Mieterinitiative "BoeThie bleibt!"

Vom Kampf gegen eine dänische Pensionskasse

Protest von Anwohnern in Berlin gegen den Verkauf ihrer Wohnungen.
Anwohner in Neukölln demonstrieren gegen den Verkauf ihrer Wohnungen. © Lioba Keuck
Von Étienne Roeder · 21.01.2019
Es klingt absurd, ist in Berlin aber passiert: Ein dänischer Rentenfonds wollte Mietshäuser in Neukölln kaufen, von den dort wohnenden Rentnern hätten sich viele die Miete zukünftig nicht mehr leisten können. Eine Geschichte über Verdrängung und Protest.
Elena Poeschl: "Schuhe aus am liebsten. Ich hab heute gesaugt, das erste Mal seit drei Wochen. Ja am Samstag sind hier ja gefühlt bestimmt 20, dreißig Leute ein- und ausmarschiert."
Die Studentin Elena Poeschl wohnt in Berlin Neukölln.
"Vor der Demo, während der Demo, nach der Demo."
Und bis vor kurzem war sie noch eine von vielen Mietern der Großstadt, die mehr oder weniger anonym nebeneinanderher leben. Doch das änderte sich schlagartig mit einem Brief, den sie im Herbst 2018 bekam.

"Dieser Brief war so unglaublich bürokratisch"

"Anfang November haben wir diesen Brief bekommen vom Stadtrat, in dem wir informiert wurden, dass wir verkauft werden. Und dieser Brief war so unglaublich bürokratisch verklausuliert formuliert, und den folgenden Tag da lagen diese Briefe hier schon im Treppenhaus im Mülleimer und da haben wir gemerkt, ok, die Leute verstehen gar nicht, was das für Ausmaße haben könnte."
Die Ausmaße haben es in sich: Der gesamte Gebäudekomplex, bestehend aus 14 Häusern mit insgesamt 140 Mietwohnungen, wurde von "Industria Wohnen" an den dänischen Pensionsfond PFA verkauft. Ein Geschäft, dass sich für die Pensionskasse durch Mietsteigerungen und teure Neuvermietungen rentieren soll. Also heftete Elena Poeschl in ihrer Straße Flyer auf Deutsch, Englisch, Arabisch und Türkisch an die Hauseingänge, um möglichst viele Mieter zur Bürgersprechstunde ins Rathaus zu bewegen.
"Auf der Versammlung wurde uns dann im Behördendeutsch über eine Stunde lang erklärt, was da genau los ist und als dann nach ´ner Stunde nach diesem Gespräch eine Frau aufstand und meinte: ´Muss ich jetzt aus meiner Wohnung raus?` Da hat man halt gemerkt, ok, die Leute verstehen das noch nicht ganz."

Im Kern ging es darum, dass der Bezirk Neukölln prüft, ob er sein Vorkaufsrecht nutzt und so kommunales Eigentum sichert. Am Ende der Versammlung stand die Frage, wer denn die Kommunikation zwischen Mietern und Stadtrat übernehmen würde:
"Und da hatte ich irgendwie so so einen Moment, wo ich gesagt hab: Nee, das musst Du jetzt machen. Und dann bin ich aufgestanden und habe gesagt: Jo, ich bin Elena Poeschl, ich würd´ das hier für Euch machen. Wenn euch meine Nase passt und das ok für Euch ist, dann mach ich das."
Elena Poeschl, Aktivistin in Berlin
Elena Poeschl, Anwohnerin in der Thiemannstraße in Neukölln, ist zur Stimme des Protests geworden.© Lioba Keuck

