Holocaust

Bücher der Erinnerung

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Das Eingangstor zum Konzentrationslager Auschwitz I mit dem Schriftzug "Arbeit macht frei". © Deutschlandradio - Margarete Wohlan
Von Arkadiusz Luba · 24.09.2014
Polen und Juden verbindet eine lange Geschichte. Mit dem Versuch der Vernichtung der Juden während der deutschen Besetzung im zweiten Weltkrieg erlebte diese Historie ihren tiefsten Einschnitt. 70 Jahre danach befassen sich immer mehr Bücher mit diesem Kapitel.
Bis zum Ausbruch des zweiten Weltkriegs lebten in Polen knapp dreieinhalb Millionen Juden. Sie waren die größte Bevölkerungsgruppe jüdischen Glaubens in Europa. 90 Prozent von ihnen wurden von den Nazis ermordet. Aus den grausamen Kriegserfahrungen und auch aus dem späteren Antisemitismus der Kommunistischen Partei resultierte bedeutende Literatur, die sich mit dem Thema beschäftigt.
Viele polnische Schriftsteller wuchsen im Schatten des Krieges auf und wurden gebrandmarkt. Jan Tomasz Gross war einer der letzten Juden, die 1968 dann Polen verlassen haben. Gross' Buch "Die Nachbarn", in dem er über den Mord an den Juden von Jedwabne schreibt, stieß in Polen die ersten ernsthaften Diskussionen darüber an. Seitdem sind hunderte andere Werke entstanden.
Doch erst die Nachkriegsgenerationen fingen an, sich intensiver mit der polnisch-jüdischen Geschichte auseinander zu setzen. Viele schrieben dabei wohl auch aus psychotherapeutischen Gründen; etwa um sich von der Versäumnissünde zu erlösen, wie die Joanna Wańkowska-Sobiesiak in ihrem Buch über die jüdischen Nachbarn offenbart:
"Das hat mich längere Zeit verfolgt, ein gewisses Trauma. Als ich die Geschichten meiner Großeltern und Eltern noch hören konnte, hatte ich weder die Zeit noch die Lust dazu. Und als ich mich dazu schließlich doch entschieden habe, lebten sie alle nicht mehr."
Wenig kritische Gesichtspunkte in der öffentlichen Debatte
Alle Protagonisten von Wańkowska-Sobiesiak halfen Juden, den Krieg zu überleben. Keine andere Nation ist unter der wichtigsten israelischen Auszeichnung "Gerechte unter den Völkern“ stärker vertreten als die Polen. Die 28-jährige Janina Nowak wünscht sich jedoch, mehr kritische Geschichtspunkte in der öffentlichen Debatte anzusprechen, wie zum Beispiel den Antisemitismus:
"Dies setzt sich von einer Generation zur anderen fort und keiner weiß eigentlich, wieso. Größtenteils ist das Unwissen schuld daran und die Tatsache, dass wir keine Juden mehr im Alltag treffen. Es gibt viele Bücher und Filme, es gibt jedoch eine Bevölkerungsgruppe, die von diesen Medien nicht erreicht wird und das ist ein Problem."
Bis 1991 wurde kein bahnbrechender Kanon zur Holocaustliteratur geschaffen, sagt die Literaturanthropologin Sylwia Karolak aus Posen. Das Bildungssystem hatte kommunistischen Ideologien zu dienen. Der Aspekt der Vernichtung wurde verallgemeinert, manipuliert oder verzerrt.
Werke gäbe es genug, meint der Professor für die Holocaust-Literatur, Sławomir Buryła aus Olsztyn. Allein nach der politischen Wende '89 entstanden in Polen über hundert Prosastücke, die den Holocaust beschreiben. Buryła weist ausdrücklich darauf hin, dass die Autoren dabei biografisch in den Holocaust nicht direkt verstrickt sind oder waren.
"Diese Literatur ist künstlerisch und thematisch vielfältiger als die der Volksrepublik Polen. Man wollte damals eher dokumentieren. Die jüngeren Schriftsteller fühlen sich dagegen freier im Umgang mit dem Thema. Sie schreiben in einer postmodernistischen Poetik. Oder sie schreiben eine Horror-, und keine direkte Holocaustgeschichte, in einer fragmentarischen Alptraumsprache. So etwas war früher nicht denkbar."
Buryłas erste wissenschaftliche Studie, die vom Institut für Literaturforschung der Polnischen Wissenschaftsakademie gefördert wird, zeigt wie reich die polnische Literatur zum Holocaust ist.
"Ich ging, um zu sehen, wo Menschen verbrannt wurden.
Ich ging, um aus der Substanz ihres Todes zu tanken.
Ich ging, um zu sehen, wie die wachsame Erde nach dem Schlachtungsende handelt.
Mein Gedächtnis ist auf die Lyrik der Asche empfindlich
und kann von keinem anderen Überfluss leben.“
Schrieb der polnische Dichter, Wacław Iwaniuk.
"Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch“, meinte der Philosoph Theodor Adorno. Aus literaturhistorischer Sicht hat jedoch der Krieg einen Komplex neuer Themen erzeugt, der das bestehende Repertoire der Charaktere, Situationen und Erfahrungen erweiterte und bereicherte.
Holocaust erzählen? – Dazu haben die Polen enorm beigetragen.
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