Modellprojekt

Wenn der Mitbewohner Technik heißt

Die Rentnerin Hildegard Weide, Jahrgang 1912, und andere Bewohnerinnen des "Cyber-Hauses 2.0" der Wohnungsbaugenossenschaft "Otto von Guericke" in Magdeburg testet einen Tablet-Computer.
Im Hamburger Seniorenprojekt können zum Beispiel die Gardinen mit einem Tablet bewegt werden. © picture alliance / dpa
Von Katrin Albinus · 07.10.2014
Möglichst lange in den eigenen vier Wänden leben. In einer Gesellschaft mit immer mehr alten Menschen ist dies eine dringliche Aufgabe - die mit modernster Technik gelöst werden soll. Deren Bedienung ist für Senioren aber gar nicht so einfach.
Erika Marquard: "So, Muschi, das ist unser Tisch für die nächsten zwei Tage."
Hannes Marquard: "Und wo gehen wir jetzt hin?"
Erika Marquard: "Du kommst mit."
Jan Parchmann: "Ich zeig Ihnen die Wohnung."
Erika Marquard schiebt ihren Mann im Rollstuhl von der Küche Richtung Wohnungstür. Hannes Marquard ist 86 Jahre alt, dement und an Parkinson erkrankt - seine Frau kümmert sich um ihn. Die 69-jährige ehemalige Kellnerin hat bisher wenig mit neuen Technologien zu tun gehabt. Aber Sie ist neugierig: Vor sieben Wochen hat sie sich ihren ersten Laptop gekauft.
Jan Parchmann: "Sie sehen hier zum Beispiel, wenn man kommt oder geht, sehen Sie, dass hier das Schlüsselbrett leuchtet."
Erika Marquard: "Ja, sehr schön."
Jan Parchmann: "Dass man beim Verlassen der Wohnung daran erinnert wird, den Schlüssel mit zu nehmen und auch beim Kommen und nicht irgendwo in die Wohnung zu legen, wo man ihn dann später nicht wieder findet."
Von der Stadt Hamburg und der EU gefördert
Die Einführung übernimmt Jan Parchmann, Informatiker der Uni Hamburg, und eine Gruppe von Studenten, die gemeinsam die Testphase des Hightec-Wohnprojekts betreuen. Es wird unter anderem von der Uni, der Stadt Hamburg, aber auch von der Europäischen Union unterstützt. Vor Erika Marquart und ihrem Mann haben bereits neun weitere Probanden die Wohnung getestet. Das Schlüsselbrett ist eines der Highlights, gefolgt von der Lieferklappe. Die ist von außen über einen PIN-Code zu öffnen, damit etwas hinterlegt werden kann, wenn die Bewohner unterwegs sind oder nicht an die Tür gehen können.
Erika Marquard: "Ach so, wenn was drin liegt, geht die Lampe an."
Jan Parchmann: "Genau. Es geht sowohl einmal eine Lampe über der Lieferklappe direkt an, die Sie darauf hinweist, dass etwas in der Lieferklappe ist. Und es geht auch noch die Beleuchtung in der Wohnung an. Wie finden Sie das?"
Erika Marquard: "Sehr gut. Belästigt keinen, auch wenn Fremde hier sind, während ein Geräusch schon mal unangenehm kommen könnte - finde ich gut. Oder man ist am Telefonieren. Ah, Licht brennt, Essen ist da - ich muss aufhören. Finde ich gut."
Weiter geht es in der Küche mit einem höhenverstellbaren Hängeschrank, Gardinen, die über einen Tastsensor oder per Tablet bewegt werden können und einem Scanner für Lebensmittel. Der stellt auf diese Weise eine Einkaufsliste zusammen, die etwa an den Supermarkt geschickt werden könnte, der die Sachen dann anliefert.
Jan Parchmann: "Wie schreiben Sie momentan Ihre Einkaufsliste?"
Erika Marquard: "Mit dem Kugelschreiber."
Jan Parchmann: "Wir wollen das so einfach wie möglich gestalten, und das ist jetzt ein Beispiel."
Erika Marquard: "Ich ruf an und sag: Kannst mir Milch mitbringen? Und dann: Irgendeiner bringt mir Milch mit."
Jan Parchmann: "Ja, das stimmt. Aber Sie sagen natürlich: irgendeiner. Und da ist die große Frage: Wer kann die Milch mitbringen und dann müssten Sie möglicherweise alle Nachbarn durchtelefonieren und hier ist die Idee, dass Sie einmal melden, sozusagen: Ich bräuchte Milch ..."
Erika Marquard: "Ja, aber das ist ja wieder die Bedingung, dass die Nachbarn auch vernetzt sind."
Jan Parchmann: "Ja, natürlich, genau."
Ungewohnter Umgang mit der Computertechnik
Die Vernetzung mit Nachbarn, dem Supermarkt oder dem Pflegedienst soll Hilfestellungen vereinfachen: Alle sind gleichermaßen über eine Plattform erreichbar. Das Problem: Vieles in der Wohnung ist über den Computer steuerbar, einiges auch per Fernbedienungen oder Tastschalter an der Wand. Mit der Hand dagegen lassen sich weder die Gardinen, noch die Fenster öffnen oder schließen - das ist ungewohnt für Erika Marquard. Doch der Ehrgeiz hat sie gepackt, in den nächsten zwei Tagen will sie sich mit dem Tablet durchschlagen.
Erika Marquard: "Also, wenn ich da das jetzt aktiviere, dann hab ich alles, was mit Wohnzimmer zu tun hat. Das finde ich ja irre hier. Also, die Gardine kann ich auch auf halbem Ding stoppen? Warte mal, lass mich mal machen, jetzt mach ich sie mal ... zu. (Geräusch) Und das langt. Das ist super! Also den darf ich hier behalten?"
Jan Parchmann: "Ja, auf jeden Fall."
Erika Marquard wird zusammen mit ihrem Mann in der Wohnung übernachten. Jan Parchmann erklärt nicht mehr allzu viel, er möchte auch testen, wie Laien allein mit der Bedienung des Tablets zurechtkommen. Die Auswertung folgt am nächsten Tag.
Erika Marquard: "Hallo, hallo, komm mal rein, ich hatte mich ne Stunde hingelegt. Oh, ich war so kaputt. Ich setz mal einen Kaffee auf."
Erika Marquard setzt sich zu ihrem Mann auf die Terrasse. Sie hatte eine anstrengende Nacht:

