Nicole Zepter: "Der Tag, an dem ich meine Mutter wurde"

Spurensuche in der eigenen Familie

Buchcover Nicole Zepter: "Der Tag, an dem ich meine Mutter wurde: Tochtersein zwischen Liebe und Befreiung"
Nicole Zepter ist mit ihrem Buch ein schwieriger Spagat gelungen. © Blessing / imago / Ikon Images
Von Dorothea Westphal · 11.08.2018
Welche Tochter will schon werden wie die eigene Mutter? Für diese Urangst haben wir sogar ein eigenes Wort: Matrophobie. Aber was tun, wenn es trotzdem passiert? Nicole Zepter ergründet die ambivalente Beziehungen zwischen Müttern und Töchtern.
Matrophobie wird die Angst der Töchter, so zu werden wie die Mutter, genannt. Doch warum ist das so? Die Publizistin Nicole Zepter nimmt ihre eigene Familiengeschichte zum Ausgangspunkt, um das ambivalente Verhältnis zwischen Müttern und Töchtern zu ergründen. Dafür führte sie Gespräche mit ihrer Mutter und verschränkt die eigene Geschichte mit diversen wissenschaftlichen Untersuchungen und Studien zu dem komplizierten Thema Familie.
Die Ähnlichkeiten mit der Mutter zeigten sich in der Liebesbeziehung zu einem Mann, der auch der Vater ihres Kindes ist, und die nach 14 Monaten bereits scheiterte. Zepter stellte fest, dass sie sich gerade in Konfliktsituationen so verhielt wie sie es an ihrer Mutter nie gemocht hatte.
Hinzu kam eine fast unheimliche Parallele mit dem Leben ihrer Mutter. Deren Liebesverhältnis mit einem verheirateten Mann, dem die Autorin entstammt, hatte 1976 begonnen und endete ebenfalls nach 14 Monaten. Dass sie als uneheliches Kind aufwuchs und ihr Vater eigentlich ihr Stiefvater war, hatte die Mutter ihr bis zu ihrem 18. Geburtstag verheimlicht.

"Auch wer die Familie ablehnt, richtet sich nach ihr"

Ihre komplizierte Familiengeschichte wird durch die wissenschaftliche Recherche, mittels der die Journalistin Nicole Zepter verschiedene Phänomene und Verhaltensweisen erklärt, zu einer faszinierenden Lektüre. Das Thema Familie geht uns schließlich alle an. Denn die Familie ist "das stärkste soziale Gefüge. Auch wenn wir sie ablehnen, richten wir uns nach ihr aus".
So spielt beispielsweise die Frage, warum wir Verhaltensweisen, die uns nicht gut tun – auch frühe maladaptive Schemata genannt – wiederholen, in Psychotherapien eine große Rolle. Zepter, die sich im Zuge der Recherche ebenfalls einer Therapie unterzog, konnte, indem sie ihre eigenen Erfahrungen mit denen ihrer Mutter verglich, dieser erstmals auf Augenhöhe begegnen.
Sie untersucht Probleme, die vor allem Töchter betreffen, etwa, was es für Auswirkungen hat, wenn der Vater fehlt oder warum es so schwierig ist, die eigene Identität zu finden. Denn viele Töchter konzentrieren sich so sehr darauf, sich bewusst von der Mutter abzusetzen, dass sie die eigenen Wünsche und Bedürfnisse gar nicht mehr wahrnehmen können -– ein Verhalten, das in der Wissenschaft "bezogene Individuation" genannt wird.

Nicole Zepter gelingt ein schwieriger Spagat

Dies trifft besonders auf Frauen aus Nicole Zepters Generation zu, deren Mütter sich meist noch über die Rolle als Hausfrau und Mutter definierten. Sie gaben ihren Töchtern deshalb häufig den Auftrag mit, das Leben anzustreben, das sie selbst nicht führen konnten: unabhängig zu sein, Karriere zu machen, sich zu emanzipieren. Da sie selbst in der Hinsicht kein Vorbild sein konnten, führte dies bei den Töchtern zu Enttäuschung und Verwirrung, denn: "Nichts wirkt seelisch stärker auf die Kinder als das ungelebte Leben der Eltern" (C.G. Jung).
Um die Mutter besser zu verstehen, hat sich Nicole Zepter auch mit den Großeltern befasst, einer Generation, die aufgrund der Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges nur schwer über Gefühle sprechen konnte. Diese mangelnde emotionale Kompetenz hatte oft fatale Auswirkungen auf Kinder und Enkel.
Die Offenheit, mit der Zepter erzählt, gelingt wohl auch deshalb, weil sie die autobiografischen Passagen literarisiert hat und damit in eine Rolle schlüpfen konnte, die ihr eine gewisse Distanz ermöglichte. Der schwierige Spagat zwischen autobiografischer Spurensuche und Sachbuch ist ihr gelungen: Ein Buch, das Mut macht, versöhnlicher auf die eigene Familie zu blicken und das Gespräch mit den Eltern zu suchen, um nicht nur diese, sondern auch sich selbst besser zu verstehen.

Nicole Zepter: "Der Tag, an dem ich meine Mutter wurde: Tochtersein zwischen Liebe und Befreiung"
Blessing
240 Seiten, 17 Euro

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