Israelische Nobelpreisträger

Mit Bescheidenheit und Demut

06:21 Minuten
Zwei ältere Männer sitzen nebeneinander in einem Chemielabor und lächeln in die Kamera. Einer von ihnen hält ein aufgeschlagenes Notizbuch auf dem Schoß.
Für ihre Forschung in der Zellbiologie, die heute in der Krebstherapie Anwendung findet, wurden Avram Hershko (links) und Aaron Ciechanover 2004 mit dem Chemie-Nobelpreis ausgezeichnet. © Getty Images / Dan Porges
Von Blanka Weber · 09.12.2022
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Am 10. Dezember werden erneut die Nobelpreise verliehen. Insgesamt gibt es auffallend viele israelische Nobelpreisträger. Sie wurden zumeist von der Shoah geprägt - wie die Chemiker Aaron Ciechanover und Avram Hershko, die gänzlich bei Null begannen.
„Sie kamen aus Polen - meine Mutter aus Warschau und mein Vater aus Nordpolen, da gibt es eine Stadt mit dem Namen Ciechanow. Ciechanover ist von Ciechanow.“
Aaron Ciechanover ist heute 74 Jahre alt. Geboren 1947 in Haifa, der Stadt, in der er heute noch lebt. 2004 hat er den Chemie-Nobelpreis bekommen. Gemeinsam mit Irwin Rose und Avram Hershko, allesamt jüdisch.

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Die Religion habe ihn immer begleitet. Die Werte, sagt Aaron Ciechanover, ziehen sich durch das gesamte Leben. Der Großvater war Rabbiner: 
„Ich kam aus einer sehr religiösen Familie und wuchs auch religiös auf, dann aber verlor sich das tägliche Ritual ein wenig im Alltag.“
Dass er einst als Wissenschaftler geehrt werden würde, hätte er nie für möglich gehalten - denn als Jugendlicher wäre er fast vom Weg abgekommen.

Kurz vor dem Kollaps

Mit zehn Jahren verlor er die Mutter, den Vater mit 15. Er sei direkt auf der Straße gelandet, kriminelle Szene inklusive, manchmal habe ihn die Polizei aufgegriffen.
„Mein Bruder und meine Tante haben mich dort wieder rausgeholt; ich verdanke ihnen viel. Sie waren es auch, die dafür sorgten, dass ich wieder Neugier entwickelte und den Willen zu studieren. Ich war kurz vor einem Kollaps.“
Die Zellforschung ist sein Gebiet geworden, Proteine und Moleküle - eine Forschung, die heute auch Medikamenten in der Krebstherapie zugutekommt. Darauf ist er stolz und das, was er gelernt hat, hat er auch Avram Hershko zu verdanken - seinem einstigen Lehrer, Mentor und späteren Kollegen, mit dem er sich heute den Preis teilt.
„Ich wurde in Ungarn geboren. Meine Familie musste vor dem Holocaust fliehen, da war ich sechs Jahre alt. Wie durch ein Wunder entkamen wir nach Israel. Ich hatte eine sehr enge Familienbindung und fürsorgliche Eltern.“
… die bestrebt waren, ihren beiden Kindern die beste Bildung zu ermöglichen. Das Gehalt des Vaters wurde in das Schulgeld der Kinder investiert. Avram Hershko ist ein bescheidener Mann, geprägt von einer tiefen Ruhe und Dankbarkeit.

Lebenslanges Lernen und Hartnäckigkeit

„Ich denke, es ist typisch für die jüdische Tradition, immer zu lernen, sich zu bilden - das zieht sich durch die jüdische Geschichte.“
Der Biochemiker mit Spezialisierung auf Zellbiologie forschte schon früh an Proteinen.
„Da ist immer viel Kampf - im Leben, aber auch in der Wissenschaft - man muss fokussiert sein, zielgerichtet, darf nicht aufgeben. Es gibt ständig Schwierigkeiten. Hartnäckig sein ist sehr wichtig.“
Ihn beschäftige derzeit der Klimawandel, wie sich Wasserstände verändern, Böden, Wälder und die Landwirtschaft. Aber auch der stete, ungelöste politische Konflikt in seinem Land ist sein Thema. Die Fragen der Gegenwart treiben ihn - den Zellforscher - um, die Religion bestimmt nach wie vor seine Werteskala.
„Das Leben ist nicht leicht! Jüdisch zu sein heißt, Werte zu haben, und diese Jüdischkeit ist wichtig für mich.“

Die Poesie des Kantorengesangs

Bei Aaron Ciechanover ist es ähnlich. Seinen Beruf bezeichnet er als Hobby, weil die Forschung eine Freude sei. Doch da gibt es noch etwas:
„Mein größtes Hobby ist der jüdische Kantorengesang - ich habe eine riesige Sammlung von Aufnahmen und ich gehe zu Konzerten von Kantoren. In Tel Aviv gibt es einige, die singen, beten und diesen Gesang regelrecht zelebrieren. Es ist nicht nur die Musik, es ist die Poesie dahinter, das Menschliche und die Demut.“
Ein Wort, das oft fällt. Denn als Mediziner, sagt Ciechanover, denke er oft über Leben und Tod nach.
„Als ich früher als Arzt beim Militär gedient habe, war ich mit einem orthodoxen Juden in einem Kriegsgebiet im Einsatz, und dann haben wir überlegt: Was sollen wir tun, wenn wir plötzlich Menschen retten müssen? Wem helfen wir zuerst? Wem danach? Haben die leicht Verwundeten den Vorrang, weil sie eher durchkommen oder die Schwerverwundeten, weil dort die Zeit tickt? Wie entscheidet man sich?“
Eine Frage, die beide an einen Rabbiner gaben, mit dem Ergebnis: Es gibt kein Schwarz und kein Weiß, kein mehr oder weniger, denn das menschliche Leben im Allgemeinen sei der größte Wert im Judentum.

Arbeit zum Hobby machen

Und daraus speist sich für Ciechanover eine Ethik, die er aus der Religion in seinen Beruf übertragen hat:
„Ich habe also das Judentum in meinem Leben auf anderen Wegen mitgenommen: in der Musik, vor allem aber in moralischen und ethischen Aspekten.“
Sein größter Wunsch wäre es, in der Krebsforschung noch einen Schritt weiterzukommen, ein Medikament auf den Markt zu bringen und jungen Menschen zu vermitteln: Mache das, was Dich begeistert - wenn sich das dann wie ein Hobby anfühlt, bist du richtig.
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