Spirituelle Suche in der Nachkriegszeit

Der Boom der Wunderheiler

14:16 Minuten
Eine historische schwarzweiss Aufnahme des "Wunderheilers" Bruno Gröning umringt von Anhängern, ca.1958.
Der "Wunderheiler" Bruno Gröning war der erste Prominente Nachkriegsdeutschlands, sagt Monica Black. © picture alliance / dpa
Monica Black im Gespräch mit Sandra Stalinski · 06.03.2022
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Der Glaube an Wunderheiler, Hexen und Dämonen war im Nachkriegsdeutschland sehr verbreitet. Die Historikerin Monica Black erklärt das mit Gefühlen von Schuld, Scham und Verwirrung. Auch heute sieht sie ein großes Bedürfnis nach spiritueller Heilung.
Wunderheiler, denen die Massen zuströmten, Hexenbeschuldigungen, Marienerscheinungen und andere Visionen waren in den ersten Jahren nach 1945 in Deutschland ein verbreitetes Phänomen. Monica Black, Associate Professor an der University of Tennessee, erklärt das durch den enormen „gesellschaftlichen Schaden“ in der Zeit nach dem Kriegsende.
Der Schaden war nicht nur durch die grauenhaften Erlebnisse der Menschen im Krieg und in der NS-Zeit entstanden, sondern hatte auch mit Schuld, Scham und dem Gefühl, verantwortlich zu sein, zu tun. Und mit dem Misstrauen, das die Menschen in Nachkriegsdeutschland – Täter, Kollaborateure und Opfer – sich wechselseitig entgegenbrachten.

Schuld, Scham und moralische Leere

Dass die Menschen, getrieben von diesem Grundgefühl, nach solchen Phänomenen suchten oder sie zu erkennen glaubten, zeugt von „einer moralischen und gesellschaftlichen Leere“ und einer „sehr starken seelischen Beschädigung“, so Black.
Ursache seien jedoch nicht nur die Schuldgefühle, den Gräueln des Krieges und dem Holocaust nichts entgegengesetzt zu haben oder daran mitgewirkt zu haben, sondern auch „die Last der Niederlage“.
„Viele Leute haben nach dem Krieg gefragt: Warum haben wir den Krieg verloren, was bedeutet das?“, sagt Black. Diese Frage suche nach der Bedeutung hinter den Ereignissen und offenbare eine Angst vor Bestrafung durch eine höhere Macht.

Ein Versuch, die Welt erklärbar zu machen

Phänomene wie der Glaube an Hexen und Dämonen seien Versuche gewesen, nach dem unvorstellbaren Leid des Krieges und dem Bruch mit allen vorherigen Gewissheiten, sich die Welt wieder erklärbar zu machen.
Porträt der Autorin und Historikerin Monica Black.
Die Historikerin Monica Black hat ein Buch über die Fasziation vieler Deutscher nach 1945 für Wunderheiler geschrieben.© Klett-Cotta / Kelli Go Photo
Einer der Wunderheiler, die damals aufgetaucht sind, sticht heraus: Bruno Gröning. Er wird im Buch als erster Prominenter Nachkriegsdeutschlands beschrieben. Dass gerade er eine so starke Faszination auf die Menschen ausübte, hat mehrere Gründe:
Begonnen hatte alles mit der vermeintlichen „Heilung“ eines kleinen Jungen in Herford. Die Familie des Jungen hatte von Grönings Fähigkeiten gehört und bat ihn im März 1949 an das Krankenbett ihres Sohnes, der nicht mehr fähig war, selbstständig zu stehen oder zu gehen. Aber nach dem Treffen mit Gröning konnte das Kind das erste Mal seit Monaten aufstehen und sehr langsam und zögerlich laufen.

Eine "sagenhafte" Erscheinung

„Die Wirkung dieses Ereignisses war einfach enorm“, so Black. „Innerhalb von wenigen Wochen machten sich Tausende von Pilgern auf den Weg nach Herford." Manchmal hätten sie stundenlang im Regen gestanden, nur um einen Blick auf Gröning“ zu erhaschen.
Das Jahr, in dem Gröning auftauchte, war zudem eins, in dem es eine Welle apokalyptischer Gerüchte und Weltuntergangsszenarien gab. Das habe Grönings Erscheinung zusätzlich etwas „Sagenhaftes“ gegeben, erklärt die Historikerin.
Einerseits sei Gröning ein Jedermann im Nachkriegsdeutschland gewesen: Er war Soldat, er war in einem Kriegsgefangenenlager, war Flüchtling und früher auch Mitglied der NSDAP gewesen. Aber er habe auch einmalige und seltsame Fähigkeiten und Gaben gehabt.
Viele Menschen hätten ihm damals sehr viel Vertrauen entgegengebracht. Das sei bezeichnend in einer Zeit, in der es ein sehr großes Misstrauen der Menschen untereinander gab, aber gerade auch gegenüber Ärzten. Denn die seien zu dieser Zeit oft noch mit medizinischen Gräueln und Euthanasie assoziiert worden, sagt Black.

Heilung durch besondere Verbindung zum Klienten?

Im Buch wird geschildert, dass Gröning besonders erfolgreich bei Erblindung, Lähmung, Taubheit war. Gerade diese Krankheiten tauchten nach dem Krieg besonders häufig auf und hatten wohl häufig eine psychische Komponente.
Interessant ist für Monica Black, dass es gerade diese Krankheiten sind, von denen Jesus die Menschen im Evangelium des Johannes heilt. Diese christliche Idee von seelischer Heilung sei mit der Logik der Erlösung untrennbar verbunden gewesen: „Geheilt zu werden, bedeutete nicht nur Mobilität oder körperliche Kraft wiederzubekommen, sondern auch von Sünde befreit zu werden“, erklärt Black.
Ob Gröning dabei mehr als nur ein Placebo-Effekt geholfen hat, sei schwer zu sagen. Offenbar habe er es geschafft, durch Zuhören und Vertrauen schaffen eine besondere Verbindung zu seinen „Patienten“ oder Klienten aufzubauen. Aus dieser Verbindung sei in manchen Fällen eine Lösung erwachsen.

Auch heute Bedürfnis an spiritueller Heilung

Heute machen sich gesellschaftlich zwar nicht Wunderglaube oder der Glaube an Hexen oder Dämonen breit. Dennoch ist ein starkes Bedürfnis nach spiritueller Heilung zu beobachten. Ursachen dafür sieht Black in der „Unruhe“ unserer Zeit und ebenfalls in einem Misstrauen der Menschen untereinander. Soziale Medien und die Krisen dieser Welt würden dazu beitragen.
„Diese Risikogesellschaft, wie Ulrich Beck sie bezeichnet hat, ist so ungeheuer komplex geworden, dass wir sie nicht mehr beherrschen“, sagt Black. Verschwörungstheorien beispielsweise seien ein Symptom dafür, dass wir die Welt nicht mehr verstehen. Daraus erwachse eine Sehnsucht nach Schwarz-Weiß-Erklärungen. Die gebe es aber nun mal nicht.

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