Originalton

Ich habe es meiner Mutter gesagt

Rauch einer Filterzigarette
"Hat mich einfach nur angeschaut, ihr zerbrochenes Herz durch ne Kippe gezogen und mir ins Gesicht geblasen." - Reaktion der Mutter auf das Coming Out der Tochter. © picture alliance / ZB / Robert Schlesinger
Von Marianna Salzmann · 04.11.2014
Die Dramatikerin Marianna Salzmann über Taten, die sie denkt, aber nicht tut. Zudem bereut sie es, ehrlich gegenüber ihrer Mutter gewesen zu sein.
Ich habe es meiner Mutter gesagt. Ich habe ihr gesagt, ich mag dich. Ich mag Frauen. Na was wohl, hat sich die Haare gerauft und geschrien, dass ich gottlos bin. Und dann mit dem Koran nach mir geschmissen. Quatsch, das glaubst du oder, dass sie das getan hat, hat sie aber nicht. Hat mich einfach nur angeschaut, ihr zerbrochenes Herz durch 'ne Kippe gezogen und mir ins Gesicht geblasen. Und dann hat sie gesagt, ab jetzt schenkt sie mir immer Gummihandschuhe zu Bayram. Damit ich wenigstens keine Krankheiten kriege.
Ich bereue es, geb' ich zu. Weil ich nicht weiß, was das Ding mit Ehrlichkeit Müttern gegenüber ist. Ich weiß nicht, was das Ding mit Ehrlichkeit ist überhaupt. Wenn ich ehrlich bin, möchte ich manchmal über den Hermannplatz laufen und auf die Gemüseverkäufer einstechen. Wenn ich ehrlich bin, möchte ich der Hamas beitreten und für Bet Deborah Spenden sammeln gehen gleichzeitig und in einem palästinensischen Flüchtlingslager Mädchen Zöpfe flechten und im Iran Atomwissenschaftlerin sein. Wenn ich ehrlich bin, schäme ich mich dafür, dass nicht ich in Guantanamo gefoltert werde, sondern irgendwelche Kids mit zwölf Jahren, die das Pech hatten, in der Wiege der Menschheit geboren worden zu sein, die das Land, in dem ich lebe, durch Waffenexporte auseinander nimmt.
Ich möchte in den Bergen von Pakistan von Befreiungskämpfern gekidnappt werden und für Erpressungsvideos mein Leid abfilmen. Dann haben beide Seiten was davon. Aber ich werde es nicht tun, weil es meiner Mutter weh tun würde.
Wenn ich ehrlich bin, tut es mir weh, dass ich mir das alles ausdenken kann und es hat keine Auswirkungen auf irgendwas, es ist scheißegal, was ich denke, niemanden interessiert es. Im besten Fall.
Wenn ich ehrlich bin, schäme ich mich, dass ich gesund bin, dass mein Augenlicht so gut funktioniert und meine Nieren und ich ständig ein Taxi nehme auch für kurze Strecken. Zu dir zum Beispiel. Aber ich kann es einfach nicht aushalten, weißt du, diese Strecke von dir zu mir macht mich fertig, mir tut jeder Schritt weh. Ich muss diese Strecke in meinem Kopf immer überspringen, um dich überhaupt denken zu können.
Was ich sagen will ist, ich bereue es, ehrlich zu meiner Mutter gewesen zu sein, weil ich nicht glaube, dass etwas aus uns wird. Ich weiß, für dich sind drei Monate vielleicht ne lange Zeit und du denkst, wir können jetzt Kinder adoptieren. Aber ich hasse Kinder, wenn ich ehrlich bin und ich hasse deine Brüste, ich habe Albträume von denen, wie sie um meinen Kopf schwingen wie Würste. So, jetzt ist es raus.
Du bist der wahrscheinlich schönste Mensch in dieser Stadt, mit Sicherheit der Klügste. Aber es tut mir furchtbar leid, Canım, ich glaube, das wird nichts mit uns.

Kleine Formen erproben und mit den Möglichkeiten des Radios spielen: "Originalton" heißt eine tägliche Rubrik unserer Sendung "Lesart" - kurze Texte, um die wir Schriftsteller bitten. In dieser Woche kommen die Texte von der Dramatikerin Marianna Salzmann. Sie wurde 1985 in der ehemaligen Sowjetunion geboren, mit zehn Jahren kam sie nach Deutschland. Schon während ihres Studiums in Hildesheim und Berlin hat sich Marianna Salzmann auf das Theater spezialisiert. 2009 hatte ihr erstes Stück Premiere, es folgten viele weitere, auch preisgekrönte Arbeiten. Zur Zeit lebt Marianna Salzmann in Berlin, leitet als Haus-Autorin am Maxim-Gorki-Theater die Studiobühne.

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