NSU-Monologe

Spartanische Inszenierung ergreifender Geschichten

Die Eltern des ermordeten Halit Yozgat, Ayse und Ismael, sitzen am 06.04.2016 bei der Gedenkfeier zehn Jahre nach der Ermordung von Halit Yozgat in Kassel (Hessen).
Die Eltern des ermordeten Halit Yozgat, Ayse und Ismael, sitzen am 06.04.2016 bei der Gedenkfeier zehn Jahre nach der Ermordung von Halit Yozgat in Kassel (Hessen). © picture alliance/ dpa / Swen Pförtner
Von Kemal Hür · 07.11.2016
Als der NSU mordend durchs Land zog, erhielten die Angehörigen der Opfer keine Unterstützung, sondern wurden von Polizei und Medien drangsaliert. Davon erzählt das Stück "Die NSU-Monologe", das auf Interviews mit den Familien der Ermordeten basiert.
"Am Tag meiner Aussage in München wollte ich stark aussehen, weil ich nicht wollte, dass die mich in einer anderen Verfassung sieht. Es wird mir übel, wenn ich die anschaue."
"Ich habe mich nur schwer zurückgehalten."
"Frau Zschäpe hat ihren Katzen mehr Bedeutung zugemessen als Menschenleben. Die Angeklagten haben uns Schlimmes angetan. Ich spreche den anderen Familienangehörigen mein Beileid aus und wünsche ihnen Geduld."
Dasselbe Stück in zwei Aufführungen. Drei Schauspielerinnen, ein Schauspieler. Nur eine Darstellerin spielt in beiden Stücken mit. Erst auf Deutsch, dann auf Türkisch. Das Bühnenbild ist spartanisch: Die Darstellenden stehen an der Rampe vor aufgestellten Mikrofonen in einer Reihe. Hinter ihnen ein Flügel und ein Cello. Die Musik wird sparsam eingesetzt.

"Wortgetreues Theater"

Das Theaterstück basiert auf Interviews, die der Regisseur und Autor Michael Ruf von der Bühne für Menschenrechte mit Angehörigen der NSU-Morde geführt hat. Die Aussagen wurden gekürzt und verdichtet; es wurde aber nichts hinzugefügt, sagt Ruf:
"Wir nennen das wortgetreues Theater oder wortwörtliches Theater. Es handelt sich um so starke und eindrückliche Geschichten, dass es nicht notwendig ist, das Ganze zu fiktionalisieren. Sondern die Texte, die entstehen, sind stark genug, dass es im Grunde ausreicht, wenn Schauspielerinnen und Schauspieler auf der Bühne stehen und dann diese Texte in einer Art und Weise darbieten, wie sie das Publikum dann erreichen und berühren."
Die NSU-Monologe erzählen die Geschichte von Elif Kubaşık und Adile Şimşek, deren Ehemänner ermordet wurden sowie von Ismail Yozgat, dessen Sohn Halit in seinem Internetcafé in Kassel hingerichtet wurde. Die beiden Frauen wurden interviewt. Und Familie Yozgat stellte Aussagen und Protokolle zur Verfügung.
Das Stück funktioniert auf Deutsch genauso wie auf Türkisch. Das Publikum reagierte nach beiden Premieren mit Standing-Ovations und blieb anschließend noch minutenlang auf den Plätzen sitzen.
"Es war wunderbar. Dieses Gefühl haben alle, die das gespielt haben oder gesprochen haben, sehr gut rüber gebracht. Es war beeindruckend."
"Meine Sitznachbarn und ich haben geweint. Oft konnte ich nicht richtig atmen."
"Es war ein Gefühl, als ob man das Ganze miterlebt hätte."
"Teilweise hat uns die Regie vielleicht geschont, damit hier nicht so viele Tränen fließen. Insgesamt war ich beeindruckt von den Frauen, was sie aushalten mussten. Das war Wahnsinn, jeden Tag fünf bis sechs Stunden von der Polizei verhört zu werden."
Das Stück stellt die drei Angehörigen der NSU-Opfer als gewöhnliche Menschen vor. Frau Kubaşık und Frau Şimşek erzählen ihre Lebensgeschichten vom Kennenlernen ihrer Partner an. Ismail Yozgat beginnt seine Geschichte mit der Geburt seines ermordeten Sohnes Halit.

Einblick in das persönliche Leben der Opfer

Der Zuschauer bekommt einen Einblick in das persönliche Leben der Personen, von ihren Hoffnungen, in Deutschland eine neue Heimat zu finden, ihrem Mut, nach den Morden und den Beschuldigungen durch die Ermittlungsbehörden und die Medien nicht zu zerbrechen sowie der Hoffnung an Gerechtigkeit.
"Acht, neun Polizisten sind rein, mit Waffen."
"Warum bist du abgehauen? Du hast deinen Mann umgebracht."
"Ich hab gefragt, was ist passiert? Erschossen? Sie haben mich vernommen."
"Warum hast du deinen Mann umgebracht?"
"Ich bin in Ohnmacht gefallen."
Bei den Premieren waren auch die beiden Protagonistinnen und die Geschwister von Halit Yozgat anwesend. Elif Kubaşık erlitt nach der deutschen Premiere einen Zusammenbruch und musste ärztlich behandelt werden. Nach der türkischen Uraufführung war sie gefasster und mit dem Stück sehr zufrieden.
"Es ist ein gutes Gefühl, unsere Geschichte auf der Bühne zu sehen. Das ist wichtig, damit die Menschen erfahren, was wir durchgemacht haben, welche Qualen wir erlitten haben. Ich wünsche mir, dass das Stück überall aufgeführt wird, damit die Menschen erfahren, wie es uns ergangen ist."

"Ich möchte, dass alles aufgeklärt wird"

Adile Şimşek, die Frau des getöteten Blumenhändlers Enver Simsek, sagt, sie habe ihre Geschichte erzählt, weil sie wollte, dass alle, die sie selbst beschuldigt hätten, die Wahrheit erfahren. Sie habe nach wie vor die Hoffnung, dass die Morde aufgeklärt würden.
"Ich möchte, dass alles aufgeklärt wird. Bundeskanzlerin Merkel hatte das versprochen. Ich hoffe, sie wird Wort halten. Ich glaube fest daran, der Staat wird dafür sorgen, dass alles aufgeklärt wird."
Das Stück überzeugt durch seine Dichte, kommt ohne übertriebene Dramatik aus und ergreift allein durch das schlichte Nacherzählen. Die vorgestellten Personen verdichten sich zu sympathischen Menschen, die vielfach gebrochen und doch stark genug sind, am Leben festzuhalten.

Die NSU-Monologe - Der Kampf der Hinterbliebenen um die Wahrheit
Zweisprachige Aufführung am Heimathafen Neukölln
Eine Produktion der Bühne für Menschenrechte
Buch und Regie: Michael Ruf
Mit: Selin Kavak, Asad Schwarz-Msesilamba, Atilla Oener, Elisabeth Pleß, Hürdem Riethmüller, Meri Koivisto, Selale Gonca Ceri
Weitere Aufführungen: 15-19.11.; 6.-7.12.2016 und 11.-14.1.2017

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