Neue Bücher über 1918

Ein Schicksalsjahr für Europa

Menschenmengen sammeln sich während der Novemberrevolution 1918 in München.
Menschenmengen sammeln sich während der Novemberrevolution 1918 in München. Am 7./8. November 1918 proklamierte der bayerische Ministerpräsident Kurt Eisner den republikanischen "Freistaat Bayern". © picture alliance/dpa/
Hans von Trotha im Gespräch mit Joachim Scholl · 05.04.2018
Nach 1914 haben viele Autoren nun auch das Kriegsende, 1918, als Schicksalsjahr für Europa in den Blick genommen. Die Neuerscheinungen kreisen um die Frage, wie die Weichen für Demokratisierung und Radikalisierung der kommenden Jahrzehnten gestellt wurden.
1918 – vor hundert Jahren ging der Erste Weltkrieg zuende. Der grausamste, blutigste Krieg, den es bis dahin gegeben hatte. Aber nicht nur das: Aus den Schlachtfeldern erhob sich eine neue Weltordnung, vor allem Europa erhielt ein völlig anderes Gesicht: mit weniger gerkrönten Häuptern, dafür mit mehr Demokratie. Das Jahr 1918 scheint also so etwas wie ein Schicksalsjahr in der europäischen Geschichte zu sein.
Nicht von ungefähr sind deshalb dieser Tage zahlreiche Bücher erschienen, die dieses Jahr in den Blick nehmen. Literaturkritiker Hans von Trotha hat sich einige der Neuerscheinungen angesehen.
Joachim Käppner, "1918. Aufstand für die Freiheit. Die Revolution der Besonnenen", Piper Verlag, 2017, 528 Seiten, 28 Euro
Buchcover, Joachim Käppner, 1918. Aufstand für die Freiheit. Die Revolution der Besonnenen, Piper Verlag
Joachim Käppner, "1918. Aufstand für die Freiheit. Die Revolution der Besonnenen", Piper Verlag© Piper Verlag
Dieses Buch ist schon im November 2017 erschienen. Käppner ist ausgebildeter Historiker, arbeitet als Redakteur und Autor bei der "Süddeutschen Zeitung". Gut lesbar, gibt er zunächst einen Überblick über verschiedene Phasen des Umgangs mit der deutschen Revolution – und meint: Noch immer sei das Wissen darüber und damit das Wissen über die einmalige Gelegenheit, der deutschen Geschichte eine völlig andere Wendung zu geben, außerhalb der engeren Fachzunft erstaunlich gering, trotz des neu erwachten Interesses an der Geschichte des Ersten Weltkriegs.
In der DDR wurde der Blick bald nicht mehr auf die Revolution gelenkt, weil die die Rolle der Partei schmälerte. In der Bundesrepublik wurde sie stark marginalisiert. Nach der Wende sank das Interesse gar auf den "Nullpunkt". Käppner fordert eine "weitere Historisierung" der Debatte. Er will in seinem Buch die Geschichte erzählen - natürlich immer im Wissen, dass sie im Nationalsozialismus endet. Zitat: "Die Revolution von 1918 ist ein Meilenstein in der Geschichte der verkannten und vernachlässigten Geschichte der deutschen Freiheitsbewegungen. Dieses Buch möchte helfen, Verständnis für diese historische Errungenschaft zu wecken."
Käppner integriert oral history in Form später aufgezeichneter Erinnerungen von Beteiligten am Kieler Matrosenaufstand von 1918 und fügt am Ende Lebenswege der Beteiligten nach 1919 an. Er weist zudem darauf hin, dass der "Spiegel" nach 50 Jahren den Ereignissen eine Serie widmete – und darin feststellte, dass hier wie da derselbe Slogan skandiert wurde: "Wer hat uns verraten, Sozialdemokraten!" – "Die Sozialdemokraten haben die Macht, aber fürchten sie zugleich so sehr, dass sie Hilfe bei de alten Gewalten suchen", schreibt Käppner, und: "Die Unterschätzung der Rechten entspricht der Überschätzung der radikalen Linken."

Die für alles Kommende zentrale sogenannte "Dolchstoßlegende" nennt Käppner salopp "Fake News 1918". Sein Fazit lautet: "Selten hat eine Revolution leichter gesiegt – wie es scheint. Aber selten hat eine Revolution auch solch katastrophale Startbedingungen gehabt: eine vom Krieg zutiefst erschütterte und gespaltene Gesellschaft, voller Not und Hunger im Schatten eines Krieges, der verloren und nicht vorüber ist."
Buchcover, Kersten Knipp, Im Taumel. 1918 – Ein europäisches Schicksalsjahr, Theiss Verlag
Kersten Knipp, "Im Taumel. 1918 – Ein europäisches Schicksalsjahr", Theiss Verlag© Theiss Verlag
Kersten Knipp, Im Taumel. 1918 – Ein europäisches Schicksalsjahr, Theiss Verlag, 2018, 424 Seiten, 29,95 Euro

