Blockchain-Zentrum in Mittweida

Per Handscanner ins Freibad

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Luftaufnahme eines Swimmingpools, der von oben aussieht wie ein elektronischer Chip.
Im sächsischen Mittweida soll im Sommer ein Pilotprojekt starten: Eintritt per Handscanner ins Freibad. Die digitale Identität des Besuchers ist mit seiner Eintrittskarte verknüpft. © Getty Images / Lu ShaoJi
Von Alexander Moritz · 25.01.2023
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Mit Kryptowährungen am Snackautomat zahlen, jede Menge Gebühren sparen, die Baufinanzierung revolutionieren: In Mittweida wird mit der Blockchain-Technologie experimentiert. Die sächsische Kleinstadt soll auf diese Weise zum Tech-Zentrum werden.
Die „Werkbank32“ befindet sich in einer früheren und inzwischen sanierten Wäscherei im Zentrum von Mittweida in Mittelsachsen. Hier hat das Innovationszentrum der örtlichen Volksbank seinen Sitz. Vor einigen Jahren hat sich die Region Mittweida zur „Blockchain-Schaufensterregion“ erklärt.
Links neben dem Eingang der „Werkbank32“ steht ein Snackautomat. Das Besondere: Bezahlen kann man mit einem QR-Code auf dem Handy – in der Kryptowährung Bitcoin. Über das Bitcoin-Lightning-Netzwerk könne man Zahlungen von A nach B quasi ohne Gebühren innerhalb von ein, zwei Sekunden übertragen, erklärt der Informatiker Tim Käbisch. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Blockchain-Kompetenzzentrum. Das Kaufen funktioniert genauso einfach wie mit EC-Karte oder Kleingeld, die Geldtransaktion ist aber deutlich günstiger.
Drei Satoshis Gebühr habe er bezahlt, sagt Andreas Ittner – schwarze Brille, Lederjacke, zurückgegelte, graue Haare. Er ist Professor für Informatik an der Hochschule Mittweida. „50 Satoshis sind ein Cent. Also habe ich quasi dreifünfzigstel Cent an Gebühren bezahlt.“ Das sei weder bei der Zahlung mit Kreditkarte oder EC-Karte noch mit Diensten wie Apple Pay möglich.

Firmen, Banken und die Verwaltung sind mit dabei

Der Automat ist eines der Forschungsprojekte des Blockchain Competence Center, dessen Leiter Ittner ist. Das Zentrum soll Blockchain-Technologien entwickeln – in enger Zusammenarbeit mit Firmen, Banken und der öffentlichen Verwaltung in Mittweida.
Blockchain ist eine Methode, um Daten so zu speichern, dass jede Kopie einmalig ist. Es funktioniert wie ein digitales Kontobuch – nur, dass es nicht manipulierbar ist. Denn wird ein Eintrag verändert, entsteht ein neuer Block, der wie eine Kette auch die Daten aus dem vorangegangenen Block enthält. Dadurch lassen sich Änderungen nachvollziehen und für jeden einsehen.
Das biete vielfältige Anwendungsmöglichkeiten – nicht nur in Form von Kryptowährungen, betont Ittner. Sondern beispielsweise auch beim 3D-Druck. „Heute muss ich noch ein Ersatzteil irgendwo mit UPS versenden. Das dauert eine gewisse Zeit.“ In Zukunft werde lediglich der Bauplan verschickt, der Empfänger drucke das dann aus. „Wie verhindere ich, dass der Empfänger daraus ein Geschäft macht und sagt: Ich drucke das Ersatzteil tausend Mal und verkaufe es dann bei mir in der Gegend?“ Genau da brauche es Blockchain-Technologie.

