Museumseröffnung in Warschau

"Die jüdische Welt war voller Farbe!"

Der Innenbereich des Museums der Geschichte der polnischen Juden in Warschau, aufgenommen am 08.04.2013.
Der Innenbereich des Museums der Geschichte der polnischen Juden in Warschau. © picture alliance / dpa / Eva Krafczyk
Von Johanna Herzing · 25.10.2014
Über 20 Jahre hat es gedauert, um die Idee zu verwirklichen. Nun eröffnet das "Museum der Geschichte der polnischen Juden" im ehemaligen jüdischen Viertel Warschaus. Der Holocaust soll dort nicht im Mittelpunkt stehen.
Das ist Israel, erklärt Krystyna Budnicka, nimmt den Hörer ab und lässt sich in ihrem Wohnzimmersessel nieder. Eine alte Freundin aus Haifa meldet sich. Man tauscht sich aus. Was macht dieser und jener, was macht die Gesundheit, lebt der und der noch? Bereitwillig antwortet die alte Dame auf alle Fragen. Was es sonst noch Neues in Warschau gibt, will Israel wissen.
"Hier? Ach, bald ist die Eröffnung vom Museum der Geschichte der Juden und das wird die ganz große Schau … Nein, so was hatten wir hier vorher nicht, das ist das erste ständige Museum. Jahrestage schon, aber kein Museum."
Warschaus jüdische Gemeinde ist in freudiger Erwartung. Nur noch wenige Tage und aus einer Idee ist ein tatsächlicher Ort geworden. Auch Krystyna Budnicka hat daran ihren Anteil. Sie, die als Kind und einziges Mitglied ihrer Familie im Warschauer Ghetto den Holocaust überlebte, ist schon jetzt, kurz vor der Eröffnung des Museums beinahe rund um die Uhr beschäftigt. Als Zeitzeugin wird sie von den Museumspädagogen schwer eingespannt. Gerade erst hat sie sich mit Schülern getroffen:
"Das war im Museum, die haben da einen Hinterhof mit Teppichstange, so was gibt’s heute gar nicht mehr und eine Schule mit Bänken von früher. Na, und dann fragen die mich halt aus … Was ich gelernt habe, in welcher Sprache, Polnisch oder Jiddisch? Nichts zum Thema Holocaust, mehr über Kultur, jüdische Traditionen, schön ist das!"
Kein Land der Friedhöfe
1000 Jahre, nicht weniger hat man sich im Museum der Geschichte der Juden in Polen vorgenommen. Der Holocaust soll dabei nicht ausgeblendet werden, aber er soll auch nicht im Mittelpunkt stehen. Marian Turski, Vorsitzender des Museumsbeirats und selbst Holocaustüberlebender:
"Die jüdische Jugend, die israelische Jugend soll wissen, dass sie nicht in ein Land der Friedhöfe fährt, dass es vor den Friedhöfen hier Leben gab, dass die, die ermordet wurden, zuvor hier gewirkt, dass sie etwas geschaffen haben und dass das ihre Vorfahren sind, ein Teil der großen Tradition der jüdischen Geschichte. Denn wenn sie das nicht wissen, dann ist auch ihre Geschichte ärmer."
Ganz besonders aber, sagt Turski, richtet sich das Museum an die polnische Jugend:
"Das Wichtigste ist, dass die junge Generation in Polen, wenn sie sich mit dem Begriff des Judentums, mit der jüdischen Frage auseinandersetzt, egal ob positiv oder negativ, dass sie wissen, dass es eine große Leere gibt, eine Leere, die die Deutschen, die Nazis verursacht haben. Alte Menschen, sagen wir besser sehr alte Menschen, erinnern sich noch daran, dass die Juden hier in diesem Land lebten, unter den Polen, neben Polen. Und jetzt ist da ein Vakuum."
Mühsamer Prozess der Finanzierung
Empathie, Verständigung, das ist es, was sich Marian Turski erhofft. Die polnische Politik habe das Projekt von Anfang an unterstützt. Zwar sei die Finanzierung ein mühsamer Prozess gewesen, trotzdem habe immer parteiübergreifend der Konsens bestanden, dass es dieses Museum geben soll.
Vermitteln will man nicht nur Wissen. Kultur und Geschichte der polnischen Juden sollen erlebbar sein, es ist ein sinnliches Museum entstanden. In erster Linie arbeitet es mit Reproduktionen, mit Installationen und Multimedia-Objekten. Wer durch die Ausstellungsräume wandert, verliert sich leicht in der Vielzahl der Bilder, Modelle, Nachbildungen, Farben und Melodien. Dazu kommen unzählige Richtungswechsel, Nischen, Seitengänge, Durchbrüche, Galerien. Herzstück ist die Nachbildung einer Synagoge aus dem Örtchen Gwozdziec, das Original wurde von den Nazis zerstört. In Warschau ist es nun wiederauferstanden, eine hölzerne Konstruktion, Millimeter für Millimeter mit bunten Zeichnungen versehen. Barbara Kirshenblatt-Gimblett, Programmdirektorin des Museums:
"Ich glaube, das berührt viele Besucher und es überrascht. Es steht so sehr im Kontrast zu der Schwarz-Weiß-Fotografie, die die Vorstellung vom polnischen Judentum geprägt hat. Viele entdecken erst dann: Die jüdische Welt war voller Farbe!"
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