Moderne Mythen

Vom Hunger nach "spiritueller Nahrung"

Szenenfoto aus "The Hobbit: An Unexpected Journey", dem ersten Teil der "Herr der Ringe"-Trilogie nach den Romanen von J.R.R. Tolkien.
Moderne Mythen wie "Der Herr der Ringe" oder "Der Hobbit" sollen Ehrfurcht erzeugen - und uns aus unserem Alltag herausholen. © dpa-Film / Warner
Moderation: Joachim Scholl · 08.12.2014
Welche Macht haben Mythen heute noch in unserer Kultur? Mit dieser Frage beschäftigt sich die Kulturjournalistin und Buchautorin Sieglinde Geisel. Moderne Computerspiele erfüllten heute den gleichen Zweck wie einst die ehrfurchtgebietenden Kathedralen des Mittelalters.
Was haben "Der Herr der Ringe", "Harry Potter" und "Game of Thrones" gemeinsam? Es sind allesamt "mythische" Veranstaltungen, große epische Erzählungen aus fiktiven Epochen, in denen Wunder, Magie und vor-zivilisatorische Strukturen dominieren.
Auch moderne Computerspiele bedienten sich vom Inhalt und in der Gestaltung aus dem Reservoir der Mythen, so die Journalistin und kulturhistorische Buchautorin Sieglinde Geisel im Deutschlandradio Kultur. Die virtuellen Welten von Computerspielen hätten heute den gleichen Zweck wie früher die Kathedralen des Mittelalters oder die Pyramiden der Ägypter:
"Sie sollen Ehrfurcht erzeugen. Sie sollen uns aus unserem Alltag herausholen. Als Figur kommt man jedes Mal wieder in eine neue Welt. Und man muss herausfinden: Welche Gesetze gelten hier? Welche Kräfte kann ich aktivieren? Also das spricht sehr tiefe Gegenden unserer Seele an."
Die elementaren Kräfte des Mythos
Diese Ehrfurcht sei früher in den Kirchen erzeugt worden, die allerdings ihre Kraftspuren ganz stark verloren hätten. Das habe auch damit zu tun, dass dort die ehrfurchtgebietenden Räume nicht mehr geschaffen werden würden:
"Also der Alltag ist eingezogen in den Gottesdienst, wenn wir dort Gitarre spielen und Popmusik haben. Und am Schluss noch einen Fernsehmoderator für den sogenannten 'niederschwelligen Gottesdienst'. Da kann keine Ehrfurcht aufkommen. Aber was wir im Mythos suchen, das ist eben nicht kuschelig. Das sind ganz elementare Kräfte."
Auch in der Fantasy-Literatur werde der "Hunger unserer Seele nach spiritueller Nahrung" befriedigt, meinte Geisel. Denn es gebe heute auch keine Sprache mehr für das Mythische:
"Überall, wo uns das entgegenkommt, da wird etwas geweckt. Wir speisen uns daraus. Das verleiht auch Kräfte. Dafür gibt es das alte Wort 'erbaulich'. Es fügt einem Energie zu."

Sieglinde Geisel posiert im Treppenhaus des RIAS-Gebäude in Berlin
Die Kulturhistorikerin und Autorin Sieglinde Geisel hat sich intensiv mit den modernen Ausformungen von Mythen beschäftigt.© Deutschlandradio / Melanie Croyé
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