Der Mieterprotest wurde professionell

Und damit sollte sich ihr Leben komplett verändern: Der Mieterprotest wurde nun professionell. Eine Facebook Seite, Instagram Auftritt und Kontakte zu Journalisten wurden aufgebaut, eine Demo organisiert. Die Initiative "BoeThie bleibt!" organisierte Fotoshootings mit Mietern. Außerdem wurden Briefe veröffentlicht, in denen die Alteingesessenen schilderten, warum ein Verkauf und damit verbundene Mietsteigerungen sie hart treffen würden.
"Ich bezahl mit eine der höchsten Mieten, ich würd´ zum selben Preis woanders auch was finden. Aber die Leute, die hier seit 20 Jahren wohnen, wo die Kinder zur Schule gehen, die in dem Haus ne Gemeinschaft haben, wo die sich gegenseitig unterstützen. Das ist mir erst durch diese Briefe bewusst geworden, dass die hier nicht wegkönnen. Die kannst Du nicht einfach umpflanzen."
Nur zwei Monate hatte der Bezirk Zeit, um sein Vorkaufsrecht geltend zu machen. Innerhalb dieser Frist lag die Weihnachtszeit und die Mieter in der Thiemannstraße wurden ungeduldig je näher der Stichtag kam.
"Das Bezirksamt sagt natürlich: ´Ich kann jetzt noch nicht an den Senator herantreten. Weil, ich weiß noch nicht, in welcher Höhe wir eventuell ´nen Zuschuss brauchen`, und und und. Aber für mich als Vertreterin dieser Bürger will ich natürlich schon vorher den emotionalen Druck aufbauen. Und das kann ich nicht, aber meine Vertreter, meine Abgeordneten können das ja sehr viel besser. Vor allem, weil die ja alle in der gleichen Partei waren. Die sind ja alle in der SPD. Das heißt, die können dann mal schön so von Genosse zu Genosse und gleichzeitig weiß ich, dass es an die richtigen Leute kommt und dass es gehört wird."


Von den richtigen Leuten gehört werden. Druck aufbauen. Von Anfang an war das Elena Poeschls Leitmotiv. Denn selbst wenn der Bezirk sein Vorkaufsrecht geltend macht: Eine Abwendungsvereinbarung, in der sich die dänische Pensionskasse PFA verpflichtet Auflagen zum Mieterschutz zu erfüllen, hätte das Vorkaufsrecht ausgehebelt. Doch diese Abwendungsvereinbarungen bedeuten für die Mieter oft keine Entwarnung. Also machten die Bewohner bei ihren öffentlichkeitswirksamen Aktionen auf das Grundproblem aufmerksam:
"Das ist ein Riesenscherz, dass dänische Rentner deutschen Rentnern den Wohnraum wegnehmen, in Anführungszeichen. Wir haben es versucht möglichst neutral zu halten, sehr freundlich auch in der öffentlichen Kommunikation. Auf Facebook waren wir immer sehr persönlich und freundlich. Nichts Radikales, keine Steinwerfer oder so. Dass wir halt einfach Menschen sind, die hier leben und die hier leben bleiben wollen und friedlich sind."

Die Nachbarn sind enger zusammengewachsen

Das Engagement der vergangenen Wochen hat das Leben in Neukölln vielleicht nicht friedlicher gemacht, die Verbesserung des nachbarschaftlichen Gefühls jedoch kann man jetzt bereits an Elena Poeschls Wand ablesen. Die ist tapeziert mit den Portraits ihrer Nachbarn, Demoaufrufen und Zeitungsartikeln über ihren Protest. Und in einer Spendenbüchse steckt eine kleine, dänische Flagge. Die wurde in den vergangenen Wochen so etwas wie das Markenzeichen ihres Protests.
"In Dänemark ist die Flagge ein Zeichen der Freude. Und wenn du dann in der dänischen Tageszeitung auf dem Titelblatt dieses Bild von der Demo mit dänischen Fläggchen hast, das war halt so gesehen PR-mäßig ein guter move. Das war ja gar nicht Anti-Dänemark, sondern es war um die Sympathie der Dänen zu bekommen, weil in Dänemark haben sie ja genau das gleiche Problem mit Investoren aus anderen Ländern. "
Die dänischen Flaggen auf Neuköllner Straßen, dieses Bild in den Tageszeitungen hat vielleicht mit dazu beigetragen, dass sich der Pensionsfond aus dem Geschäft zurückgezogen hat. Der Vorkauf des Bezirks ist seit wenigen Tagen rechtskräftig. BoeThie bleibt. Vorerst.

Hören Sie zum Thema auch einen Beitrag über die Rekommunalisierung eines Mietshauses in Berlin von Tini von Poser.
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