"Mich haben beide Tablets gestern bisschen im Stich gelassen, bei einem war der Akku leer, der andere hat sich aufgehangen, wie die jungen Mädchen mir heute sagten. Und ich hab heute Nacht mit offenen Gardinen gestanden, als Präsentation für jeden, hab dann im Dunkeln mich bewegt."
Dass man die Vorhänge auch per Tastschalter schließen kann, fällt ihr am Abend nicht mehr ein. Ähnliche Probleme gibt es mit der Badbeleuchtung - und eine Party könnte sie mit dem Tablet auch nicht organisieren, beschwert sie sich scherzhaft bei Jan Parchmann.
Erika Marquard: "Dann hab ich gedacht, dann geh ich jetzt mal einkaufen, mit meinem Scanner da. Hab ich vier Artikel, wollte ich noch Fleisch nachbestellen, hat er nicht angenommen. Vielleicht hatte Rewe auch kein Fleisch, weiß ich nicht."
Jan Parchmann: "Haben Sie kein Fleisch gefunden in der Liste?"
Erika Marquard: "Nee, wenn ich Fleisch gedrückt hab, dann hat er irgendeinen Käse, und Käse ohne K geschrieben, Fleisch hat er nicht gehabt."
Frust löst die Begeisterung ab
Erika Marquard hat sich am Abend noch viele Stunden mit der Technik, vor allem mit dem Tablet beschäftigt, bevor es sich aufgehängt hat. Die anfängliche Begeisterung ist dem Frust der Nacht gewichen.
Erika Marquard: "Die hätte ich auf den Rasen schmeißen können. Beide."
Jan Parchmann: "Wie glauben Sie, könnte man das verhindern?"
Erika Marquard: "Indem man auch manuell im Falle eines Falles dann agieren könnte."
Genau so war es vom Konzept her eigentlich geplant, erklärt Jan Parchmann: Alles sollte auch wie gewohnt bedienbar sein. Das ließ sich dann aber nicht an allen Stellen realisieren.
Schade für Erika Marquard. Zukünftige Generationen, die jetzt mit dem PC aufwachsen, kommen damit sicher besser zurecht, meint die Seniorin zuversichtlich.
Erika Marquard: "Vielleicht in 30 Jahren, aber dann bin ich nicht mehr und Sie können mir ja ne Mail mit so nem Ding schicken. (Lacht) Hölle Nummer sieben, oder so."
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