Wunderheiler und Hexenglaube in der Nachkriegszeit

Die Flucht ins Irrationale

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"Wunderheiler" Bruno Gröning (l, stehend) spricht 1955 in Düsseldorf in einer Privatversammlung vor geladenen Gästen.
"Wunderheiler" Bruno Gröning (l, stehend) war nach dem Krieg groß im Geschäft, hier 1955 in Düsseldorf. Die Historikerin Monica Black hat auch zu ihm geforscht. © dpa / picture alliance / Klaus-Dieter Heirler
Von Stefanie Oswalt · 31.03.2021
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Handauflegen, Wunderheilung und angebliche Hexerei. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten in Westdeutschland selbst ernannte „Wunderdoktoren“ wie Bruno Gröning regen Zulauf. Diese Realitätsflucht hatte konkrete Gründe.
Wunderheiler hatten im Nachkriegsdeutschland Konjunktur:
"Heute ist es soweit dahingehend gediehen, dass ich wirklich die Beweise erbringen kann, dass wie wenn Menschen von einem langen Leiden behaftet waren, wenn sie Asthma hatten, und sie alle möglichen Versuche angestellt, von diesem Übel überhaupt frei werden zu können – war nicht möglich – wie mir die Bestätigungen hier gegeben werden, dass Menschen tatsächlich von dem Übel tatsächlich nur ... durch das Anhören meiner Vorträge tatsächlich ihre volle Gesundheit zurückerlangt haben."
Ein Interview des SWR von 1956 mit Bruno Gröning. Heute ist dieser Name einer breiteren Öffentlichkeit kaum mehr bekannt – 1949 hingegen strömten die Massen dem sogenannten "Wunderheiler von Herford" zu: Menschen mit seelischen und körperlichen Verwundungen, die bei Bruno Gröning Linderung für ihr Leid suchten. Zahlreiche Bilder dokumentieren die Selbstinszenierungen des vermeintlichen Heilsbringers.


"Was ich interessant fand: Dass er eine Neigung hatte, auf Balkonen zu stehen, in der Nacht und dass er öfters schwarz gekleidet war. Jeden Abend, als er auf den Balkon getreten ist, hat ein Scheinwerfer auf sein Gesicht ein Licht projiziert. Ich behaupte, dass das für einige Leute eine Art – ich will das ganz vorsichtig sagen – eine Art von heilendem Effekt hatte. Gröning hat ein Charisma gehabt, das ist offensichtlich."
Sagt die US-Amerikanerin Monica Black. Sie forscht an der an der Universität von Tennessee über die deutsche Nachkriegszeit und fokussiert sich dabei auf sozialpsychologische Phänomene: etwa auf die Anziehungskraft Bruno Grönings. Gröning propagierte in seinen Schriften und Vorträgen die Umkehr zu Gott und versprach zugleich seelische und physische Heilung durch einen von ihm ausgehenden Zitat "Heilstrom" oder "Heilwellen".

Gröning war keine Einzelerscheinung

Menschen, die Grönings Vorträgen lauschten oder sich in den Besitz von ihm verteilter Stanniolkügelchen brachten, hätten später von der Heilung ihrer Leiden – etwa Asthma berichtet. Grönings Beispiel, so Monica Black, zeige in besonderer Weise die Bereitschaft der deutschen Nachkriegsgesellschaft, sich für übernatürliche Phänomene zu öffnen. Aber er war keine singuläre Erscheinung.
"Ich schreibe über den Wunderdoktor Bruno Gröning, obwohl es auch andere Wunderdoktoren zu dieser Zeit gegeben hat, es hat Marienerscheinungen gegeben, also Visionen von der Mutter Gottes, ich beschreibe die Suche nach Heilung, vor allem für Leute mit seelischen Krankheiten … apokalyptische Fantasien sind auch thematisiert in meinem Buch. Es gibt eine Reihe von außergewöhnlichen Ereignissen, die ich alle zusammengebracht habe."
Die Ergebnisse ihrer Forschungen hat Black jüngst in einem Buch mit dem Titel "A demon-haunted land" publiziert: zu deutsch etwa: "Ein Dämonen heimgesuchtes Land". Untertitel: "Hexen, Wunderdoktoren und die Geister der Vergangenheit im Nachkriegsdeutschland."
"Mein Buch geht über die spirituellen und sozialpsychologischen Effekte, die die Niederlage im Zweiten Weltkrieg und die Offenlegung des Holocausts auf die Deutsche Gesellschaft hatten. Und ich fand, dass diese Ereignisse, die ich beschreibe, Manifestationen eines Gefühls des Unbehagens waren: Das Gefühl, dass man von Gott beurteilt worden ist. Man musste sich fragen: Warum haben wir den Krieg verloren? Aber es gibt auch eine Hinterfrage: Warum ist das gerade uns passiert. Was bedeutet das?"

