenvereinigung geführt haben.
Angesichts dessen ruft Eva Menasse zu „sprachlicher Abrüstung“ auf. Das sei „unsere verdammte Pflicht hier, im Frieden, im Wohlstand, im Reichtum". Also aufeinander zugehen, Positionen im Frieden austauschen, sich gegenseitig zuhören.

 Es diskutieren:
- Eva Menasse, Schriftstellerin
- Marjana Gaponenko, Schriftstellerin
- Svenja Flaßpöhler, Philosophin
- Johano Strasser, ehemaliger Präsident des PEN-Zentrums
- Deniz Yücel, ehemaliger Präsident des PEN-Zentrums

Aufzeichnung vom 14.05.2022, Schloss Friedenstein, Gotha
Medienpartnerschaft PEN-Zentrum Deutschland / Deutschlandfunk Kultur

(pag)
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