Mit Schiller raus aus der Zelle

Von Sieglinde Geisel · 18.06.2013
Friedrich Schillers Drama "Wallensteins Lager" trifft in der JVA Tegel auf das Vielvölkerensemble von aufBruch, dem ältesten deutschen Gefängnistheater. Die Häftlinge wollen Unterhaltung, dem Regisseur geht es um Kunst – und die Anstaltsleitung hofft auf Persönlichkeitsbildung.
"Eintritt, eintreten, dallidalli! Eintritt, eintreten, dallidalli!"

Wir gehen durch einen Gang mit altmodischen Zellen, ein Trakt im Gefängnis Tegel, der leer steht und nun als Kulisse dient. Zwei Dutzend Häftlinge spielen hier ein Stück, das man an diesem Ort nicht unbedingt erwartet hätte.

O-Ton Stück: ""Wallensteins Lager, was das ist, werden Sie noch erfahren. Aber was ein Lager ist, das ist eine Frage der Definition."

Der Knast-Alltag ist immer präsent, Schiller hin oder her.

O-Ton Stück: "Lager für Menschen sind meist geschützte Orte, da gibt es dann Wachen, oder einen Zaun, oder eine Mauer."

Acht Wochen haben die Inhaftierten mit dem Regisseur Peter Atanassow geprobt, fünf Stunden am Tag, fünf Tage die Woche. Entstanden ist ein Stück, das nicht nur aus dem ersten Akt von Schillers Wallenstein besteht. Texte von Friedrich Nietzsche und Alfred Döblin etwa bereichern die Collage, die heute im Gefängnishof in Tegel ihre Generalprobe hatte. Schillers oft ungewohnte Worte bereiteten den Schauspielern erstaunlich wenig Mühe.

O-Ton Stück: "Sind holkische Jäger mit silbernen Tressen
Holten sie sich nicht von den Leipziger Messen."

"Schiller ist schwierig, sicher, aber der Vers hilft ja auch, sich da auf etwas einzulassen, was mir völlig fremd ist, ist oft auch leichter als etwas, das ich völlig kenne."

…so der Regisseur Peter Atanassow. Die Häftlinge allerdings spielen nicht nur fremde Rollen, manche haben eigene Texte geschrieben. Diese aktuellen Texte haben in den Proben mehr Schwierigkeiten bereitet als der deutsche Klassiker.

Peter Atanassow: "Weil das dann auch mehr persönlich ist, und weil sie sich auch mehr zur Diskussion stellen jetzt hier, vor dem Publikum."

O-Ton Stück: "Leute, ich dreh durch, Leute stellt mich ruhig, holt mir Morphium gegen die extreme Furcht. Ich gefährde mich und meine Umgebung."

Ein Text allerdings, der nicht das Knastleben zeigt, wie der Autor und Spieler erklärt:

"Das war mehr draußen, Straße… Situationen, wo man nicht drin sein möchte, aber halt drin ist."

Das Berliner Theater aufBruch gehört zu den ältesten Gefängnistheatern Deutschlands. Seit 16 Jahren bereits werden hier mit Häftlingen Stücke erarbeitet, und manche Langzeitgefangenen gehören zum festen Stamm. Eine beeindruckende Entwicklung, wie Lukas Hoffmann meint, der Sprecher der Justizvollzugsanstalt Tegel:

"Die Tatsache, dass wir heute hier Open Air spielen vor durchschnittlich 200 Zuschauern, das konnte man sich 1997 noch nicht vorstellen."

Für die Häftlinge bedeutet das Gefängnistheater vor allem eins:

"Abwechslung, dass ich rauskomm aus der Zelle."

"Man kann hier Kind sein, sich austoben, spielen."

Die Häftlinge wollen Unterhaltung, dem Regisseur Peter Atanassow geht es um Kunst – und die Gefängnisleitung hofft auf Persönlichkeitsbildung bei den Häftlingen.

Lukas Hoffmann: "Es bringt sie persönlich weiter in ihren Kompetenzen, in ihrer sozialen Kompetenz, sich unterordnen den Anweisungen des Regisseurs, den Kontakt mit den Mitspielern, mit denen man klarkommen muss, ob man sie nun mag oder nicht, deshalb ist die Theaterarbeit für uns immer auch ein Stück weit Behandlungsmaßnahme. Auch wenn das die Theaterleute nie so sehen. Für die Theaterleute ist es Kunst."

O-Ton Stück: "Blut auf den Straßen, gleich schon in den Gassen, weil Menschen sich hassen, sie können es nicht lassen, unterscheiden zwischen Klassen…"

Informationen des Gefängnistheaters aufBruch
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