Zum Tod von Margot Friedländer

„Seid Menschen, respektiert Menschen“

Die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer - ein alte Frau mit weißen Haaren und wachem Blick - steht vor der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin.
Margot Friedländer überlebte als einzige ihrer Familie den Holocaust. Nach Jahrzehnten in New York kehrte sie im hohen Alter in ihre Heimatstadt Berlin zurück. © picture alliance / dpa / Christoph Soeder
Von Sebastian Engelbrecht |
Bis ins hohe Alter warnte die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer vor Hass und Antisemitismus. Nie wieder sollten sich die Verbrechen der NS-Zeit wiederholen. Nun ist die Zeitzeugin im Alter von 103 in ihrer Heimatstadt Berlin gestorben.
„Seid Menschen, respektiert Menschen, was immer sie sind.“ Das war die Botschaft von Margot Friedländer. Fast bei jedem Auftritt in Schulklassen, bei der Verleihung von Preisen oder Orden, von denen sie mindestens 15 erhielt, im Schloss Bellevue oder bei Empfängen in Berlin Mitte, betonte sie: Die Religion „ist die private Angelegenheit von jedem. Dass das Blut in meinen Adern dasselbe ist wie in Ihren. Es gibt kein jüdisches, kein christliches, keine arabisch Blut. Es gibt nur menschliches Blut. Wir sind alle Menschen.“ Mit dieser universalistischen Botschaft erntete sie überall Zustimmung. Als Jüdin blieb sie fast unerkennbar.

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Eine Berlinerin, eine Deutsche

Margot Friedländer begriff sich vor allem als Berlinerin, obwohl sie hier als Jüdin ausgegrenzt und verfolgt wurde, den gelben Stern tragen musste und von hier aus 1944 ins KZ Theresienstadt deportiert wurde. „Berlin ist meine Heimat. Ich bin hier geboren“, sagte sie. Sie liebte die Stadt so sehr, dass sie im Jahr 2010 mit 88 Jahren aus New York in ihre Geburtsstadt zurückkehrte. 64 Jahre hatte sie in den USA gelebt. „Ein neues Leben hat angefangen, als ich zurückgekommen bin“, sagte sie damals. „Ich fühle mich als Berlinerin. Ich fühle mich als Deutsche. Ich gehöre hierher.“
Holocaust-Überlebende

Margot Friedländer: „Ich predige und sage: Seid Menschen!“

09.05.2025
33:42 Minuten
Margot Friedländer, Holocaust-Überlebende und Ehrenbürgerin von Berlin, bei einer Veranstaltung in Berlin. Die sehr alte Dame hat weiße Haare im Stil eines Pagenschnitts und ein breites Lächeln.
Margot Friedländer, Holocaust-Überlebende und Ehrenbürgerin von Berlin, bei einer Veranstaltung in Berlin. Die sehr alte Dame hat weiße Haare im Stil eines Pagenschnitts und ein breites Lächeln.
 Selbst in der finstersten Zeit hatte sie Berlin von einer positiven Seite erlebt. 15 Monate lang vom Januar 1943 bis zum Frühjahr 1944 haben 16 Berliner Margot Friedländer in ihren Wohnungen versteckt. „Deutsche, die ich nie vorhergesehen hatte“, erzählte sie. „Es gab gute Deutsche Menschen, die nicht weggeguckt haben, die etwas getan haben, was ihren Kopf hätte kosten können. Und sie haben es getan.“

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Überlebende des Konzentrationslagers Theresienstadt

 Margots Mutter und ihr Bruder wurden in Auschwitz ermordet. Mit 21 Jahren stand Margot allein da. Sie überlebte das KZ Theresienstadt, lernte dort ihren Mann Adolf Friedländer kennen, den sie nach der Befreiung noch im Lager heiratete.
 1946 wanderten beide nach New York aus. Nun endlich lebte sie in Freiheit, verdiente ihr Geld als Schneiderin und im Reisebüro. Aber die USA bedeuteten ihr nichts, sagte sie im Rückblick. Noch in Amerika schrieb sie ihre Autobiografie, die in einem literarischen Deutsch verfasst ist, und veröffentlichte das Buch 2008.

Späte Rückkehr nach Deutschland

Der deutsche Staat hätte sich gewiss mehr Rückkehrerinnen wie Margot Friedländer gewünscht. Frauen wie die Philosophin Hannah Arendt oder die Schriftstellerin Mascha Kaleko verweigerten die in Deutschland ersehnte Heimkehr.
Margot Friedländers späte Rückkehr erscheint wie eine Belohnung für all die Bemühungen um Gedenken und Erinnerung in Deutschland seit 1980. Ihre Gegenwart schien eine Reinwaschung von den Sünden der Vergangenheit zu sein. Viele politisch Verantwortliche vom Bundespräsidenten über den Bundeskanzler bis zur Bundestagspräsidentin schmückten sich mit Margot Friedländers Gegenwart, auch weil so der Eindruck entstand, sie hätten das Vermächtnis der einst Verfolgten schon erfüllt.

Antisemitismus und Rassismus

Doch je älter Margot Friedländer wurde, desto deutlicher wurde auch, dass der Sühneversuch von Staat und Gesellschaft in Deutschland gescheitert ist. Margot Friedländer musste noch jenseits der 100 wieder wachsenden Antisemitismus, eine dramatisch steigende Zahl von Angriffen auf Juden und jüdische Einrichtungen miterleben. Geduldig beließ die Ehrenbürgerin Berlins es bei ihrer Botschaft: Seid Menschen!
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