Mehr als fünf Euro pro Stunde

Von Jürgen König · 27.05.2011
Mit dem "George Tabori-Preis" will der Fonds Darstellende Künste auf herausragende Produktionen der Freien Theater- und Tanzszene aufmerksam machen. Preisträger 2011 sind Nico and the Navigators und das Gefängnistheater "aufBruch".
George Tabori war ein großer Theatermann, der mit seinen Schauspielergruppen ein "menschlicheres" Theater verwirklichen wollte. Und damit am Wiener Burgtheater ebenso Maßstäbe setzte, wie er der Freien Theaterszene entscheidende Impulse gab, etwa in Bremen, wo er schon 1976 das "Bremer Theaterlabor" gründete.

Mit dem "George Tabori-Preis" soll auch er gewürdigt und der flüchtigen Theaterwelt in Erinnerung gehalten werden. Vor allem aber will der Fonds Darstellende Künste mit dem Preis auf herausragende Produktionen der Freien Theater- und Tanzszene aufmerksam machen. Er teilt sich in einen Hauptpreis von 20.000 und einen Förderpreis von 10.000 Euro, ist also hoch dotiert: Als Zeichen besonderer Wertschätzung künstlerischer Leistungen, als Fördersumme für neue Produktionen – und auch, weil die Chancen, in der allgemeinen Preisflut überhaupt noch wahrgenommen zu werden, bei einem hochdotierten Preis eben größer sind.

"Nico and the Navigators": Hauptpreisträger in diesem Jahr, jenes Kollektiv, das Nicola Hümpel und Oliver Proske 1998 am Bauhaus Dessau gründeten und das mittlerweile nach Berlin umgezogen ist: ein Bilder- und Bewegungstheater, das in keine Schublade passt. Der George Tabori-Förderpreis geht an das Berliner Gefängnistheater "aufBruch", dessen Leiter Peter Atanassow mit Strafgefangenen – zum Beispiel – Heiner Müller-Texte probt und aufführt.

Der George Tabori-Preis ist – auf Bundesebene – der einzige Preis für professionelle freie Theater- und Tanzschaffende. Mit ihm soll ihre Arbeit und ihre wirtschaftliche Lage öffentlicher gemacht werden. Mehr als die Hälfte aller Theaterkünstler und Tänzer in Deutschland ist inzwischen nicht an festen Bühnen engagiert, sondern arbeitet frei: Das Durchschnittseinkommen liegt bei monatlich 900 Euro. Günter Jeschonnek, Geschäftsführer des Fonds Darstellende Künste:

"Dieser Verdienst liegt 40 Prozent unter dem Durchschnittseinkommen der Gesamtbevölkerung in Deutschland einschließlich der geringfügig Beschäftigten. Also er bewegt sich wirklich bei vielen im Bereich von fünf Euro die Stunde, obwohl es sich bei den Künstlern und Künstlerinnen um Menschen handelt, die eine Hochschulausbildung haben, die mehrsprachig sind, die international agieren – also das sind genauso gut ausgebildete Künstler wie alle anderen im Theaterbereich. Das ist ein großes Missverhältnis, das hat die Politik inzwischen auch festgestellt, und ich hoffe, dass es da Verbesserungen, Änderungen gibt. Und dieser Preis soll mit dazu beitragen."

Die Freie Theater- und Tanzszene gibt es nicht, Günter Jeschonnek beschreibt sie als ausgesprochen vielfältig. Gemeinsamkeiten gäbe es dennoch, vor allem im gewollten Unterschied zu dem, was Stadt- und Staatstheater spielen:

"Es gibt deutliche Unterschiede in der Kommunikation mit den Zuschauern, also die Formen sind einfach offener, direkter am Publikum dran, keine vierte Wand; man sucht in der Regel spezifische Orte, wo man seine Projekte zeigt, also die finden nicht nur in Theaterhäusern, Theaterräumen statt; und sie sind nicht so literaturorientiert, das heißt, sie entwickeln ihre Stoffe oft selber, dichter an der Zeit dran für mich, beweglicher, flexibler in der Ästhetik frischer, moderner – das zeichnet die freie Szene aus. Und sie ist in jedem Fall viel internationaler."

Vor allem junge Leute würden in die Aufführungen gehen. Hemmschwellen gäbe es keine, nach den Aufführungen in der Regel die Möglichkeit zum Gespräch, zur Diskussion mit den Künstlern. Neben den Schulen und Hochschulen, sagt Günter Jeschonnek, sei das Theater – und gerade diese Form des Theaters – doch eigentlich die letzte Bildungsanstalt, die es im öffentlichen Raum noch gäbe:

"Das ist eines der wenigen öffentlichen Laboratorien gesellschaftlicher Phantasie – wir können dort Dinge durchspielen, in diesem Raum öffentlich, gemeinsam mit den Zuschauern, die uns unter den Nägeln brennen. Und diese Art von Räumen, wo Kommunikation stattfindet gibt es ja kaum noch. Weder im Kino, Fernsehen so und so nicht und das ist einer unser wenigen."

Theater als öffentliches Labor, als Ort "gesellschaftlicher Fantasie" – der überall entstehen kann, auch da, wo die Stadt- und Staatstheater nicht mehr hinkommen. Wie zum Beispiel in Peter Atanassows Gefängnistheater "aufBruch" - ganz im Sinne des "menschlicheren" Theaters von George Tabori:

""Wenn das Gefängnis eine militärische Grundstruktur ist, dann ist das Theater so was wie der Einsatz. Das Manöver, das Ausrücken. Wo jeder jeden wirklich braucht, wo man nicht weiterkommt, wenn man den Anderen nur schikaniert. (Szene:) ,Aug in Aug mit dem Feind. Sage nun an, Priester des Scheins: Wie wird das Schicksal uns sein?’"