Paul McCartney: "McCartney III"

Neue Sounds und ein bisschen Weißes Album

11:03 Minuten
All you need is love: Paul McCartney bei einem Konzert in Florida.
All you need is love: Paul McCartney bei einem Konzert in Florida. © picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Scott Audette
Maik Brüggemeyer im Gespräch mit Martin Böttcher · 18.12.2020
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Paul McCartney hat im Lockdown ein neues Album aufgenommen. Obwohl der Ex-Beatle 78 Jahre alt ist, sei "McCartney III" kein klassisches Alterswerk, sagt der Musikkritiker Maik Brüggemeyer: McCartney bleibe interessiert an der Gegenwart.
"Es handelt sich quasi um ein Social-Distancing-Album", findet Kritiker Maik Brüggemeyer, der das Album schon ausgiebig hören konnte. "McCartney III" entstand während des ersten Lockdowns. Paul McCartney habe die Songs nicht nur allein geschrieben, sondern er spiele auch alle Instrumente und habe die Platte selbst produziert.
"Sein Tontechniker und der Hausmeister seines privaten Studios waren dieses Mal zwar vor Ort – aber vermutlich hinter einer Plexiglasscheibe."
Paul McCartney wirbt in mehreren Städten für sein neues Album, in Mexico City ist das Cover und die Notation für einen Song auf eine Hauswand gemalt.
Weltweite Werbung: Paul McCartney wirbt in mehreren Städten für sein neues Album, hier in Mexico City.© imago images / Agencia EFE
Bei einem Song thematisiere er sogar die Pandemie, zumindest gebe es ein Stück, in dem er sich explizit auf diese seltsame Zeit beziehe, in der das Album entstanden ist. Es heißt "Find My Way":
"You never used to be afraid of days like these but now you’re overwhelmed by your anxieties", singt er da. Also sinngemäß: Du dachtest nicht, dass dir Tage wie diese etwas anhaben könnten, aber jetzt bist du von deinen Ängsten überwältigt.
Paul McCartney sei "natürlich immer Optimist", meint Maik Brüggemeyer. Er singe, er arbeite rund um die Uhr und abends verliere er sich auch nicht in Grübeleien. "Er hat den Lockdown auf seiner Farm in Sussex verbracht, auf der seine Tochter Mary mit ihrer Familie lebt. Und das Album war wohl auch eine Art Therapie, um sich abzulenken von den Nachrichten. So wie 1970, als er versuchte, sich von den ganzen Streitereien abzulenken, die den Beatles ein Ende machten – und eben sein erstes Soloalbum "McCartney" aufnahm."
Sowohl der erste Teil von 1970 als auch der zweite Teil von 1980 seien seinerzeit jeweils von der Kritik nicht gar zu freundlich aufgenommen, erinnert sich Brüggemeyer: "Zu skizzenhaft, zu wenig fokussiert, zu seltsam, zu sehr mit dem Image des klassischsten aller Beatles brechend."
Erst später seien sie von nachfolgenden Generationen rehabilitiert worden. "McCartney" gelte mittlerweile als mutiges und lässiges erstes LoFi-Homerecording-Werk, "McCartney II" als Electro-Pop-Pioniertat, die viele DJs und Produzenten sehr schätzten.

Immer noch offen für Neues

Bei seinem jüngsten Werk handele es sich ausschließlich um ausformulierte Songs, nicht um Skizzen oder Instrumentalstücke, wie es sie teilweise auf den ersten beiden Alben der Reihe gab. Die Songs lebten von einer Spontanität und Spielfreude, von dem Spaß, Spur auf Spur zu legen, um zu sehen, wie sich die Stücke verändern – ein echtes Kopfhörer-Album.
Der neue Song "Seize The Day" habe einen schönen Mid-Sixties-Beatles-Vibe, "Find My Way" erinnere ein wenig an den Art-Pop von Godley & Creme oder 10cc. Und es gebe einige akustische Stücke, die ein bisschen an die Beatles des Weißen Albums denken ließen.
Ein Besucher fotografiert ein Bild Paul McCartneys auf einer Ausstellung des Fotografen Harry Benson in Moskau.
Ikonen der Zeitgeschichte: Paul McCartney auf einer Ausstellung des Fotografen Harry Benson in Moskau.© imago images / ITAR-TASS
Die ersten internationalen Kritiken seien ebenfalls sehr positiv, erzählt Kritiker Brüggemeyer. "Sicher spielt da auch die Freude darüber mit, dass McCartney mit 78 noch so produktiv ist." Aber es sei ja auch erstaunlich, wie offen er immer noch für neue Sounds sei, wie er sich sperre, ein sogenanntes Alterswerk aufzunehmen, auf dem er quasi seinen eigenen Nachruf singt, wie das von Johnny Cash bis Bob Dylan viele Künstler im Alter getan hätten: "Er bleibt interessiert an der Gegenwart. Und die Gegenwart bleibt interessiert an ihm."
(ros)
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