Notunterkünfte für Geflüchtete

Gemeinden fühlen sich im Stich gelassen

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Blick in eines der großen Zelte, das im hessischen Bensheim als Sammelunterkunft für Geflüchtete dient.
Plastikfolien an Bauzäunen trennen Parzellen ab: Die Bierzelte, die im hessischen Bensheim Geflüchteten als Unterkunft dienen, waren als vorübergehendes Provisorium gedacht. © Deutschlandradio / Ludger Fittkau
Von Ludger Fittkau  · 08.11.2022
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Städte und Gemeinden können die wachsende Zahl von Geflüchteten kaum noch unterbringen. Provisorisch aufgestellte Zelte sind für den Winter bedingt geeignet. Nicht nur der hessische Landkreis Bergstraße fordert mehr Unterstützung von Bund und Land.
Die Flüchtlingsunterkunft in der südhessischen Stadt Bensheim an der Bergstraße. Im Inneren des Zeltes stehen mit schwarzen Plastikfolien behängte Bauzäune. Sie trennen kleine Parzellen ab, in denen jeweils bis zu sechs Geflüchtete leben. Drei Doppelstockbetten, ein paar Spinde. Die Toiletten befinden sich außerhalb des Zeltes in Containern.
Eines der insgesamt vier großen Bierzelte dient als Kantine und Aufenthaltsraum. Ein Caterer liefert Frühstück und eine warme Mahlzeit am Mittag. In einer Ecke des Zeltes ist eine Aufladestation für Handys eingerichtet – hier sind alle Plätze besetzt.
Hamsa Hesni ist 19 Jahre alt, stammt aus Marokko und studierte in der ostukrainischen Metropole Charkiw, als der Krieg begann. Nun hilft er bei der Lebensmittelausgabe im Sozialzelt der Sammelunterkunft in der Nähe eines kleinen Badesees in der südhessischen Stadt Bensheim an der Bergstraße.
„Ich hoffe, ich kann mein Studium nun hier in Deutschland fortsetzen. Ich lerne nun Deutsch, damit ich dann an die Uni gehen und dort eine Ausbildung machen kann“, erzählt er.

Großes Gedränge, keine Privatsphäre

Jens Vahldiek vom Deutschen Roten Kreuz ist hier einer der Betreuer. Das Zeltdorf will er nicht Lager nennen: „Das Rote Kreuz ist hier als Betreiber eingesetzt. Wir nennen das hier gerne ‚Camp am See‘.“ Das klingt freundlicher, doch es macht das Zeltdorf nicht weniger unwirtlich.

Wir haben hier Stand heute 430 Personen beherbergt. Es werden jetzt in dieser Woche noch mal um die 70 Personen erwartet. Von der Kapazität her sind wir, wenn wir die Vollauslastung haben und wirklich alle drei Wohnzelte entsprechend hergerichtet sind, zwischen 900 und vielleicht 1000.

Jens Vahldiek, Rotes Kreuz

Dann wird das Gedränge groß, und das Leben in den Sammelunterkünften noch beschwerlicher. Die Zelte stehen auf dem nicht-asphaltierten Festplatz der Stadt. Wenn es regnet, wird der Boden matschig. Privatsphäre gibt es hier nicht, auch keine Kochmöglichkeit. Dafür aber Supermärkte in der Nähe.
„Wir haben natürlich Geflüchtete aus der Ukraine, aber auch Drittstaatler sind insgesamt dabei“, erklärt Jens Vahldiek vom Roten Kreuz.

Provisorische Zeltunterkünfte winterfest machen

„Asylbewerber – das sind Menschen vorwiegend aus Afghanistan, Syrien aber auch Kurden“, sagt Matthias Schimpf. Er ist Politiker der Grünen und als Beigeordneter des Landkreises Bergstraße in Südhessen für die Unterbringung der Geflüchteten zuständig.
Das Zeltdorf wurde nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine Ende Februar dieses Jahres aufgebaut, so Schimpf: „Wir haben die Zelte damals in der Hoffnung gestellt, dass wir sie für drei, vier Monate brauchen. Dann ging ja auch tatsächlich die Zahl der Flüchtlinge aus der Ukraine leicht zurück, wobei man sagen muss: Im Kreis Bergstraße gab es nie mehr Wegzug als Zuzug, das heißt, es werden netto immer mehr Menschen als die, die aus der Ukraine wieder gegangen sind.“
Denn: „Wir haben festgestellt, dass nun auch Drittstaatler zu uns kommen. Deswegen werden diese Zelte jetzt winterfest gemacht. Sie waren immer schon beheizbar, jetzt werden wir innen abdichten und Vliese vor die Wände hängen, sodass wir eine Raumtemperatur bekommen, bei der man sich auch drin aufhalten kann.“

