Ausbruch aus dem Mikrokosmos

Von Wolfgang Martin Hamdorf · 08.07.2011
Beim 2. Internationalen Symposium zum Gefängnistheater wurden Projekte aus elf Ländern vorgestellt. Die künstlerischen Ansprüche sind gewachsen, zugleich mehren sich kritische Stimmen aus der Kulturszene: Nicht jedem gefällt die Konkurrenz der spielenden Knastis.
"Ja mein Herr, unter diesen Umständen komme ich doch nicht mit." - "Sancho!" - "Meine Alte lässt mich doch gar nicht fort." - "Sancho" - "Na was zahlt ihr mir denn?" - "Ich mache dich zum Gouverneur auf der allerersten Insel, die ich erobern werde. Binnen Monatsfrist sitzt du auf deiner Insel und erlässt Gesetze." - "Ist das sicher?" - "Todsicher!"

Sancho Panza und Don Quichotte haben unterschiedliche Vorstellungen von Welt und Wirklichkeit. Unter freiem Himmel inszeniert des Gefängnistheater "aufBruch" nach Motiven von Cervantes' Roman die wunderlichen Reisen des Ritters von der traurigen Gestalt und seinen Kampf gegen die Windmühlen. Unter freiem Himmel, aber mitten im Gefängnis, umgeben von roten Backsteinmauern mit vergitterten Fenstern. Seit 13 Jahren arbeitet die Gruppe "aufbruch" mit Laienschauspielern, mit Inhaftierten der Justizvollzugsanstalt Tegel. Einer der Veteranen des Ensembles ist der Darsteller des Sancho Panza, Kurt Lummert:

"Ich hätte nie von meiner Seite gedacht, dass ich in meinem Leben mal Theater spiele. Ich hab mich nur rumgetrieben, draußen in Tag und Nacht, Kneipen ... also ich bin jetzt das achte Mal dabei und das ist wirklich eine Erfahrung, die möchte ich nicht mehr missen."

"aufBruch" ist eines der 20 Projekte aus 11 Ländern, die in Berlin ihre Arbeit vorstellen. Das Spektrum reicht dabei von einem Gefängnistheaterfestival in Rumänien bis zu einer vierjährigen Schauspiel- und Regieausbildung in Mexiko-City. Sie wird von der 33-jährigen Schauspielerin und Regisseurin Itari Marta geleitet. Der größte Teil der Kursteilnehmer, so die Regisseurin, sei dabei wegen Mord, Entführung und Vergewaltigung zu Höchststrafen verurteilt. Mit den Häftlingen hat sie jetzt Shakespeares "Richard III." inszeniert. Im Spiel der Gefangenen findet sie eine Natürlichkeit der Darstellung, die sie im herkömmlichen mexikanischen Theater vermisst:

"Ich habe dort auch eine Wahrhaftigkeit im Ausdruck gesucht und gefunden. Diese Männer geben alles, was sie können, und haben keine Angst, die Wahrheit zu sagen, sie haben nichts zu verbergen. Wenn jemand alles verloren hat, seine Würde, sein Schamgefühl, dann ist er auch fähig, sich auf die Bühne zu stellen und zu sagen: Hier bin ich, ich habe nichts zu verbergen."

Fünf Projekte kamen aus Lateinamerika, aus dem von einem blutigen Krieg gegen die Drogenmafia gelähmten Mexiko und aus Ländern wie Chile und Argentinien, mit den Traumata brutaler Militärdiktaturen in der jüngeren Geschichte. Nachdem die Berliner Gruppe "aufBruch" im vergangenen Jahr in Santiago ein Stück mit chilenischen Häftlingen zur Aufführung gebracht hatte, ging die chilenische Gruppe CoArtRe in die sächsische Justizvollzugsanstalt Zeithain und inszenierte dort mit Inhaftierten den Untergang des deutschen Kreuzers "Dresden" im ersten Weltkrieg in chilenischen Gewässern. Das Stück wird am Samstag in der JVA Zeithain aufgeführt. Bei Proben und Vorbereitungen sah sich Regisseurin Jacqueline Roumeau mit starken Mentalitätsunterschieden konfrontiert:

""Mich hat die Überfürsorglichkeit den Häftlingen im Gefängnis gegenüber sehr verwirrt. Sie wurden bezahlt für ihre Arbeit und wenn sie dann nicht zur Probe erschienen, wurde das von den Therapeuten gedeckt. Für die Resozialisierung bringt das doch nichts und ich glaube, dass das Theater mit seinen täglichen Proben auch soziale Kompetenzen wachsen lässt, die Ausdauer, Teamfähigkeit, Toleranz aber eben auch die Disziplin. Und ich hatte immer den Eindruck, wir wurden angegriffen, weil wir das einforderten."

Bei allen kulturellen, sozialen und politischen Unterschieden gibt es zahlreiche gemeinsame Erfahrungen, Probleme und auch Fragen: Etwa nach dem Umgang mit den Einschränkungen durch die Gefängnisbürokratie, oder wie die Lebenswirklichkeit der Häftlinge in die Stoffentwicklung einbezogen wird: Versucht man die Realität des Strafvollzugs szenisch einzufangen oder in klassische Motive und Stücke einfließen zu lassen. Wie passt sich die Theaterarbeit in den Alltag der Haftanstalten ein und welche Perspektiven bekommen die Häftlinge durch die Theaterarbeit? Denn für eine ausschließlich an Therapie und Resozialisierung angelehnte Theaterarbeit gäbe es nur zustimmendes Schulterklopfen. Bei steigendem künstlerischen Anspruch erhöhe sich auch die Kritik, sagt Regisseur Peter Attanassov von der deutschen Theatergruppe "aufBruch":

"Das heißt, es mehren sich die Stimmen, die sagen, die Künstler gehen jetzt da ins Gefängnis, machen sich da wichtig, kriegen die Preise, werden scheinbar gut finanziert und überhaupt, was soll das Ganze? Warum bitteschön machen die nicht Kunst mit Schauspielern, sondern nehmen jetzt die armen Gefangenen, um auf deren Kosten sich wichtig zu machen? Das ist eine gesellschaftliche Position, die seit einiger Zeit aufgetaucht ist, die aber auch bedeutet, dass wir angekommen sind in der Kultur."

Die Theaterarbeit bewegt sich, jenseits kultureller Unterschiede, auf einem schmalen Grat zwischen Sozialpädagogik, Therapie und künstlerischem Anspruch. Wie sehr sich das Gefängnistheater als eigene Form des Theaters etabliert hat, zeigt die stilistische Vielfalt der Projekte und Initiativen auf dem Symposium, die über den Mikrokosmos Gefängnis auch ein Porträt ihrer jeweiligen Gesellschaft.
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