Anlagemöglichkeiten für kleinere Budgets

Auch im Finanzwesen verspricht Blockchain Vorteile: Virtuell lassen sich Geldmengen nahezu beliebig in kleinere Anteile aufteilen – nicht mehr gebunden an die Zahl, die auf einem Geldschein oder einer Aktie steht. Diese sogenannte „Tokenisierung“ könnte zum Beispiel bei der Baufinanzierung helfen, erklärt Ittner. Indem man eine Art Aktien für ein Gebäude ausgebe. „Dass ich sage, ich kann dieses Gebäude durch tausend teilen und zehn Tokens sind dann ein Prozent an dem Gebäude.“ Dann könnten die gehandelt werden. „Ein Crowdfunding könnte ich viel einfacher gestalten, indem ich nicht nur regional, lokal schaue, sondern das sofort international ausschreibe und sage: Hier kann man sich dran beteiligen.“
Wie so etwas in der Praxis funktioniert, damit experimentiert die Volksbank Mittweida, die zu den Kooperationspartnern des Blockchain Kompetenzzentrums gehört.
Miriam Stareprawo-Hofmann ist bei der Volksbank für Innovationsmanagement zuständig. Die Volksbank möchte es mit Blockchain kleineren Unternehmen erleichtern, Kapital für Investitionen einzusammeln. „Dass ich zum Beispiel einen GmbH-Anteil auch tokenisieren, also digital abbilden kann. Mit der Folge, dass ich ihn möglicherweise übertragen kann, dass er handelbar wird.“
Das sei alles noch Zukunftsmusik. Doch das „ungeheure Potenzial“ von Blockchain sei, dass Dinge, die bisher eher Großanlegern vorbehalten sind, auch für Kleinanleger zugänglich würden. „Das finden wir schon eine sehr revolutionäre Entwicklung.“ Anfragen zu solchen Angeboten kämen aus ganz Deutschland. Bisher sind die Blockchain-Finanzen für die Volksbank aber nur ein Nischengeschäft.
Tim Käbisch, Informatikstudent an der Hochschule Mitttweida, und Andreas Ittner, Informatikprofessor an der Hochschule Mittweida, stehen neben einem Snackautomaten, an dem man mit Bitcoins bezahlen kann.
Snacks mit Bitcoins bezahlen: In Mittweida geht das. Die Geldtransaktion ist deutlich günstiger als mit der EC-Karte.© Deutschlandradio / Alexander Moritz
An der Hochschule Mittweida laufen derzeit eine Handvoll Blockchain-Forschungsprojekte: Zum Beispiel wird erforscht, wie Blockchains helfen könnten, Zertifikate für grünen Wasserstoff fälschungssicher zu machen. Bei anderen Projekten geht es darum, eine eindeutige digitale Identität einzuführen – Voraussetzung zum Beispiel für digitale Wahlen, bei denen jede Stimme fälschungssicher und einmalig sein muss.

Deutsches Zentrum der Blockchain-Technologie

Ein Pilotprojekt soll im Sommer im Freibad von Mittweida beginnen: Dort soll der Eintritt per Handscanner möglich sein. Dieser soll die Venen in der Hand erkennen und so Zugang geben zu einer eindeutigen, digitalen Identität, die mit der Eintrittskarte für die Badesaison verknüpft ist.
Gefördert wird das Blockchain-Zentrum mit knapp 14 Millionen Euro vom Bund. Es soll einen regionalen Strukturwandel ermöglichen und Mittweida zum Zentrum der Blockchain-Technologie in Deutschland machen. Ein ambitioniertes Ziel – das weiß auch Informatikprofessor Ittner. "Weil zum Teil auch die großen Unternehmen hier vor Ort fehlen. So hat man durchaus öfter Anfragen aus München, aus Frankfurt, aus Hamburg.“
Seit 2018 gibt es in Mittweida auch einen Masterstudiengang „Blockchain“. Knapp 30 Studierende fangen inzwischen jedes Jahr an. Der Studiengang ist interdisziplinär ausgerichtet – soll nicht nur Informatiker ansprechen, sondern auch juristische oder betriebswirtschaftliche Aspekte beleuchten. Und im Idealfall auch neue Unternehmensgründungen aus der Hochschule heraus hervorbringen.
„Die Infrastruktur in Mittweida wird immer weniger, am Ende bleibt eigentlich nur noch der Dönerladen, die Apotheke und vielleicht noch ein Pflegedienst übrig“, sagt Michael Ascheron. Er ist bei der Stadt Clustermanager für die Blockchain-Modellregion und soll innovative Unternehmensideen fördern. Die noch 14.000 Einwohner zählende Stadt wird immer älter, junge Menschen fehlen. Deshalb geht es darum, die Studenten in Mittweida zu halten. Auch durch ein gutes Klima für Start-ups, für das sich die Stadt engagiere, so Ascheron.

Viele Studierende bleiben nicht in Mittweida

Allerdings studiert weniger als die Hälfte der insgesamt 7000 eingeschriebenen Studierenden überhaupt vor Ort in Mittweida. Ein großer Teil pendelt oder macht ein Fernstudium. Und viele Studierende bleiben nach ihrem Abschluss nicht hier. Aus seinem Jahrgang außer ihm niemand, sagt Tim Käbisch. Er hat seinen Blockchain-Master fast abgeschlossen. „Manche waren bis vor Kurzem hier, die remote gearbeitet haben. Viele gehen dann aber in die größeren Städte oder auch ins Ausland.“
Er arbeitet derzeit an einem weiteren Projekt, neben dem Snackautomaten mit Bitcoinzahlung: „eine Absicherung gegen Zugverspätungen in Deutschland, komplett blockchainbasiert, vollautomatisch, supergünstig. Da gehen wir jetzt in die Pilotphase.“
Ob er an der Hochschule bleibt oder vielleicht selbst ein Start-up gründet, weiß der 25-Jährige noch nicht. Bei ihm gehen mehrere Jobangebote pro Woche ein, erzählt er. Trotzdem will er in Mittweida bleiben – erstmal zumindest.
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