Holocaust-Überlebende Margot Friedländer

"Ich predige und sage: Seid Menschen!"

33:42 Minuten
Pro Israel Veranstaltung am George-Grosz-Platz. Zu sehen ist Margot Friedländer als Teilnehmerin.
Fordert von Politikern Taten gegen den wiedererstarkenden Antisemitismus: die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer. © Imago / Stefan Zeitz
Moderation: Katrin Heise · 14.08.2019
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"Versuche, dein Leben zu machen" - das waren die letzten Worte ihrer Mutter, bevor sie 1943 nach Auschwitz deportiert wurde. Margot Friedländer überlebte als einzige der Familie den Holocaust. Heute ist sie 97 und hört nicht auf, Zeugnis abzulegen.
"Mein Vater hatte immer gesagt: 'Die meinen uns nicht'". Der Vater von Margot Bendheim, wie sie damals noch hieß, war Deutscher jüdischen Glaubens, hochdekorierter Teilnehmer des Ersten Weltkriegs und erkannte die Gefahr der beginnenden Judenverfolgung im Deutschland der 1930er-Jahre zu spät. Ihn, seine Frau und seinen Sohn brachten die Nazis um. Tochter Margot überlebte als einzige.
Nachdem die Gestapo 1943 ihre letzten Angehörigen abgeholt hatte, ging Margot Friedländer in den Untergrund. 15 Monate lang hielt sie sich mitten in Berlin versteckt, unterstützt von einem Netzwerk von Helfern. Manche forderten dafür Gegenleistungen, doch Margot Friedländer bricht nicht den Stab über sie: "Diese Menschen, die uns geholfen haben, haben so viel mehr gemacht als all das, was wir ihnen geben konnten."
Doch dann wurde sie verraten und ins KZ Theresienstadt deportiert. Sie überlebte, weil sie stark genug war zum Arbeiten. Aus Theresienstadt hat sie bis heute einige Handtücher bewahrt, mit ihnen trocknet sie ihre Pullover: "Die sind zum Teil sehr gute Qualität gewesen."

"Berlin - es war meine Stadt"

Die Befreiung des KZ im Mai 1945 erlebte Margot Friedländer als etwas fast Unwirkliches: "Es war ein unheimliches Gefühl - können wir einen Schritt rausgehen? Wie fühlt sich das an, dass man nicht erschossen wird?"
Nach Kriegsende emigrierte sie mit ihrem Mann Adolf Friedländer in die USA. Erst nach seinem Tod kehrte Margot Friedländer 2003 für ein Filmprojekt erstmals nach Deutschland zurück, in ihre Heimatstadt Berlin:
"Es hat mich erschlagen. Sofort hatte ich das Gefühl: Ich bin Berlinerin. Es war meine Stadt, es war mein Geruch, meine Sprache, meine Gefühle, meine Kindheit, mein Alles."
Seit 2010 lebt Margot Friedländer dauerhaft in Berlin. Sie schrieb ein Buch über ihr Leben, als Zeitzeugin hält sie Vorträge und tritt in Schulklassen auf, vor jungen Menschen, die so alt sind wie ihr Bruder war, als er ermordet wurde: "Wenn ich die Schüler vor mir sehe, sage ich immer: 'Ihr habt eine Chance, die mein Bruder nicht hatte, schmeißt sie nicht weg'."

"Ich spreche für alle, die man unschuldig umgebracht hat"

Zeugnis abzulegen über das, was Menschen angetan wurde, ist für sie Pflicht:
"Ich spreche nicht nur für die sechs Millionen Juden. Ich spreche für alle, die man unschuldig umgebracht hat, politisch Verfolgte, Homosexuelle, kleine Kinder, Roma, Sinti... Menschen haben es getan, die Menschen nicht anerkannt haben als Menschen. Und das ist etwas, was ich euch predige und sage: 'Seid Menschen'."
Dass Antisemitismus sich heute in Deutschland wieder verstärkt bemerkbar macht, hätte Margot Friedländer sich vor zehn Jahren nicht vorstellen können. Politikern sagt sie nun: "Eure Worte sind wunderbar, aber Taten - ihr müsst was tun." Und an die Schüler, denen sie begegnet, richtet sie die Warnung:
"So hat es damals angefangen. Seid vorsichtig!"
(pag)

LIteraturhinweise:

Margot Friedländer mit Malin Schwerdtfeger: "Versuche, dein Leben zu machen" - Als Jüdin versteckt in Berlin
Rowohlt Verlag, Berlin 2008
272 Seiten

Auch als als Hörbuch im Verlag "speak low" erhältlich, gelesen von Margot Friedländer selbst.

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