Originalton

Visionen

Eine beleuchtete Weltkugel (Globus) mit Blick auf Afrika und Europa.
"Die Welt ist eine zugeschissene Kugel und ist im Arsch", schreibt die Ich-Erzählerin. © picture alliance / dpa - Caroline Seidel
Von Marianna Salzmann · 06.11.2014
Die Dramatikerin Marianna Salzmann liefert in dieser Woche die "Originaltöne" unter dem Titel "Coming out". Im vierten Teil schreibt sie darüber, wie kaputt die Welt ist und wovon sie träumt.
Was will unsereiner? Bier. Sicher. Was noch? Mal auf die Kirmes. Hier ist's schön und glänzt. Was noch – Weiber, aber die gibt´s genug. Arbeit. Arbeit gibt es eigentlich ja auch genug, aber willst du die machen, ist die Frage. Willst du dir die Hände schmutzig machen? Ich habe schon Drecksjobs gemacht. Du? So richtig da wo du fast kotzen musstest vor Dreck, weißt du wie das ist? Das ist auch Arbeit. Weißt du, wenn die da oben Dreck machen, klauen, Kriege und so was, dann nennen sie das ja auch Arbeit. Und wir werden dafür eingebuchtet, wofür die Medaillen kriegen, nicht? Ich denk mir so, das hier geht ganz schön den Bach unter. Tiefer und tiefer und wir schauen höher und höher und tun so, als würd'n wir das nicht sehen. Ich seh's schon, ich sehe schon, was hier passiert. Ozonloch wird größer, Kinder werden gefickt, die Chinesen springen massenweise von Hochhäusern, weil sie unsere Schuhe für ein Euro im Monat stricken müssen. Und bald stehen die alle auf und ficken uns, verstehst du? Bald kommt eine Horde Untoter über uns und nimmt uns nicht nur die Schuhe wieder weg und die Füße mit dazu. Und Recht haben sie, findest du nicht? Ich finde, sie haben Recht.
Ich habe Träume. Ist nicht so, dass ich sie nicht habe. Aber meine Träume kann ich mir nicht leisten. Wie soll ich mir denn ihren Biofraß leisten und hier – was – Gasauto oder was weiß ich. Natürlich will ich Schuhe, die nicht von kleinen Chinesen gestrickt wurden, aber wo soll ich das Geld für hernehmen für meine großen Träume, ist doch Betrug so was, dass sie uns glauben machen wollen, dass das geht. Und die sollen mir meine Biowurst nicht bei Aldi rüberschieben, bin doch nicht doof, weiß doch, dass die auch hergeflogen wurde aus Afrika. Ist doch auch wieder Verpestung meiner Lunge.
Die Welt ist eine zugeschissene Kugel und ist im Arsch. Aber wünschen kann ich mir doch mehr. Ich kann mir doch wünschen, dass es besser wird. Das ist doch mein Recht, sich was Besseres zu wünschen.
Wir wollen nach oben, bauen Raketen, aber scheißen hier unten alles zu. Die Reichen scheißen uns in den Mund und wir scheißen China in den Mund. Und bald scheißt China uns in den Mund. Ich habe die Schnauze jetzt schon voll.
Die da oben sitzen auf unseren Buckeln und fressen uns die Seele aus dem Leib und ich habe ganz viele Träume in mir, Kasimir. Die tun mir weh.

Kleine Formen erproben und mit den Möglichkeiten des Radios spielen: "Originalton" heißt eine tägliche Rubrik unserer Sendung "Lesart" - kurze Texte, um die wir Schriftsteller bitten. In dieser Woche kommen die Texte von der Dramatikerin Marianna Salzmann. Sie wurde 1985 in der ehemaligen Sowjetunion geboren, mit zehn Jahren kam sie nach Deutschland. Schon während ihres Studiums in Hildesheim und Berlin hat sich Marianna Salzmann auf das Theater spezialisiert. 2009 hatte ihr erstes Stück Premiere, es folgten viele weitere, auch preisgekrönte Arbeiten. Zur Zeit lebt Marianna Salzmann in Berlin, leitet als Haus-Autorin am Maxim-Gorki-Theater die Studiobühne.

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