50 Jahre Olympiapark München

Gebaute Utopie

05:41 Minuten
Zu sehen ist die Zeltarchitektur des Münchner Olympiaparks.
Die Münchner lieben ihren Olympiapark. Er ist ein Musterbeispiel für die gelungene Nachnutzung von Sportstätten. © IMAGO/Manfred Segerer
Von Tobias Krone · 08.07.2022
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Das Architekturmuseum der TU München widmet dem Design der Olympiastadt eine Ausstellung. Gezeigt wird der alles andere als selbstverständliche Weg von den Olympischen Spielen in Berlin 1936 zu den Olympischen Spielen in München 1972.
Man könnte ja glauben, München hätte den Zuschlag für die Olympischen Spiele wegen der kühnen Zeltdacharchitektur gewonnen, dieser spektakulär filigranen Netze aus Stahl und Polyester, die sich über grüne Hügel schwingen, die einen Sportpark mit einer zeitlos anmutenden Atmosphäre schaffen – weit gefehlt.
Mädchen im Dirndl, Buben in Lederhosen vor der Theatertinerkirche im Renaissance-Stil – so und nicht anders präsentierte sich die bayerische Landeshauptstadt in ihrem Bewerbungsvideo, 1966 in Rom und gewann. Man kann den sepiabraunen Imagefilm vom München vor Olympia '72 in der Ausstellung sehen.

Selbstfindung einer jungen Demokratie

München sei eine sehr traditionelle, konservative Stadt gewesen, die auch in der Nachkriegszeit sehr viel Wert darauf gelegt habe, dass die Strukturen der traditionellen Stadt sichtbar blieben, sagt der Direktor des Architekturmuseums München, Andres Lepik. „Es war schon die Idee: Geschichte muss sichtbar bleiben. Innovation fand im Stadtbild nie statt, so wie es mit der Olympiade zum ersten Mal sichtbar wurde.“

Die Ausstellung "Die Olympiastadt München" ist noch bis zum 8. Januar 2023 im Architekturmuseum der TU München zu sehen.

Für Lepiks Haus war eine Ausstellung zur Architektur und den städtebaulichen Impulsen der Olympischen Spiele 1972 natürlich Pflicht – so wie gerade gefühlt jedes zweite Münchner Museum dieses Jubiläum mitfeiert: vom Kunstverein bis hin zur Münzsammlung. Warum es sich da trotzdem lohnt, das Architekturmuseum zu besuchen, liegt an der hier gut präsentierten Architekturgeschichte dieses Olympiaparks, die sich liest wie die Selbstfindung der demokratischen Bundesrepublik.

Es gab auch Entwürfe im Geist der NS-Zeit

Die Ausstellungskuratorin Irene Meissner steht vor einem Entwurf des Olympiaparks, so wie ihn sich Rüdiger Henschker und Wilhelm Deiß vorstellten. Sie warteten mit einem Großstadion vor einer gigantischen Betonplatte auf, die die Stadtautobahn Mittlerer Ring überdecken sollte – entstanden wäre eine monströse Esplanade.

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„Wenn man so eine Anlage sieht, dann wird man natürlich erinnert an das Reichssportfeld in Berlin oder eben auch ans Reichsparteitagsgelände aus der NS-Zeit“, erklärt die Kuratorin. Offenbar war die für Olympia vorgesehene Ästhetik auch in den 60er-Jahren noch nicht so richtig entnazifiziert.

Gegenentwurf zu Hitlers Arena von 1936

Es ist der Weitsicht des Architekten Egon Eiermann zu verdanken, dass sich das Zeltdachmodell von Günter Behnisch und Partner, damals noch mit Strumpfhosen modelliert, in der Jury durchsetzte – obwohl Eiermann bei der Entscheidung ganz frei zugab, dass die technische Machbarkeit eines solchen Zeltdachs erst noch in der Versuchsanstalt des Dachtüftlers Frei Otto in Stuttgart nachgewiesen werden müsse.
Die deutsche Olympia-Mannschaft marschierte als letzte Abordnung in das Stadion ein.
Das Münchner Olympiagelände sollte ganz bewusst ein Gegenentwurf zur klotzigen NS-Architektur des Olypiastadions in Berlin sein.© imago images/United Archives International
Man bekommt einen dosierten Einblick in die komplexen Experimente und die irrwitzigen Konstruktionsskizzen. Damals noch ohne Computer errechnet, plante und baute man in nur vier Jahren dieses technische Wunderwerk: das luftige Zeltdacht, das bewusst als Gegenentwurf zu Hitlers klotziger Arena von 1936 dienen sollte. 

