Nadire Biskin: „Ein Spiegel für mein Gegenüber“

Wie weit geht die Willkommenskultur?

15:10 Minuten
Illustration einer Frau mit Hijab. Sie schaut zur Seite.
Nadire Biskins Debütroman thematisiert die Diskussion um das Kopftuch bei muslimischen Lehrerinnen. Die Autorin sagt, eine Jack-Wolfskin-Jacke sei genauso wenig neutral. © Getty Images / Salim Hanzaz
Nadire Biskin im Gespräch mit Joachim Scholl · 22.02.2022
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Eine Lehramtsreferendarin hat es satt, auf ihre türkische Herkunft reduziert zu werden – und beschließt, Kopftuch zu tragen. In Nadire Biskins erstem Roman geht es um Integration und Marginalisierung in Deutschland und der Türkei.
„Ein Spiegel für mein Gegenüber“ heißt der erste Roman von Nadire Biskin. Sie ist Mitte 30 und als Kind türkischer Eltern in Berlin-Wedding geboren. Dieser Stadtteil spielt bereits in etlichen ihrer früheren Texte eine Rolle. Auch die Heldin ihres Romans lebt dort. Huzur ist Lehramtsreferendarin und hat viel Wut im Bauch: dass sie als Deutsche immer noch nicht dazugehört, immer noch auf ihre türkische Herkunft reduziert wird, immer noch auf die ewig selben Ressentiments trifft. Und das seit ihrer Kindheit.
„Sie bekommt Kommentare im Lehrerzimmer zu hören, manchmal auch gut gemeinte“, sagt Biskin. „Aber irgendwann wird ihr das zu viel.“ Sie möchte dazu gehören, doch das funktioniert nicht so richtig. „Es wird auch ständig über sie entschieden, wer sie ist, was sie ist und kann. Ja – und dann setzt sie sich eines Tages ein Kopftuch auf und provoziert im Lehrerzimmer.“
Schließlich wird Huzur suspendiert und fährt zu Verwandten in die Türkei.

"Dieses Tuch verhindert alles"

Seit vielen Jahren, wird intensiv über die Frage debattiert, ob muslimische Lehrerinnen Kopftuch tragen können oder nicht. Die Autorin Nadire Biskin arbeitet ebenfalls als Lehrerin in Berlin. Sie selbst sei von dem Thema nicht betroffen, erklärt sie. „Aber indirekt sind, glaube ich, alle Frauen betroffen.“
Denn am Ende gehe es darum, wer wie auszusehen hat und wie man sich Neutralität vorstellt. „Würde ich mit einer Jack-Wolfskin-Jacke vorne stehen – das ist auch ein Teil meines Habitus, und damit bin ich auch nicht mehr neutral, genau wie beim Kopftuch.“

Nadire Biskin: "Ein Spiegel für mein Gegenüber"
dtv, München 2022
176 Seiten, 20 Euro

Sie habe sich immer gefragt, wie es dazu komme, dass es einen solch enormen Lehrermangel und – besonders in Berlin – so viele Quereinsteiger auf der einen Seite gebe, und auf der anderen Seite „dieses Tuch einfach alles verhindert“. Und auch sie habe, ohne es selbst zu tragen, ihre Erfahrungen mit dem Kopftuch in der Öffentlichkeit gemacht, sagt Biskin. „Ich bin die Tochter einer kopftuchtragenden Frau.“

Die deutsche Frau wird gegrüßt

Eine Szene im Supermarkt in ihrem Buch spiegelt etwas davon wider: Huzur kauft mit ihrer Mutter ein, die von der Kassiererin nicht gegrüßt wird, die deutsche Kundin dahinter aber schon. Im Buch heißt es:

„Zum ersten Mal in ihrem Leben wurde Huzur bewusst, dass zwischen den Frauen, ihrer Familie und der blonden großen Kundin Niemandsland lag, etwas Trennendes, über das man niemals laut sprach, obwohl es immer da war. Es ging um sichtbare Unterschiede zwischen zwei Welten, um Kleidung, Sprache und Aussehen.“

Nadire Biskin zeigt das Thema Integration ihrem Buch aber auch aus einer anderen Perspektive: Als Huzur während ihrer Suspendierung in der Türkei ist, wird sie mit den dort lebenden Flüchtlingen aus Syrien konfrontiert. Und auch damit, „wie sehr dort arabische Menschen, vor allem syrische Flüchtlinge, marginalisiert und diskriminiert werden“.
Sie wollte Fragen stellen, so Biskin: „Wie verhalten sich eigentlich marginalisierte Menschen zueinander? Ist man empathischer, wenn man marginalisiert ist? Oder ist man vielleicht unempathischer? Weil man nicht genug Ressourcen hat? Und: Wie sollte man sein?“
Biskin fügt hinzu: „Wir haben ja alle irgendwie, irgendwo einen Sticker mit ‚Refugees Welcome‘. Aber wie weit geht diese Willkommenskultur?“
(abr)

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