Olympia 1972 in München

Ein Attentat und die Folgen

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Olympia 1972: Ein maskierter arabischer Terrorist auf dem Balkon des israelischen Mannschaftsquartiers im Olympischen Dorf der Münchner Sommerspiele
Maskierter Terrorist auf dem Balkon des israelischen Mannschaftsquartiers im olympischen Dorf der Münchner Sommerspiele. Bis zu dem Attentat war es einfach, ins Dorf zu kommen. © dpa / picture alliance
Von Constantin Eckner · 21.08.2022
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Olympische Spiele stehen symbolisch für friedlichen Wettkampf. Doch das Attentat 1972 in München zeigte der Welt, wie verletzlich solche Großveranstaltungen sind. Inzwischen wird ein immenser Aufwand für die Sicherheit von Sportlern und Zuschauern betrieben.
Alle elf israelischen Athleten sind tot, zudem fünf Terroristen und ein Polizist. Am Tag nach den tragischen Vorgängen auf dem Flugplatz Fürstenfeldbruck versucht die olympische Gemeinschaft, das Geschehen zu verarbeiten. Ein möglicher Abbruch der Spiele ist schnell vom Tisch.
„The games must go on“, verkündet Avery Brundage, der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC). Und die Spiele gehen weiter.

Gegenbild zu Berlin 1936

Die Spiele in der bayerischen Landeshauptstadt sollten heitere Wettkämpfe werden. Die westdeutschen Organisatoren wollen das dem Land seit dem Zweiten Weltkrieg anhaftende Stigma ein für allemal loswerden.
„Man wollte bewusst ein Gegenbild aufbauen zu den Spielen 1936 in Berlin, die von den Nationalsozialisten instrumentalisiert und mit einer hohen militärischen Präsenz versehen worden sind“, sagt Stephan Wassong, Olympia-Historiker an der Deutschen Sporthochschule Köln.
Weil die Spiele so heiter und ganz und gar nicht militärisch wirken sollen, werden die Sicherheitsvorkehrungen auf ein Minimum reduziert, erklärt Wassong:
„Ein Beispiel ist dieser Zaun, der das olympische Dorf umgeben hat. Der war leicht zu überwinden. Ein weiteres Beispiel war, dass man lediglich 2100 Polizeikräfte engagiert hatte, die dazu auch noch keine Waffen getragen haben.“

Ein offenes Dorf für jedermann

Hürdensprinter Dieter Büttner erinnert sich noch heute ganz genau an das Leben im olympischen Dorf 1972 in München: „Vor dem Attentat war es so, da konnte jeder ins Haus gehen, ohne dass näher geschaut worden ist, beim Portier. Das war eine offene Sache.“
Die Hochspringerin Ulrike Meyfarth gewann Gold bei den Olympischen Spielen in München 1972
Ulrike Meyfarth bei ihrem Sprung in München - kurz vor dem Attentat© dpa / picture alliance / Pressefoto Baumann
Noch am vierten September, Stunden vor dem Attentat auf die israelischen Sportler, gibt es allen Grund zum Feiern. Das 16-jährige Ausnahmetalent Ulrike Meyfarth gewinnt den Hochsprungwettbewerb. Die Frankfurterin schafft die Weltrekordhöhe von 1,92 Meter und holt Gold.

Am selben Abend war Hochstimmung im olympischen Dorf in den Diskotheken. Im Bavaria Club waren Münchner in Scharen. Ich selbst habe noch Zugangskarten, Besuchertickets für meine Freunde im olympischen Dorf besorgt. Die sind gar nicht benötigt worden. Das Dorf war bis zum Attentat ein offenes Dorf. Ich konnte mit meinem Porsche 914 in die Tiefgarage fahren, egal wen ich mit im Auto hatte. Ich wurde überhaupt nicht kontrolliert.

Hürdensprinter Dieter Büttner

Bau von Sicherheitsschleusen

Das sollte sich allerdings ändern, als Angehörige der palästinensischen Terrororganisation „Schwarzer September“ ins olympische Dorf eindringen und die Geiselnahme ihren fatalen Lauf nimmt. Ulrike Nasse-Meyfarth durchlebt ein Wechselbad der Gefühle:
„Dann habe ich mir im Lauf der Zeit gedacht: Später wird man sich eher noch an meine Goldmedaille erinnern als an die elf Opfer, die umgekommen sind. Ich habe das immer, wenn man mich auf die Goldmedaille ansprach, erwähnt, was da noch passiert war. Das gehörte für mich zusammen, meine Stimmung war himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt. Das ist schon eine schwierige Situation gewesen.“
Die Hochspringerin nimmt auch an den darauffolgenden Sommerspielen 1976 in Montreal und 1984 in Los Angeles teil. Sie erlebt die Veränderungen nach dem Attentat von München hautnah:

