NSU-Prozess

    Zschäpe bestreitet Beteiligung an Morden

    Beate Zschäpe sitzt neben ihren Anwälten Hermann Borchert (l) und Mathias Grasel (r) im Gerichtssaal im Oberlandesgericht in München
    Beate Zschäpe sitzt neben ihren Anwälten Hermann Borchert (l) und Mathias Grasel (r) im Gerichtssaal im Oberlandesgericht in München © dpa-Bildfunk/ Tobias Hase
    09.12.2015
    Beate Zschäpe hat in einer durch ihren Anwalt verlesenen Erklärung bestritten, an den zehn Morden und den beiden Sprengstoffanschlägen des NSU beteiligt gewesen zu sein. "Ich war weder an den Vorbereitungshandlungen noch an der Tatausführung beteiligt." Auch den Vorwurf der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung wies sie von sich, räumte aber eine "moralische Schuld" ein.
    "Ich weise den Vorwurf der Anklage, ich sei ein Mitglied einer terroristischen Vereinigung namens NSU gewesen, zurück", ließ Zschäpe ihren Anwalt Mathias Grasel am Mittwoch im NSU-Prozess erklären. Zschäpe spielte ihre eigene Rolle bei den mutmaßlichen Verbrechen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) herunter. Die 40-Jährige bestritt, an den zehn Morden und zwei Sprengstoffanschlägen beteiligt gewesen zu sein, die die Bundesanwaltschaft dem NSU vorwirft. Die beiden mutmaßlichen NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, mit denen sie befreundet und später untergetaucht war, hätten sie erst hinterher darüber informiert. Als sie davon erfahren habe, sei sie sprachlos und fassungslos gewesen.
    Am Ende der Erklärung ließ sie ihren Anwalt für sich um Entschuldigung bitten: "Ich fühle mich moralisch schuldig, dass ich zehn Morde und zwei Bombenanschläge nicht verhindern konnte."Ich entschuldige mich aufrichtig bei allen Opfern und Angehörigen der Opfer."
    Zschäpe bestreitet Kenntnis an weiteren Morden und Anschlägen
    Die Verantwortung für die Morde an neun Menschen mit Migrationshintergrund und einer Polizistin liege bei Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Zschäpe habe erst drei Monate danach vom ersten Mord im Jahr 2000 erfahren. Sie behauptete, das Motiv "bis heute" nicht zu kennen. Enver Simsek war das erste Mordopfer, er wurde am 9. September 2000 in Nürnberg erschossen. Auch von den Morden 2001 habe sich nichts gewusst. Am 13. Juni 2001 war Abdurrahim Özüdogru in seiner Änderungsschneiderei in Nürnberg erschossen worden, am 27. Juni 2001 in Hamburg Süleyman Tasköprü (31) in seinem Lebensmittelladen.
    Am ersten Kölner Bombenanschlag im Januar 2001 will sie ebenfalls nicht beteiligt gewesen zu sein. Böhnhardt habe in einem iranischen Lebensmittelgeschäft einen Korb mit dem Sprengsatz deponiert. Bei der Explosion wurde die 19-jährige Tochter des Inhabers schwer verletzt. Vom Bau der Bombe habe Zschäpe nichts mitbekommen, heißt es in der Erklärung. Böhnhardt habe die Bombe gebaut. Mundlos habe vor dem Geschäft gewartet.
    Polizistin Kiesewetter musste laut Zschäpe wegen ihrer Waffe sterben
    Die Polizistin Michèle Kiesewetter sei von Mundlos und Böhnhardt getötet worden, um deren Pistole stehlen zu können. Zschäpe erklärte, diese "unfassbare Antwort" habe sie von Mundlos und Böhnhardt auf ihre Frage nach dem Motiv für diesen zehnten und letzten Mord der beiden bekommen. Die beiden Männer seien laut Zschäpe davon ausgegangen, dass sie auch Kiesewetters Kollegen getötet hätten. Dieser überlebte aber schwer verletzt. Bisher war das Motiv für den Polizistenmord in Heilbronn unklar geblieben. Zwischenzeitlich hatte es Spekulationen über einen Zusammenhang mit der Herkunft Kiesewetters aus Thüringen gegeben.
    Liiert mit Mundlos, verliebt in Böhnhardt
    In ihrer Aussage berichtet Zschäpe über ihre Beziehung zu Mundlos und Böhnhardt: An ihrem 19. Geburtstag habe Zschäpe Böhnhardt kennengelernt. Sie habe sich in ihn verliebt, sei aber noch mit Mundlos zusammen gewesen. Kurz nach Mundlos' Wehrdienst hätten sie sich getrennt. Anschließend sei sie eine Beziehung mit Böhnhardt eingegangen. So sei sie stärker in Kontakt zu Böhnhardts Freunden gekommen, die nationalistischer eingestellt gewesen seien als die von Mundlos.
    Vieles habe sie aus Liebe zu Böhnhardt getan, den sie nach einer Trennung zurückgewinnen wollte, heißt es in der Erklärung. So auch die Anmietung einer Garage zur Lagerung von Propagandamaterial und Sprengstoff. Als das Trio deshalb untertauchte, hätten Mundlos und Böhnhardt damit abgeschlossen, in ein bürgerliches Leben zurückzukehren. Die beiden hätten gesagt: "Wir haben es verkackt." Schon 2000 hätten beide den Plan gefasst, sich bei einer drohenden Festnahme zu erschießen. Auch als sie den beiden eröffnete, sich stellen zu wollen, hätten diese mit Selbstmord gedroht.
    Brandstiftung in Zwickau eingeräumt
    Zschäpe gestand, die letzte Fluchtwohnung der Terrorgruppe NSU in Zwickau in Brand gesteckt zu haben. Im Radio habe sie davon erfahren, dass ein Wohnmobil mit zwei Leichen entdeckt worden war. Sie sei sich sofort sicher gewesen, dass es sich um Böhnhardt und Mundlos gehandelt habe. Vor der Brandstiftung sei sie durchs Haus gegangen, um sicherzustellen, dass sich niemand mehr darin befinde. Mit dieser Formulierung will Zschäpe wohl eine Mordabsicht von sich weisen.