Was trieb die Leute in die Arme der "Wunderheiler"?

Die Niederlage, so Black, habe Deutschland sowohl in physischer als auch in metaphysischer Hinsicht zerbrochen – Fragen moralischer Schuld und Verantwortung sowie nach Verurteilung und juristischer Schuld traten auf. Die Politikwissenschaftlerin Hannah Arendt hat die "Realitätsflucht" der Nachkriegsdeutschen konstatiert, der Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich die "Unfähigkeit zu trauern" analysiert.
Monica Black verweist nun auf die Hinwendung vieler Menschen zu übernatürlichen Phänomenen, in der Hoffnung, dort nach der Verunsicherung durch den Krieg Geborgenheit und Zuflucht zu finden. Solche Beobachtungen seien vielleicht nur mit dem Blick von außen zu machen, meint Monica Black, denn die deutsche Geschichtsschreibung habe einen anderen Fokus. Warum haben Fragen der psychosozialen und spirituellen Disposition bislang so wenig Aufmerksamkeit erfahren?
"Ich würde sagen, die Geschichte von Deutschland in der Nachkriegszeit ist eine Geschichte des Erfolgs. Das ist eine Geschichte des Fortschritts, eine Geschichte der Industrie und eine Geschichte von Wissenschaft und Arbeit. Es ist auch eine Geschichte von der Aufarbeitung der Geschichte. Ich glaube, dass die Geschichte, die ich jetzt erzähle, eine ziemlich unbequeme Geschichte war, nicht eine Geschichte des Fortschritts. Ich glaube, dass einige Menschen denken, dass solche Geschichten nicht zu einer Geschichte der Moderne passen – aber das ist offensichtlich nicht der Fall."

Anschuldigungen von Hexerei in den 50er-Jahren

So hat Monica Black auch Fälle von Hexendenunziationen recherchiert: Beispielsweise Anfang der 1950er-Jahre in Dithmarschen, Schleswig-Holstein, wo ein wegen der Krankheit seines Kindes verzweifelter Vater seine Nachbarin und den ehemaligen Bürgermeister als Hexen – und Mächte des Bösen bezichtigte. Eine Episode, die auch medial für Aufregung sorgte und schließlich vor Gericht landete. Monica Black sieht in solchen Vorkommnissen die Schattenseite der Aufklärung: Sie bringe Mythen, Ängste und Emotionen hervor, denen eine gewisse Irrationalität innewohnt. Gegen Ende der 1950er-Jahre, so Monica Black, stabilisierte sich die deutsche Gesellschaft:
"Ich behaupte, das Gefühl von sozialem Misstrauen, das Leute untereinander gehabt haben, diese Anschuldigungen von Hexerei schwächten sich Ende der 50er-Jahre, weil materiell ging es vielen Leuten viel besser als je zuvor."
Und diese materielle Sicherheit, so Black, habe auch Auswirkungen auf die psychosoziale Stabilität gehabt: Langsam schwanden die Ängste vor den Nachbarn – man fürchtete nicht mehr, wegen Verfehlungen im Krieg denunziert zu werden.
"Die Beamten, die sich Sorgen gemacht haben wegen Hexenanschuldigungen, die sagten am Ende der 50er-Jahre: Wir wissen nicht, was passiert ist, es hat einfach aufgehört. Das ist in den Quellen: Das Problem existiert nicht mehr. Ich würde sagen: Irgendwie hat sich das Gefühl des Vertrauens wieder aufgebaut."
Das ist im Hinblick auf die zersplitterte Gesellschaften von heute QAnon, Verschwörungsglaube und Querdenkerei – ein hoffnungsvoller Befund.

Das Buch "A Demon-Haunted Land" von Monica Black wird 2021 in deutscher Übersetzung bei Klett-Cotta erscheinen.

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