Lucy Fricke: "Töchter"

Am Rande des Nervenzusammenbruchs

Buchcover Lucy Fricke: Töchter
Statt in die Schweiz verschlägt es die beiden Frauen auf eine griechische Insel © Rowohlt / picture-alliance / Daniel Gammert
Von Manuela Reichart · 09.03.2018
Eine fulminante Roadnovel: Zwei Freundinnen brechen auf in eine Schweizer Sterbeklinik, um den Vater der einen in den Tod zu begleiten. Doch dort kommen sie nie an. In "Töchter" erzählt Lucy Fricke hinreißend und erfrischend von zwei Frauen, die sich fürs Durchbrennen entscheiden.
Betty ist gerade in Rom, wohnt in einem Hotel der untersten Kategorie und hängt fest in dieser Stadt, in die sie nie wollte. Doch als der hilfesuchende Anruf von Martha sie erreicht, nimmt sie den ersten Flug zurück nach Berlin.
Eine Frau Anfang 40, deren Krisen mit dem Alter "kultivierter" werden, die davon lebt, dass sie ihre Wohnung an Partytouristen vermietet für 80 Euro die Nacht. Ihre Freundin versucht seit einem Jahr verzweifelt schwanger zu werden, unterzieht sich einer erfolglosen Hormonbehandlung nach der anderen. Zwei Freundinnen am Rande des Nervenzusammenbruchs. Sie sind verbunden durch eine lange Geschichte, schief gegangene Lieben und fehlgelaufene Hoffnungen - und durch ziemlich verkorkste Vatergeschichten. Die eine hatte gleich drei zur Auswahl, die andere 30 Jahre nichts vom Vater gehört, bis der sich als krebskranker Rentner in ihr Leben drängt: "Sie habe inzwischen wahrscheinlich tausend Stunden mit ihm telefoniert, und fünf seien es sogar wert gewesen."

Eine Reise der besonderen Art

Dieser alte Mann will seinem Leben in einer Schweizer Sterbeklinik nun ein Ende bereiten. Die Tochter soll ihn dort hinbringen. Und die bittet ihre alte Freundin um Beistand und Begleitung. Zögern und zaudern hilft nichts. Freundinnen helfen einander. Und so beginnt eine Reise der besonderen Art, auf der sich nichts entwickelt wie geplant, die statt nach Chur erst an den Lago Maggiore geht, auf der der eine Vater eine letzte Betrugsvolte schlägt, dann auf eine griechische Insel, auf der der andere aus dem Reich der Toten auftaucht.
Lucy Fricke erzählt auf kluge und komische, traurige und erfrischende Weise von zwei Frauen, die sich fürs Durchbrennen entscheiden, die miteinander lachen und übereinander den Kopf schütteln können. Das Alter lauert jeden Morgen hinterm Spiegel und die alten Kindergeschichten sind trotzdem kein Schnee von gestern. Hier wird nicht gejammert und gebarmt, vielmehr noch schnell dem Leben abgetrotzt, was es zu bieten hat. Die Sache mit den Männern war nicht wirklich erfolgreich und die mit den Vätern hat das Leben grundsätzlich auf die schiefe Bahn gebracht.

Einfach mal aussteigen

Die Autorin kennt die einschlägige Literatur, die bekannten Filme: Thelma und Louise lassen grüßen, aber nur von Ferne, denn hier führt der Weg nicht in den Abgrund, sondern geradewegs in eine ganz und gar unausweichliche Realität - und manchmal ist die filmreif.
Ein realistisch-skurriles Kapitel trägt die Überschrift "Frauen, die aus Autos steigen". Dass und wie das manchmal nötig ist, wie es überhaupt notwendig sein kann, mal kurz und grundsätzlich aus dem eingefahrenen Leben auszusteigen, davon erzählt Lucy Fricke hinreißend und unterhaltsam.

Lucy Fricke: Töchter
Rowohlt Verlag, Hamburg 2018
240 Seiten, 20 Euro

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