    Zschäpes neuer Pflichtverteidiger

    Beate Zschäpe hat sich während des nun zweieinhalb Jahre dauernden Prozesses vor dem Oberlandesgericht München mit ihren bisherigen drei Pflichtverteidigern Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm überworfen. Seit drei Monaten wird sie von dem Münchner Rechtsanwalt Mathias Grasel vertreten. Der 31-Jährige soll nach einem Bericht der Deutschen Presse-Agentur schon seit rund einem Jahr Zschäpe immer wieder in der Justizvollzugsanstalt Stadelheim besucht haben. Er soll ihr auch geholfen haben, mehrere Briefe an das Gericht zu schreiben, als sie versuchte, ihre bisherigen Pflichtverteidiger loszuwerden. Einer endet mit einem Postscriptum, in dem Zschäpe andeutet, sie wolle "etwas" aussagen - wenn das Gericht ihr Grasel zuteile, was auch geschah. Dessen Kanzleiprimus Hermann Borchert will Zschäpe ebenfalls als Pflichtverteidiger haben, dieser Wunsch ist ihr bislang nicht zugestanden worden. Derzeit ist er als Wahlverteidiger tätig.

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    Zschäpe war in Bedrängnis
    Zschäpe ließ sich zu Beginn des 249. Verhandlungstages des NSU-Prozesses erstmals bereitwillig fotografieren. Kurz vor ihrer mit Spannung erwarteten Aussage wandte sie sich nicht wie sonst von den Kameras weg; sie lächelte. Im Vorfeld hatten Angehörige wenig Hoffnung ausgedrückt, dass die Erklärung Zschäpes für sie neue Erkenntnisse bringen würde. Annette Ramelsberger, Gerichtsreporterin bei der Süddeutschen Zeitung, sagte in einem Interview mit dem Deutschlandfunk, dass Zschäpe mit ihrer Erklärung "nach dem letzten Strohhalm" greife. Die bisherigen Zeugenaussagen hätten die Anklage gestützt, Zschäpe sei in Bedrängnis.
    Fünf Angeklagte gibt es im Münchner NSU-Prozess, aber nur zwei sitzen in Untersuchungshaft: die mutmaßliche Rechtsterroristin Beate Zschäpe und ihr mutmaßlicher Helfer Ralf Wohlleben. Zschäpe ist als Mittäterin der überwiegend rassistisch motivierten Serie von zehn Morden und zwei Sprengstoffanschlägen angeklagt, Wohlleben soll die wichtigste Mordwaffe organisiert haben. Bisher schwiegen sie wohl, weil sie sich erhofften, die Bundesanwaltschaft werde die Vorwürfe gegen sie nicht überzeugend beweisen können. Zudem hatte Zschäpe im November 2011 bei der Polizei gesagt: "Ich habe mich nicht gestellt, um nicht auszusagen."
    (nch/dk)
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