Risiken werden ausgeblendet
Für Menschen, die keine Adipositas haben oder kein Typ-2-Diabetes, liegen quasi keine Daten vor, die Sicherheit und Wirksamkeit der Abnehm-Medikamente bestätigen, warnen Forscher. © Getty Images / Emilija Manevska
Abnehm-Spritze trendet auf Social Media
07:30 Minuten
Mit dem Wirkstoff Semaglutid werden eigentlich Diabetiker behandelt. Seit aber bekannt geworden ist, dass er allgemein zu Gewichtsverlust führt, ist unter dem Handelsnamen Ozempic auf Social Media ein kleiner Hype entstanden. Trotz möglicher Risiken.
„Also, ich hab euch ja in meinem letzten Video erzählt, dass ich dieses Ozempic benutze, dieses Medikament zum Abnehmen…“
Mehr als 400 Millionen Aufrufe verzeichnet die Social-Media-Plattform TikTok Mitte Januar 2023 für Videos mit dem Hashtag „Ozempic“.
„Das muss ich mir jetzt selber spritzen. Ich trau mich nicht. Also: 1-2-3 – ich habs geschafft! Ich hab damit, glaub ich, so zehn Kilo abgenommen. Ich werde das jetzt wöchentlich machen und vielleicht: in ein paar Monaten bin ich rank und schlank!“
„Ozempic“ ist der Handelsname von Semaglutid – ein Wirkstoff, der in Deutschland bereits seit 2018 zur Behandlung von Typ-2-Diabetes eingesetzt wird. Beim Altersdiabetes sorgt Semaglutid dafür, dass die Bauchspeicheldrüse mehr Insulin ausschüttet – der Blutzucker lässt sich so effektiv senken.
Hungergefühl im Gehirn sinkt
„Es führt dazu, dass das Hungergefühl im Gehirn, im Hypothalamus, sinkt. Und dadurch werden wir eben weniger schnell hungrig und schneller wieder satt, nachdem wir etwas gegessen haben“, erklärt der Diabetes-Spezialist Harald Schneider vom Zentrum für Endokrinologie und Stoffwechsel in Landshut. Und es gibt noch einen Nebeneffekt, direkt im Magen-Darm-Trakt.
„Wenn wir etwas gegessen haben, bleibt das Essen länger im Magen, als wenn wir die Substanz nicht gespritzt haben. Das wiederum kann auch das Sättigungsgefühl verlängern. Und man hat festgestellt, als man das Medikament dann bei Diabetikern verwendet hat, dass eine Gewichtsabnahme auftritt.“
Wirkstoff auch zur Adipositas-Therapie zugelassen
2021 zeigte eine Studie: So eine Gewichtsabnahme tritt auch bei übergewichtigen auf, die keine Diabetes-Patienten sind. Gesponsert wurde die Untersuchung vom Ozempic-Hersteller Novo Nordisk. Der Wirkstoff wurde zur Therapie von Adipositas ohne Diabetes zugelassen und das Präparat unter dem Namen Wegovy vertrieben. Da das – vermutlich wegen der großen Nachfrage in den USA – in Deutschland derzeit nicht lieferbar ist, ist die Nachfrage nach Ozempic in den letzten Monaten geradezu explodiert. Nur – trotz des gleichen Wirkstoffs: Ozempic ist nicht dasselbe wie Wegovy.
„Der Unterschied ist zum einen in der maximalen Dosis, die ist bei Ozempic 1,0 Milligramm, bei Wegovy 2,4 Milligramm – jeweils einmal pro Woche unter die Haut gespritzt. Und der andere Unterschied liegt in der Zulassung. Ozempic ist zugelassen für die Therapie von Patienten mit Typ-2-Diabetes. Wegovy ist zugelassen für die Therapie von Menschen mit Adipositas“, sagt Professor Matthias Blüher, Direktor des Helmholtz-Instituts für Metabolismus, Adipositas und Gefäßforschung in Leipzig.