„Der Immobilienmarkt ist zu“

Ideal ist das nicht, aber was soll er machen? Alternativen zu dem Zeltdorf gebe es nicht, der Wohnungsmarkt sei leer gefegt, sagt Grünen-Politiker Matthias Schimpf.

Man muss es sehr deutlich sagen: Ich war ja schon 2015 für das Thema verantwortlich als Dezernent und bin jetzt seit 1. August 2022 wieder Dezernent. Und wenn man das vergleicht: Die Situation ist wesentlich schwieriger als 2015. 2015 bestand die Möglichkeit, dass wir auf dem freien Markt noch Immobilien, sei es Gewerbehallen oder Ähnliches anmieten konnten.

Diese Möglichkeit gibt es im Augenblick faktisch nicht mehr, weil der Immobilienmarkt zu ist. Das heißt, für uns wird es immer schwieriger, Plätze zu schaffen.

Matthias Schimpf, Politiker der Grünen

Dies bedeute auch, dass die Menschen, die nun ins Zeltdorf am Rande von Bensheim kommen, dort vermutlich länger ausharren müssen, auch im Winter.
„Bund und Land, das muss man sehr deutlich sagen, machen sich da einen sehr schlanken Fuß. Wir bekommen immer schöne Schreiben auch vom hessischen Landkreistag, wie schwierig die Situation ist und dass das Land das auch sieht, aber dass das Land uns leider nicht helfen kann. Und wenn die Frau Bundesinnenministerin sagt, sie würde Bundesimmobilien zur Verfügung stellen, das freut mich im Kreis Bergstraße, nur haben wir hier keine Bundesimmobilien“, kritisiert Matthias Schimpf.
Und weiter: „Das ist praktisch ein Geschenk, dass uns nichts bringt. Unsere Forderung muss eigentlich klar sein, dass das Land seine eigenen Vorhaltekapazitäten deutlich erhöht. Es kann nicht sein, dass praktisch eins zu eins an die Kommunen durchgeschleust wird und wir am Schluss nicht wissen, wohin mit den Menschen.“

Bund und Land helfen nicht ausreichend

Diese Forderung richtet der grüne Kreisbeigeordnete de facto an einen Parteifreund. Der hessische Minister für Soziales und Integration ist ebenfalls ein Grüner und heißt Kai Klose.
Seine Pressestelle beantwortet die Anfrage nach einem Interview zum Thema schriftlich: „Der Landesregierung ist bewusst, dass die Unterbringungssituation in den Kommunen infolge der Aufnahme großer Zahlen von sowohl ukrainischen Kriegsvertriebenen als auch Asylbewerben hessenweit in den Kommunen sehr angespannt ist.“
Es fänden aktuell Gespräche zwischen Bund und Ländern zum Thema statt. Außerdem habe das Land die eigenen Unterbringungsplätze von 5400 vor einem Jahr auf nun rund 8700 Plätze erweitert.
Aus Sicht des Landkreises Bergstraße in Südhessen ist das längst nicht genug. Turnhallen und Bürgerhäuser will der südhessische Landkreise Bergstraße diesmal möglichst nicht öffnen für die große Zahl von Geflüchteten, die zurzeit kommen.
"Unser Wunsch ist nach wie vor, dass wir keine öffentlichen Liegenschaften, weder Sporthallen noch Bürgerhäuser belegen wollen", sagt der grüne Beigeordnete Matthias Schimpf. Vor allem nach der Pandemie sollen Sport und soziale Aktivitäten nun nicht schon wieder eingeschränkt werden. Doch vieles hängt auch davon ab, wie sich die Flüchtlingszahlen im Winter entwickeln werden.
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