Minijobs

Gute Arbeit geht anders

09:25 Minuten
Eine Reinigungskraft in einem Blaumann schrubbt Pflaster vor einem Steingebäude
Gerade Reinigungstätigkeiten werden oft von Minijobbern erledigt. © imago images / Florian Gaertner/ photothek
Von Anh Tran · 08.11.2021
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Die Minijobs auf 450-Euro-Basis sollten eigentlich den Einstieg in den Arbeitsmarkt erleichtern. Doch für viele wurden sie zur Dauerlösung. Die neue Bundesregierung wird sie vermutlich dennoch nicht abschaffen, sondern die Entgeltgrenze erhöhen.
Eigentlich hat Werner Urlaub. Trotzdem putzt er fast jeden Abend, von Montag bis Freitag, Büros in der Magdeburger Innenstadt.
Geübt zieht er den Bodenwischer in großen Schlangenlinien über die weißen Fliesen der kleinen Toilette. Mit dem Putzen verdient er sich ein bisschen Geld dazu. Von seinem Hauptjob allein könne er seinen Lebensstandard nicht halten, sagt der 60-Jährige:
"Ich arbeite im Handwerk acht Stunden, kriege 2.000 brutto – mit Steuern abbezahlen bleibt nicht mehr viel über."
Am Ende des Monats sind es ungefähr 1.700 Euro, die Werner zum Leben bleiben. Seine Frau jobbt auch neben ihrem eigentlichen Beruf.
Die Tage der beiden sind stark getaktet. Aufgestanden wird um fünf, von 06:30 bis 15:30 Uhr gearbeitet. Dann bringt Werner seine Frau zur Arbeit und fährt zu seinem zweiten Job.
Wenn sie gut vorankommen, ist es 19 Uhr, an schlechten Tagen sind sie erst kurz vor Mitternacht zuhause. Ausruhen und Relaxen? Kann Werner am Wochenende im Garten.
Das reicht ihm. Er ist eigentlich ein genügsamer Mensch, nur eine Sache ärgert ihn schon länger: Die Freigrenze von 450 Euro, die man sich steuerfrei dazuverdienen kann.

Entgeltgrenze seit 2013 nicht erhöht

Seit 2013 ist die Entgeltgrenze für Minijobs nicht mehr angehoben worden. Gleichzeitig steigt der zwei Jahre später eingeführte Mindestlohn stetig. Aktuell liegt er bei 9,60 Euro. 2022 soll er bei 10,45 Euro liegen.
Die Konsequenz: Werner arbeitet immer weniger in seinem Nebenjob. Seiner Meinung nach lohnt sich das irgendwann nicht mehr:
"Wenn man in Magdeburg in Nord wohnt und in Sudenburg eine Arbeit hat, dann fährt man durch die ganze Stadt. Hin und zurück sind das drei Stunden – für eine Stunde arbeiten. Das lohnt sich nicht."
Deswegen wünscht sich Werner auch, dass die Entgeltgrenze nach über sieben Jahren erhöht wird, damit ihm nicht noch mehr Zeit gestrichen wird. Denn Werner macht seinen Minijob gerne. Die Arbeit ist unkompliziert, die Menschen in den Büros freundlich. und nicht zuletzt brauchen er und seine Frau diesen Zuverdienst.
Ulrike Laux ist im Bundesvorstand der IG Bau, Agrar und Umwelt und dort für den Bereich Gebäudereinigung verantwortlich. Argumente wie die von Werner hört sie häufiger. Denn für viele sei der Beruf nur ein Nebenjob, bei dem sie die 450 Euro netto ausgezahlt bekommen. Doch Laux warnt:
"Wir haben in der Pandemiezeit erlebt, wie schwer es ist, wenn man plötzlich vor der Situation steht, dass man im Objekt nicht mehr reinigen kann. Viele Büros waren geschlossen, die Industrie ist auf null runtergefahren, es gab keine Produktion und somit auch keine Reinigung. Die ersten, die davon betroffen waren, waren die Minijobber."

Minijobber sind die Hauptverlierer der Pandemie

Die Bundesagentur für Arbeit bezeichnete Menschen in Minijobs in diesem Jahr sogar als "Hauptverlierer" der Pandemie. Zwar haben diese die gleichen Arbeitsrechte wie Vollzeitbeschäftigte, wie zum Beispiel die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Aber: Weil sie nicht sozialversicherungspflichtig arbeiten, entfällt ihr Anspruch auf Leistungen wie Arbeitslosengeld oder Kurzarbeitergeld. In der Pandemie ist das fatal.
Minijobs, so die Idee, sollen einen niedrigschwelligen Einstieg in den Arbeitsmarkt ermöglichen, um vor allem Arbeitslosen den Weg in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu erleichtern. Allerdings kommt eine aktuelle Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, kurz IAB, zu dem Fazit: "In kleinen Betrieben haben Minijobs in erheblichem Umfang sozialversicherungspflichtige Beschäftigung verdrängt."
Zudem weist das IAB in einer aktuellen Stellungnahme darauf hin, dass der intendierte Effekt von Minijobs – nämlich eine Brücke in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu bauen – kleiner ist als erhofft.
Deswegen fordert Ulrike Laux keine Erhöhung der Entgeltgrenze, sondern eine Umwandlung in sozialversicherungspflichtige Berufe. Für die, die das als Nebenjob machen wollen, ließe sich das vielleicht mit steuerlichen Vergünstigungen realisieren. Denn auch wenn die Gewerkschafterin Menschen wie Werner versteht, sagt sie:
"Dieses ganze System ist nicht handhabbar für die Menschen. Das System ist falsch in jeder Beziehung."

Minijobs können nicht die Lösung sein

Und was sagen die Regierungsparteien in spe dazu? In der vergangenen Legislaturperiode hat sich das SPD-geführte Bundesarbeitsministerium noch vehement gegen eine höhere Verdienstgrenze für Minijobs gesträubt. Im Wahlprogramm der Sozialdemokraten stand zudem:
"Unser Ziel ist, alle Beschäftigungsverhältnisse in die soziale Sicherung einzubeziehen. Dabei wird es Übergänge für bestehende Arbeitsverhältnisse und Ausnahmen für bestimmte Gruppen wie zum Beispiel Rentner*innen geben."
Ähnliches haben die Grünen in ihrem Wahlprogramm vermerkt. Im Sondierungspapier der Ampel-Parteien heißt es nun aber:
"Künftig orientiert sich die Minijob-Grenze an einer Wochenarbeitszeit von 10 Stunden zu Mindestlohnbedingungen. Sie wird dementsprechend mit Anhebung des Mindestlohns auf 520 Euro erhöht. Gleichzeitig werden wir verhindern, dass Minijobs als Ersatz für reguläre Arbeitsverhältnisse missbraucht oder zur Teilzeitfalle insbesondere für Frauen werden."
Wie dieser Widerspruch konkret gelöst werden soll, dazu will sich das Ministerium während der laufenden Koalitionsverhandlungen nicht äußern.
Gewerkschafterin Laux reicht das nicht. Sie fordert, "dass jeder Mensch im ersten Einkommen auch genug Geld verdient, um sich ein gutes Leben ermöglichen zu können und gar nicht darauf angewiesen ist, in einem Zweitjob arbeiten zu müssen."
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