Möbelproduktion in Ostwestfalen

Optimismus bei krisenerprobten Möbelbauern

10:57 Minuten
Theres Sudbrock, Inhaberin des Möbelherstellers Sudbrock, steht vor einem Gebäude und schaut in die Kamera. Mit ihrer linken Hand berührt sie einen trockenen Baumstamm, der vor dem Eingang steht.
Theres Sudbrock ist Inhaberin des gleichnamigen Möbelherstellers. Es sei kompliziert gerade, sagt sie. Aber es gebe auch Lichtblicke. © Michael Frantzen
Von Michael Frantzen · 25.10.2022
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Ostwestfalen ist ein Zentrum des Möbelbaus in Deutschland. Strompreise und Materialkosten steigen kräftig, die Unternehmen spüren die vielen Krisen im Land. Dennoch sind die Macher optimistisch, dass es weiter geht – und sogar Wachstum möglich ist.
Die Bänder, sie laufen wie gehabt: beim Premium-Möbelhersteller Sudbrock in der Nähe vom ostwestfälischen Paderborn.
„Alles was mit Schränken, Tischen, Regalsystem zu tun hat", sagt Theres Sudbrock, produziere das Unternehmen in dritter Generation. Im Juni haben die Inhaberin und ihre 110 Angestellten hundertstes Firmenjubiläum gefeiert. „Wir machen alles hier am Standort Rietdorf-Bokel. Vom Baumstamm bis hin zum fertigen Endprodukt und lackierten Möbeln“, betont die Chefin.

Herausfordernde Zeiten

Es ist Mittwoch kurz vor zehn, und die Laune der 50-Jährigen mit der markanten roten Brille ist gar nicht mal die schlechteste angesichts der Zeiten. „Das muss man sagen: Herausfordernd ist die Zeit auf jeden Fall. Im Moment, da schießen ja von überall düstere Nachrichten hervor", sagt sie. "Wir müssen gucken, dass wir unsere Stabilität, die wir seit hundert Jahren hier haben, weiterhin anbieten.“
Der Ukrainekrieg, die Energiekrise, die galoppierende Inflation, das alles geht auch am Mittelständler nicht spurlos vorüber. Allein die Sache mit den Spanplatten. Ihr Preis pro Kubikmeter hat sich in anderthalb Jahren fast verdreifacht, auf zuletzt 340 Euro. Theres Sudbrock kennt sich da aus. Doch jammern ist nicht ihr Ding.

Glücksfall Kesselhaus

Sudbrock bleibt auf dem Weg zur Ausstellungshalle am anderen Ende des Werksgeländes stehen, ehe sie sich umdreht und auf einen weißen Kasten zeigt. Er entpuppt sich als Kesselhaus, ihr großes Glück gerade. Statt mit Gas oder Öl kann das Traditionsunternehmen mit dem heizen, was als Abfallprodukt anfällt: hauptsächlich Holzreste und Späne.
In der Ausstellungshalle können sich Händler anschauen, was Sudbrock im Sortiment hat. Regale, Vitrinen, eine historische Garderobe aus den Fünfzigern. Alles perfekt arrangiert und perfekt ausgeleuchtet. Das hat seinen Preis.
„Strom macht uns etwas Sorgen. Da sind wir im Moment in Gesprächen", erklärt die studierte Kulturwissenschaftlerin Sudbrock. "Wir versuchen alle Wege zu gehen. Das heißt: Solarenergie. Oder Biogasanlagen. Und werden in der nächsten Zeit Entscheidungen treffen, wie wir das am besten angehen.“

Krisenerprobt und optimistisch

Sie fügt hinzu, das Unternehmen habe schon ganz andere Krisen überstanden. Sie greift sich eine der Firmenchroniken, die im Eingangsbereich ausliegen, und fängt an zu blättern. Die Anfangszeiten, die 20er-Jahre des 20. Jahrhunderts, waren schwierig. Die Jahre nach der Wiedervereinigung auch. Und dann war da noch 2018, ihr annus horribilis. Es war das Jahr, als bei ihrem Mann Johannes die Nervenkrankheit ALS diagnostiziert wurde.
Viel mehr Krise gehe nicht, meint die 50-Jährige lapidar. Doch aufgeben, das kam weder für sie noch ihren Mann in Frage. Deshalb: Ja, das Marktumfeld sei gerade „kompliziert“, doch es gebe auch Lichtblicke, macht sich Sudbrock Mut.
So hat der Preisdruck beim Holzeinkauf wieder etwas nachgelassen. „Es hat sich auch schon wieder etwas relativiert. Bei uns ist das der Vorteil: Wir kaufen das Holz zum Beispiel selbst ein", erklärt Sudbrock. "Wir sichten die Hölzer im Wald, in den regionalen Wäldern. Das hat mein Mann schon von seinem Vater und seinem Großvater gelernt. Im Münsterland, in der Eifel, in Thüringen. Oder bei Bonn. Das heißt, so stark sind wir da nicht vom Import dieser Rohstoffe abhängig.“

