Olympische Spiele in München 1972

Die Welt sollte ein anderes Deutschland erleben

54:37 Minuten
Die Mannschaft des deutschen Gold-Achters (Rudern) von Mexiko 1968 trägt die Olympische Fahne feierlich in das Münchener Olympiastadion während der Eröffnungsfeier der Olympischen Sommerspiele am 26. August 1972.
Vor begeistertem Publikum: Deutsche Ruderer trugen die Olympische Fahne bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele 1972 ins Stadion in München. © picture-alliance / dpa / Olympische Spiele
Von Martin Hartwig und Winfried Sträter · 24.08.2022
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1972 war die Bundesrepublik ein Land im Aufbruch. Liberalisierung, Modernisierung, Entspannungspolitik. Dazu passten perfekt die heiteren Olympischen Spiele in München – bis zum Attentat am 5. September. Die Behörden reagierten hilflos.
Der Tag, an dem die Spiele am 26. August 1972 eröffnet wurden, war wohl einer der schönsten in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Ein strahlend blauer Himmel, das kühn entworfene Olympiastadion unter dem Zeltdach, das eine neue deutsche Leichtigkeit ausdrückte, ein Olympiapark, der buchstäblich die Trümmer des letzten Krieges unter sich begrub.
Dieses Land hatte sich erkennbar von seiner dunklen Vergangenheit gelöst. 1936 hatte Hitlerdeutschland die Spiele für seine Propaganda missbraucht: friedliche Signale gesendet und zur selben Zeit den Krieg vorbereitet.
1972 setzten sich die Organisatoren davon ab – im Auftreten, in der Musik, in der Farbgebung, in der Architektur. Eine westfälische Lokalzeitung, der „Beobachter an der Haar“, schwärmte nach der Eröffnungsfeier:
„Das 2 ½-Stunden-Schaupiel der Eröffnungsfeier begeisterte mit seiner Farbenpracht, Musikalität, Beschwingtheit nicht nur die 80.000 im Olympiastadion. Beeindruckt von der Fröhlichkeit und Leichtigkeit … war die weltweite Reaktion auf das Zeremoniell positiv, ja teilweise sogar überschwänglich. … Es gab keinen Rückfall in die Vergangenheit, dröhnende Marschmusik und das harte Stakkato des Gleichschritts wurden von dem einfallsreichen Melodienreigen, den beschwingten Rhythmen des Jazzband-Leaders Kurt Edelhagen abgelöst, die einen wesentlichen Anteil am Gelingen der grandiosen Schau und ihrem Eindruck auf die internationale Öffentlichkeit hatten.“

Gute Stimmung trotz ausbleibender Erfolge

Das Publikum war gut gestimmt, auch wenn erst einmal die westdeutschen Sportlerinnen und Sportler kaum Erfolge feierten.
Die deutsche Leichtathletin Heide Rosendahl im Deutschland-Trikot beim Sprung
Bann gebrochen - mit der Weitsprung-Goldmedaille der Leichtathletin Heide Rosendahl.© picture-alliance / dpa / Rauchwetter
„Eine Pleite jagt die andere“, lautete eine Zeitungsschlagzeile. Erst mit der Weitsprung-Goldmedaille von Heide Rosendahl war der Bann gebrochen, konnten Olympiasiege gefeiert werden – allerdings weit weniger als bei den DDR-Sportlerinnen und Sportlern, die am Ende hinter der Sowjetunion und den USA Platz 3 im Medaillenspiegel belegten, vor der Bundesrepublik.
Den Höhepunkt erlebten die Spiele aus westdeutscher Sicht am 4. September, als die 16 Jahre junge Ulrike Meyfarth mit 1,92 m sensationell Gold im Hochsprung gewann.

Überfall beendete die heiteren Spiele

Wenige Stunden später waren die heiteren Spiele von München zu Ende: mit dem Überfall palästinensischer Terroristen auf die israelische Olympiamannschaft. Obwohl die Bundesrepublik mit der RAF bereits die Gefahr des Terrorismus kennengelernt hatte, waren die Behörden von dieser Situation völlig überfordert.
Ein Pressespiegel vom 06.09.1972 zum Attentat bei den Olympischen Sommerspielen in München von arabischen Terroristen der Untergrundorganisation "Schwarzer September" auf israelische Sportler
Erschreckende Hilflosigkeit: Beim Versuch der Geiselbefreiung versagten Staat und Polizei katastrophal.© picture-alliance / dpa / epu / dpa
Das katastrophale Versagen von Staat und Polizei während der Geiselnahme und beim Versuch der Geiselbefreiung hatte zur Folge, dass am Ende 17 Menschen starben. So erlebte die Welt ein anderes Deutschland – ein Land von beschwingter Heiterkeit und erschreckender Hilflosigkeit, als es ernst wurde. 

Unterbrechung - nur für einen Tag

Die Spiele wurden am Nachmittag des 5. September unterbrochen – aber nur für einen Tag. „The games must go on“, verkündete der unerbittliche IOC-Präsident Avery Brundage bei der Trauerfeier am 6. September. Noch in der Nacht zuvor erschien der Abbruch der Spiele als unausweichlich.
Für Heidi Schüller, die den olympischen Eid gesprochen hat, ist es nach Jahrzehnten noch unbegreiflich, dass die Wettkämpfe weitergingen, als sei nichts geschehen.
„Münchens Spiele tragen das Zeichen der Zäsur; den heiteren Spielen folgten die beklommenen“, so resümierte das westfälische Lokalblatt „Beobachter an der Haar“ das Sportereignis, das auf ewig mit dem Terroranschlag verbunden sein wird. 
(wist)
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