Gebaute Utopie

„Wir machen eine Nicht-Architektur – und haben so angefangen und haben dann gesagt: Okay, dann machen wir eine Landschaft“, erläutert Behnischs damaliger Partner, Carlo Weber, in einem der vielen aufschlussreichen Interviews, die in der Ausstellung zu sehen sind.
Das Münchner Olympiagelände wurde eine gebaute Utopie: Die Hallen und das Stadion wurden zumeist unter die Erde verlegt oder in sie eingebettet und somit Teil der Landschaft. Den Münchner Kriegsschutt ließ der Landschaftsarchitekt und Künstler Günther Grzimek aufhäufen. Seit 1972 sitzen, liegen und spielen die Münchnerinnen und Münchner hier auf dem öffentlichen Rasen, was in den 70er-Jahren noch unerhört war.

Hörtipp

Geplant waren heitere Spiele. Doch heiter sollten die Olympischen Spiele in München nicht werden. Elf israelische Athleten wurden von palästinensischen Terroristen entführt und schließlich ermordet. Der Podcast "Himmelfahrtskommando – Mein Vater und das Olympia-Attentat" des Bayerischen Rundfunks beschäftigt sich mit den Hintergründen und der Verantwortung der an der Befreiungsaktion beteiligten Polizisten.

Nachhaltiges Konzept

Überhaupt waren die Olympischen Spiele auch ein großes Kunstvolksfest. „Und durchaus eben auch kritisch“, wie Irene Meissner hinzufügt: „Sie sehen da oben den Künstler Timm Ullrichs, der jeden Tag in das Hamsterrad gestiegen und einen Marathon gelaufen ist und damit natürlich überhaupt auch den Gedanken der Olympiade infrage gestellt hat.“
Gut zu wissen, dass Olympia – zumindest damals – auch Demokratie konnte und zudem nachhaltige Bauten schuf: das Olympische Dorf gegen den Wohnungsmangel, die Trainingsanlagen für den Hochschulsport und den Olypark für die jugendliche Seele der Stadt. Er funktioniert bis heute. Auch wenn seine Planung einige Kühnheit voraussetzte. Die offizielle Baugenehmigung soll erst fünf Jahre nach den Olympischen Spielen da gewesen sein, erzählt man sich heute grinsend im Bauministerium.

Ungeeignet für den Fußballkapitalismus

Einen Rückschlag erlebte der Park Ende der Neunziger, als der FC Bayern hier auszog, weil sich das weitläufige Stadion immer weniger für die kommerziellen Interessen des Fußballkapitalismus eignete.
„Die Fußballvereine wollten einen so genannten Fußball-Hexenkessel haben. Also schon das Wort allein assoziiert ja Aggression, Gewalt, Intoleranz, also das genaue Gegenteil von dem, wofür das Olympiastadion steht, nämlich Freiheit, Demokratie, Toleranz“, erklärt Irene Meissner.
Und so bleibt die Ausstellung zum Glück nicht stehen bei der Verherrlichung eines großen, auch architektonischen Ereignisses, sondern setzt die planerische Heiterkeit der Spiele in Beziehung zur heutigen Zeit mit ihrem Zeitgeist.
Vor zehn Jahren wollte es München noch einmal wissen und sich für olympische Winterspiele bewerben. Doch das Vorhaben scheiterte am Willen der Bevölkerung. Demokratie muss sich eben wie die Architektur immer wieder aufs Neue emanzipieren.
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