Bewegung im Markt der Möbelhersteller

Ostwestfalen ist der Hotspot der deutschen Möbelindustrie. Heinz-Erwin Ellersiek ist eine bekannte Größe hier. „Wenn sie sich im Moment so umhören, dann hat man schon das Gefühl, dass es enger wird. Dass es sehr eng wird", sagt er.
Vor 44 Jahren hat der knorrige Westfale im Kreis Herford „Ballerina Küchen“ gegründet. Mit der Zeit ist daraus einer der zehn größten Küchenhersteller Deutschlands geworden. In diesem Jahr wird der Umsatz voraussichtlich bei 120 Millionen Euro liegen. Das wäre Rekord. Doch nicht allen in der Branche geht es so gut.  
„Ich will jetzt keine Namen nennen. Ich weiß, dass bedeutende Firmen schon mächtig zurückgefahren haben", sagt Ellersiek. "Dass auch unsere Lieferanten mächtig zurückgefahren haben, Arbeitsverträge nicht verlängert haben. Es ist schon Bewegung auf dem Markt", sagt der Seniorchef.

Heizen mit Holzresten

Auch mit seinen 80 Jahren kommt Ellersiek noch immer jeden Tag in den Betrieb, auch wenn das operative Geschäft längst sein Nachfolger leitet.
Wie ist das also mit den explodierenden Gaspreisen? Für Ballerina? Ellersiek winkt ab. Alles halb so wild. Auch in Rödinghausen brauchen sie kein Gas oder Öl zum Heizen, sondern Holzreste und Späne. 
Ein kleinerer Mann im Anzug und mit Brille steht links in einer dunkel gehaltenen Küche, rechts von ihm aus Kamerasicht steht ein größerer Mann, er trägt ebenfalls Anzug.
Der Gründer von "Ballerina Küchen", Heinz-Erwin Ellersiek (links), und Marketingleiter Andreas Prelian. Eingestellt wird bei "Ballerina" per Handschlag.© Michael Frantzen
„Wir haben drei eigene Kesselanlagen und können den Betrieb beheizen. Wir könnten sogar noch das Umfeld mit beheizen." Dann zeigt sich sein westfälischer Humor. "Wer also zuhause 'ne kalte Bude hat, soll 'ne Tasche mitbringen, dem füllen wir Wärme rein.“
Beim Küchenhersteller ticken die Uhren auch sonst anders. Das Logo, eine tanzende Ballerina, stammt noch aus den 80er-Jahren. Die meisten der 370 Beschäftigten haben noch nie einen Arbeitsvertrag unterschrieben, sondern wurden vom Chef per Handschlag eingestellt. Die Gehälter erhöhen sich automatisch zu Jahresbeginn um einen Inflationsausgleich.

Vertrauen in die eigene Stärke

Das soll auch so bleiben, auch wenn Ellersiek schwant, dass 2023 ein schwieriges Jahr werden dürfte. „Strom ist schon ein Problem", sagt der Seniorchef. "Was man uns angeboten hat, ist das Siebenfache des Preises, den wir jetzt zahlen", sagt er.
"Was passiert, das passiert", fügt er an. "Wir sind nicht arm, wir haben keine Angst, wir werden das schon durchstehen.“ Als Premiumhersteller von Küchen, die 20.000 Euro und mehr kosten können, ist Ballerina bislang mit der Devise "Klasse statt Masse" gut gefahren. Auch in Krisenzeiten.
„Wir hatten '82/'83 eine richtige Krise auf dem Markt", sagt Ellersiek. Da seien fünfzig Prozent aller Möbelnamen in Deutschland kaputtgegangen. "Und wir waren damals ja in der Anfangsphase." Aus dieser Erfahrung schöpft er Vertrauen: "Wir haben in 44 Jahren keine Kurzarbeit gemacht. Wir haben in 44 Jahren keine Leiharbeiter gehabt, keine befristeten Arbeitsverträge gehabt. Gibt's alles nicht bei uns.“