Unklare Gefahrenlage bei Off-Label-Use
Außerhalb der Indikation – für den sogenannten „Off-Label-Gebrauch“ als Abnehm-Spritze für Nicht-Diabetiker – würde er Ozempic daher nicht verschreiben. Und auch Wegovy nicht für jede übergewichtige Person, sondern nur für Menschen mit krankhaftem Übergewicht.
„Dieser Off-Label-Use hat den großen Nachteil, dass einfach für Menschen, die eben keine Adipositas haben oder kein Typ-2-Diabetes, quasi keine Daten vorliegen, die Sicherheit und Wirksamkeit bestätigen. Wir wissen ganz einfach nicht, ob es genauso gut wirkt oder ob es Gefahren gibt bei Patienten, die nicht in dieses Raster passen.“
Nebenwirkungen: Übelkeit und Durchfall
„Ja, ich hab jetzt in zweieinhalb Wochen zwei Kilo runter, das ist jetzt nicht die Welt. Hab zwei Tage halt Durchfall gehabt. Ich hab diese Spritze genommen – die ersten zwei Wochen war ich wie ein Zombie: Ich hab alles ausgekotzt, was ich gegessen habe. Essen kann man nicht mehr zu sich nehmen, weil: Du guckst es nur an und du musst brechen Leute – und das ist kein Spaß!“
Die ProbandInnen der Zulassungsstudie nannten Übelkeit und Durchfall ebenfalls als häufigste Nebenwirkungen, in etwa jedem zwanzigsten Fall empfanden sie sie als so stark, dass sie den Versuch abbrachen. Zudem – so Endokrinologe Harald Schneider: Tierversuche hätten gezeigt, dass der Wirkstoff das Risiko für Schilddrüsenkrebs erhöhen könnte.
Und: „Bei Leuten, die ein hohes Risiko für Bauchspeicheldrüse und Entzündungen haben, sollte man es nicht geben. Oder wenn Probleme mit Gallenstein etc. auftreten. Das muss eben gesehen werden, dass da Risiken bestehen und dass das auch vorab abgeklärt und ausgeschlossen wird.“
Bislang keine Langzeitdaten
Was sich auch die wenigsten klarmachen, die in sozialen Netzwerken jetzt von dem Abnehm-Mittel schwärmen: zwar haben sich Taillenumfang, Blutdruck und Blutwerte der Versuchspersonen sichtlich verbessert. Doch außerhalb der anderthalb Jahre Studienlaufzeit gibt es keine Langzeitdaten.
„Was passiert, wenn ich so ein Medikament fünf, sechs, sieben Jahre nehme und das dann absetze? Das kann man noch nicht sagen. Was man aber sagen kann, ist, wenn man zum Beispiel ein Jahr lang damit therapiert wird und das dann wieder absetzt, dass dann das Gewicht relativ schnell wieder nach oben geht“, gibt Matthias Blüher zu Bedenken.
„Das ist halt das Tückische an der Erkrankung Adipositas, dass der Körper immer wieder versucht, zu dem Ausgangsgewicht zurückzugehen. Also, wir reden hier über eine lebenslange Therapie, die eher eskaliert werden muss als deeskaliert.“
Game-Changer in der Adipositas-Therapie?
Gerade aber, weil starkes Übergewicht so schwierig zu behandeln ist, gelten Wirkstoffe wie Semaglutid auch unter Experten als Game-Changer in der Adipositas-Therapie: Nur eine Magen-Operation erreicht zur Zeit größere Abnehm-Effekte. Für einige seiner PatientInnen hält Endokrinologe Harald Schneider das Mittel deshalb für geeignet.
„Weil klar ist, es ist eben nicht damit getan, wenn man sagt: Geh nach Hause und iss die Hälfte! Weil wir es hier mit einer komplexen Erkrankung zu tun haben. In manchen Fällen könnte es tatsächlich in einem Gesamtkonzept hinsichtlich Ernährung und Bewegung infrage kommen.“