NSU-Prozess

Die Scham eines Reporters

Auf einem Tisch stehen ein Dutzend Mikrofone, im Hintergrund sind Journalisten, zum Teil mit Kameras zu sehen.
Journalisten bei der Pressekonferenz zum NSU-Prozess © picture alliance / dpa / Inga Kjer
Von Michael Watzke · 01.03.2016
Michael Watzke ist es peinlich, dass er als Reporter beim NSU-Prozess so oft über Beate Zschäpes Verhalten berichten muss. Viel lieber würde er zum Beispiel von der Tochter des ermordeten Blumenhändlers Mehmet Kubasik erzählen.
Immer, wenn ich 2015 als Journalist im NSU-Prozess saß, habe ich mich geschämt. Geschämt für Beate Zschäpe. Nicht nur fremdgeschämt. Es war mir peinlich, dass ich als Berichterstatter so oft über Beate Zschäpes Verhalten und ihre Launen berichte. Berichten muss. Wo ich eigentlich viel lieber von Gamze Kubasik erzählen würde. Der tapferen Tochter von Mehmet Kubasik, des ermordeten Blumenhändlers aus Dortmund. Während Beate Zschäpe eine nichtssagende Aussage verlesen lässt, sitzt Gamze Kubasik auf einem der Nebenklage-Stühle und ist enttäuscht. Weil sie statt einer Antwort nur eine taktische Entschuldigung bekommen hat.
"Für mich war das keine echte Entschuldigung, muss ich sagen. Ich nehme die Entschuldigung auch nicht an. Meine Familie auch nicht. Für mich war das unpersönlich. Ich hab mich, ja, über diese Entschuldigung geärgert."
Zweieinhalb Jahre. 252 Verhandlungstage. Neulich habe ich in mein Schall-Archiv geschaut und die Interviews und O-Töne des ersten Prozesstages angehört – vom 6.Mai 2013. Von Besuchern, Demonstranten, Journalisten.
"Mich wühlt dieser Fall sehr auf. Ich bin Türke. Ich lebe seit 46 Jahren in Deutschland. Ich kann nicht akzeptieren, dass solche Personen Rückhalt haben. In der Bevölkerung. Das ist eine Schande."
"Persönlich interessiert's mich, wie das Gericht es diesmal handhaben wird, mit der rechten Szene rumzuspringen. Weil normalerweise werden die ziemlich geschont vom Gericht."

Ein quälender Prozess

Diese Interviews kommen mir heute ewig lang her vor. Ich habe noch nie über einen Prozess berichtet, der so lange gedauert hat und bisweilen auch so zäh verlief. Aber was für Journalisten manchmal anstrengend ist, ist für die Hinterbliebenen der Opfer eine Tortur. Ein quälender Prozess. Damals, am 6.Mai 2013, habe ich Jens Rabe befragt, den Anwalt von Semya Simsek, der Tochter des ermordeten Enver Simsek.
"Für Semya Simsek ist einfach wichtig, dass der Prozess jetzt losgeht, nachdem er vor drei Wochen verschoben wurde. Sie ist deshalb so belastet, weil jetzt alles nochmal von vorne beginnt. Sie erlebt jetzt nochmal all das, was sie die letzten 13 Jahre schon durchgemacht hat."
Heute, Ende 2015, ist dieses Urteil noch immer nicht in Sicht. Wahrscheinlich wird es erst 2017 fallen. Ich beobachte beim Prozess immer wieder Gamze Kubasik. Ab und zu kommt sie nach München. Und man sieht ihr an, dass es ein schwerer Gang für sie ist. Ich erinnere mich dann an die Rede, die Gamze Kubasik im April 2013 gehalten hat, einen Monat vor Prozessbeginn.
"Mein Vater Mehmet Kubasik war ein fröhlicher und positiver Mensch. Er ging gerne seiner Arbeit nach und galt in der Gesellschaft als hilfsbereiter und gerechter Familienvater. Viele Menschen holten sich Rat bei ihm. Ich fühlte mich immer sehr sicher und stark an seiner Seite. Er fehlt uns."

Journalisten sprachen von Döner-Morden

Ich weiß noch, dass ich damals die Tränen nicht unterdrücken konnte, als die Tochter so über ihren ermordeten Vater sprach. Als sie schilderte, wie schwer das war, jahrelang mit dem Verdacht leben zu müssen, ihr Vater sei ein Krimineller gewesen und sei von Drogendealern erschossen worden.
"Am Esstisch sitze ich mittlerweile auf seinem Platz. Denn der Blick auf den leeren Stuhl wurde unerträglich."
Ich habe mich damals mitverantwortlich gefühlt für Gamze Kubasiks Leid. Weil wir Journalisten doch von den Döner-Morden geschrieben hatten, weil wir es nicht für möglich gehalten hatten, dass mordende Neonazis eine Blutspur quer durch Deutschland ziehen. Ich konnte so gut verstehen, dass Gamze Kubasik wissen will, warum gerade ihr Vater sterben musste.
"Wir erwarten eine lückenlose Aufklärung und gerechte Strafen. Niemand sollte in seiner Heimat in Angst leben müssen. Dieses Land hat uns geprägt. Ich fühle mich hier wohl, und ich kann mir keinen anderen Ort vorstellen, an dem ich leben möchte."
Das war Anfang 2013. Heute, Ende 2015, sind die quälenden Fragen von Gamze Kubasik und der anderen Angehörigen noch immer nicht beantwortet. Warum mein Vater? Warum mein Sohn? Warum mein Bruder? Vor der Aussage von Beate Zschäpe bestand die Hoffnung, sie könne und wolle diese Fragen beantworten. Diese Hoffnung ist für den Rest des Prozesses zerstoben. Ich weiß, dass die Mühlen der Justiz langsam mahlen. Dass es für ein gerechtes und unanfechtbares Urteil viel Zeit braucht. Und trotzdem hoffe ich, dass der NSU-Prozess möglichst bald ein Ende findet.
Mehr zum Thema