Statussymbol und Rückzugsort Küche

Rund 1,4 Millionen Küchen werden laut dem Verband der Deutschen Möbelindustrie Jahr für Jahr in Deutschland verkauft, Tendenz steigend. Die Küche, sie ist längst Statussymbol geworden, seit der Pandemie auch Rückzugsort.
Ellersieks Augen funkeln, auf das Stichwort hat er nur gewartet. Letztes Jahr war das beste Jahr in der Firmengeschichte, bedingt durch Corona.
Und die kommenden Jahre? Es wird einen Verdrängungswettbewerb geben, prognostiziert der Firmenpatriarch. Und Ballerina? Werde sich am Markt behaupten. „Da wir eine Marktlücke ausfüllen, glauben wir schon, dass wir zu den Gewinnern zählen werden. Aber das wird schon ziemlich eng.“

Cor profitiert von Homeoffice-Trend

Nach Rheda-Wiedenbrück und zu einem Polstermöbel-Hersteller, der in den letzten Jahren von Rekord zu Rekord geeilt ist. „Wir werden voraussichtlich dieses Jahr die 50 Millionen Euro Umsatzmarke knacken, circa 15 Prozent mehr Umsatz machen.“
Cor hat schon Sessel an die Lufthansa und Google geliefert und dieses Jahr welche für den G-7-Gipfel auf Schloss Elmau. Marketingleiter Berthold Strüve rattert die Eckdaten der Erfolgsgeschichte nur so herunter.
„Was uns hilft, sind die Objektaufträge, also Möbel für den öffentlichen Bereich und nicht nur für den privaten", sagt Strüve. "Die investieren wieder in ihre Ausstattung, in ihre Büros, vor allem in die Homeoffice-Ausstattung von Mitarbeitern. Das ist für uns bei Cor wieder ein großes Standbein geworden.“ 

Problem Materialkosten

Möglichst viel in Eigenregie. Verleimen, tackern, nähen, seit 2021 klimaneutral: Bislang hat sich das gerechnet. Doch auch Cor spürt die knapper und teurer werdenden Rohstoffe, vom Strom ganz zu schweigen.
„Natürlich, Strom ist für uns ein ganz großer Batzen. Aber wir haben auch überall Photovoltaikanlagen auf den Dächern. Und deswegen hoffen wir, dass wir da mit einem blauen Auge davonkommen", sagt der Cor-Marketingleiter.
Ein größeres Problem seien die Materialkosten: "Das ist schwierig, das geht ja rauf und runter, und auch relativ kurzfristig: Teilweise bekommen wir Preiserhöhungen angekündigt für die nächste Lieferung, in zwei, drei Wochen. Das können wir natürlich nicht eins-zu-eins an unsere Kunden weitergeben, weil da Verträge schon hinterstehen, mit entsprechenden Preisen. Und das geht natürlich auch immer zu Lasten unserer Rendite.“

Faktor Verbraucherstimmung

Zwei Mal haben die Ostwestfalen dieses Jahr schon die Preise erhöht, zuletzt im Juni um 5,5 Prozent. Die meisten Händler hatten dafür Verständnis. Fragt sich nur, wie lange noch?
Strüve hebt im minimalistisch eingerichteten Besprechungszimmer der Firmenzentrale die Hände. Wird schon. Es muss. Schließlich ist auch Cor krisenerprobt. Dafür reicht ein Blick auf die Firmengeschichte draußen im Foyer, die bunten Schautafeln.
Sie erzählen von Höhen und Tiefen. Von Tragödien wie dem plötzlichen Tod des Inhabers Helmut Lübke auf einer Afrikareise 2006; von der Insolvenz des zweiten Standbeins des Unternehmens – des Möbelbauers Interlübke – vor zehn Jahren.
„Konjunkturelle Faktoren spielen häufig eine Rolle. Ganz viel Stimmung, muss man auch sagen, bei den Verbrauchern. Wir wissen nicht, wie die Verbraucher sich verhalten", sagt Strüve. "Vielleicht sind auch viele ganz vorsichtig und sagen: Ich weiß gar nicht, was mit meinen Energiekosten passiert.“
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