Die Olympischen Spiele waren dann ein Sicherheitstrakt geworden. Vor sämtlichen Veranstaltungshallen wurden Sicherheitsschleusen gebaut. In London war das extrem. Da wurde sehr viel Platz von den Schleusen eingenommen, um die Zuschauer schnell durchzubringen zu den Veranstaltungen. Sonst hätte es dort riesige Staus gegeben. Das haben die gut gemacht. Das fing in Montreal an, dass die Sicherheit großgeschrieben war.

Hochspringerin Ulrike Nasse-Meyfarth

Sicherheit steht an erster Stelle

Stephan Wassong beschäftigt sich seit Längerem mit den konkreten Auswirkungen der Münchener Spiele auf nachfolgende olympische Großereignisse. Sicherheit steht fortan an erster Stelle. Offene olympische Dörfer und unbewaffnete Sicherheitskräfte gehören der Vergangenheit an:
„Bei den Spielen selbst hatte das eine sehr große Auswirkung auf die Ausgestaltung der Sicherheitskonzepte und dann auf das Budget, das dafür investiert wurde. Das hat bereits 1976 bei den Olympischen Winterspielen in Innsbruck angefangen. Da gab es schon acht Meter hohen Elektrozaun, der das olympische Dorf umgeben hat. Es waren bewaffnete Truppen oder Gruppierungen von Polizei und Armee dort, die die Athleten beschützt haben. Das Ganze hat sich weiter entwickelt auf eine höhere Stufe bei den Olympischen Spielen in Montreal. Da waren schon 16.000 Soldaten als Sicherheitspersonal abgestellt.“
Die Sicherheitsstandards bei Olympischen Spielen werden mit der Zeit immer weiter verfeinert: personalisierter Akkreditierungsprozess, Video- und Luftüberwachung, präventive Anti-Terror-Abwehr. Das kostet natürlich auch immer mehr Geld.

50.000 Sicherheitskräfte in London

„Wenn man das Ganze auf der Ebene der Kostenentwicklung sieht, kann man festhalten, dass für das Sicherheitskonzept in München rund zwei Millionen US-Dollar ausgegeben wurden. Was in Los Angeles auf knapp 85 Millionen US-Dollar anstieg“, sagt Stephan Wassong.
Sicherheitskräfte vor dem Olympiastadion in London 2012
Zehntausende Sicherheitskräfte waren bei den Spielen in London 2012 im Einsatz.© Imago / Michal Kamaryt
Mittlerweile bewegt man sich – auch aufgrund von 9/11 – bei den Sicherheitskosten im Milliarden-Bereich. Bei den Spielen 2012 in London etwa werden 1,5 Milliarden US-Dollar ausgegeben. Circa 50.000 Sicherheitskräfte sind im Einsatz – die größte Mobilisierung von britischem Sicherheitspersonal seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Wettkämpfe werden zu sicherheitspolitischen Mammutprojekten.
Und die Stimmung im olympischen Dorf? Hat sich nach 1972 Grundlegendes verändert? „Das tat der Stimmung keinen Abbruch. Im Dorf war alles wieder bunt, locker und entspannt. Das Olympia-Dorf ist immer schön, egal wie es außenherum abgesichert ist“, meint Ulrike Nasse-Meyfarth.

Wegweisende Entscheidung durch das IOC

Aus der Sicht von Professor Stephan Wassong war die Entscheidung des IOC, die Spiele 1972 fortzusetzen, von enormer Bedeutung für die nachfolgenden Spiele und die olympische Bewegung insgesamt:
„Ich glaube, die Vulnerabilität der Olympischen Spiele im Hinblick auf Proteste, Protestinszenierungen und gewaltsame Aktionen wäre durch die Beendigung der Olympischen Spiele erhöht worden. Die olympische Bewegung hätte sich ein Stück weit erpressbar gemacht. Sie wäre zum Spielball von politischen Gruppen oder Aktivisten geworden.“
Die Entscheidung, so Professor Wassong, war zudem wegweisend für andere Sportevents, bei denen es schwerwiegende Vorfälle gegeben hat:

„Es war zumindest eine Leitidee oder eine Entscheidung, auf die immer mal wieder gerne zurückgegriffen worden ist – wenn man überlegt hat, ob man Spiele, ob man Sportevents oder Veranstaltungen weiter fortführen soll.“

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