Kersten Kneipp ist Publizist und Journalist, Politik-Redakteur bei der Deutschen Welle, für den Deutschlandfunk und andere ARD-Sender. Er beginnt mit einem Zitat des französischen Marschalls Ferdinand Foch über den Versailler Vertrag: "Das ist kein Frieden. Ds ist en Waffenstillstand auf zwanzig Jahre." Überhaupt setzt Kneipp durchgängig stark auf Schlagworte, abgewandelte Zitate und Pointen – wie: "Porträt der Patrioten als juge Männer", "Die neue Vermessung der Alten Welt", "Der Frieden der Anderen", "Schuld und Sühne", "Schlaflos in Allenstein" … Es ist Geschmacksache, ob einen das eher stört, oder ob man darin eine Hilfestellung sieht, komplexe Zusammenhänge leichter konsumierbar zu machen. Ausführlich geht Kneipp auf die Geschichte des Habsburgerreichs ein, das ja auch 1918 endgültig zusammenbricht, dann auf Polen, auf den tschechischen Unabhängigkeitskampf, schließlich die Pariser Friedenskonferenz, die er unter die Überschrift "An den Quellen des Hasses" stellt, endend bei der Hoffnung Völkerbund und einem Epilog über Europa auf der Suche nach sich selbst in unseren Tagen.
"1918. Die Deutschen zwischen Weltkrieg und Revolution", hrsg. von Gerhard Hirschfeld, Gerd Krumreich und Irina Renz, Christoph Links Verlag, 2018, 312 Seiten, 25 Euro

Das Buch beginnt mit Harry Graf Kesslers berühmtem Tagebucheintrag vom 31. Dezember 1918: "Letzter Tag dieses furchtbaren Jahres. 1918 wird wohl ewig die schrecklichste Jahreszahl der deutschen Geschichte bleiben" – verbunden mit der Feststellung, dass dieser Satz nicht lange Gültigkeit behielt. Das ist der Bogen, den das Buch spannt, das sich als "Kaleidoskop" sieht. Es ist eine kuratierte und dramaturgisch komplilierte Sammlung von Quellenzitaten, Original-Tönen aus dem Jahr 1918: Briefen, Tagebucheinträgen, Aufrufen, Artikeln, Befehlen, Auszügen aus Dokumenten wie dem Waffenstillstandsabkommen. Diese sind nicht nach Monaten sortiert, sondern nach Jahreszeiten: "Frühjahr der Hoffnungen", "Sommer der Enttäuschungen", "Herbst der Niederlage", "Winter der Revolution". Jedem Kapitel ist eine Chronologie der Ereignisse vorangestellt, dann folgen die Quellenzitate. Viele erschütternde, auch viele erschütternd weitsichtige Dokumente sind dabei. Das kann sehr erhellend sein.

Andreas Platthaus, "18/19. Der Krieg nach dem Krieg. Deutschland zwischen Revolution und Versailles", Rowohlt Berlin, 2018, 448 Seiten, 26 Euro

Die gut lesbare Darstellung des FAZ-Literaturchefs ist ein Paradebeispiel für gelungenes, journalistisches, historisches Schreiben im Gegensatz zu wissenschaftlichem: Platthaus beginnt mit der Zurschaustellung von Kriegsversehrten im Spiegelsaal von Versailles genau dort, wo wenig später die deutsche Delegation platziert wurde. Solche Gesten werden im Verlauf des Buchs immer wieder betont und interpretiert.
Buchcover,
1918. Die Deutschen zwischen Weltkrieg und Revolution. Hrsg. von Gerhard Hirschfeld, Gerd Krumreich und Irina Renz, Christoph Links Verlag
"1918. Die Deutschen zwischen Weltkrieg und Revolution", hrsg. von Gerhard Hirschfeld, Gerd Krumreich und Irina Renz, Christoph Links Verlag© Christoph Links Verlag
Buchcover, Andreas Platthaus, 18/19. Der Krieg nach dem Krieg. Deutschland zwischen Revolution und Versailles, Rowohlt Berlin
Andreas Platthaus, "18/19. Der Krieg nach dem Krieg. Deutschland zwischen Revolution und Versailles", Rowohlt Berlin© Rowohlt Berlin
In Versailles sollten die Verseherten an die Gräuel erinnern. "In Deutschland dagegen erinnerte jedes zerstörte Gesicht an die Demütigung des verlorenen Krieges", schreibt der Autor. Platthaus gliedert sein Buch in Teil I: "Die deutsche Verzweiflung", Teil 2 "Der Vertrag, der den Frieden bringen soll.", Teil 3 "Der Schlussakt. Vergeltung in Versailles". Sein Fokus sind die Verhandlungen und schließlich der Vertrag von Versailles.
Also geht er vom Waffenstillstand aus, verfolgt die Zeitspanne November 1918 bis Juni 1919. Journalist, der er ist, interessiert ihn immer wieder die Rolle der Presse – so etwa der Umstand, dass die Stimmung im Land gar nicht so revolutionär war, wie es in Berlin den Anschein haben mochte.´Dass man dort aber tagelang nur die von den Aufständischen zensierte Presse zu lesen bekam. Er setzt, eher feuilletonistisch als wissenschaftlichg, Schwerpunkte nach Persönlichkeiten, die ihn besonders faszinieren: Kurt Eissner, Albert Einstein ("Der internationale Blick"), Theodor Wolff ("Der nationale Blick"), Claude Monet (und seine Schenkung der berühmten Seerosen an die Französische Nation als "Stilleben des Sieges"). Ausführlich verhandelt er den Vertrag von Versailles, dessen kürzerster Abschnitt der zu Deutschland und Österreich ist, wie er feststellt – es sollte hier keinerlei Interpretationssspielraum entstehen. Als größtes Problem des Vertrags macht Platthaus die Kriegsschuldthese aus, die er in ein Klima im Umgang mit deustchland einbettet, das er "Demütigung als Prinzip" nennt. Die Folgen dieser Strategie sind bekannt.
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