Michaela Muthig: "Und morgen fliege ich auf"

Bewusst denken gegen das Hochstapler-Syndrom

08:59 Minuten
Ein Gesicht vor schwarzem Hintergrund, versteckt hinter einer Maske.
Viele Gefühle seien alte Gefühle. © Unsplash / Engin Akyurt
Michaela Muthig im Gespräch mit Christian Rabhansl · 17.07.2021
Audio herunterladen
Das Gefühl, den Erfolg nicht verdient zu haben: Für Menschen, die vom Hochstapler-Syndrom betroffen sind, ist es ein ständiger Begleiter. Die Therapeutin Michaela Muthig sagt, man könne dagegen angehen - mit Gedanken könne man Gefühle beeinflussen.
Das Gefühl, eigentlich ein Hochstapler zu sein – einige kennen das vielleicht, so ab und zu. Bei manchen Menschen aber ist dieses Gefühl sehr dominant. Michaela Muthig, Medizinerin mit Schwerpunkt Verhaltenstherapie, hat ein Buch darüber geschrieben: "Und morgen fliege ich auf. Vom Gefühl, den Erfolg nicht verdient zu haben".
Selbstkritik sei eine gute Sache, sagt Muthig. Es habe viel mit Selbstreflexionsfähigkeit zu tun. Wenn wir keine Selbstkritik hätten, wären wir irgendwann ziemlich einsam.
"Aber auch hier macht die Dosis das Gift", also ein Übermaß an Selbstkritik werde zum Problem: "Wenn wir den lieben langen Tag damit verbringen, uns selbst niederzumachen, und jeden kleinen Erfolg zunichtemachen, indem wir uns selbst erklären, warum wir eigentlich gar nicht gut gewesen sind."
Der Unterschied zu "normalen" Selbstzweifeln sei, dass bei Menschen mit dem Hochstapler-Syndrom Erfolg nicht positiv wirkt, sondern noch zusätzlich Stress auslöst. Wir hätten immer, wenn wir es Neues machen, Selbstzweifel, erklärt Muthig. Wenn wir Erfolg hätten, gehe es beim nächsten Mal ein bisschen leichter.
"Beim Hochstapler ist es so, dass wenn wir Erfolg haben, ihn gleich zunichtemachen." Der Erfolge werde nicht auf die eigene Kompetenz zurückgeführt, sondern auf andere Umstände wie Glück oder Zufall.

Falsches Denkmuster Perfektionismus

Deshalb löse ein Erfolg bei diesen Menschen Stress aus. Denn sie dächten, dass nun die anderen denken, sie könnten das, dabei sind sie überzeugt, dass sie es gar nicht können. Daraus folge die Angst: "Beim nächsten Mal kommt es raus."
Beim sogenannten Impostor-Phänomen spielten falsche Denkmuster eine Rolle wie beispielsweise Perfektionismus; oder auch Gefühle wie Angst oder Scham. Wie kann man damit umgehen?
Wir könnten zwar unsere Gefühle nicht direkt steuern, aber sie durch unsere Gedanken durchaus beeinflussen, betont Michaela Muthig:
"Wenn wir die ganze Zeit denken, wie schlecht wir sind, und das andere das und das viel besser hinkriegen, und was alles Schlimmes passieren könnte, wenn wir die und die Herausforderung wagen, dadurch verstärken sich unsere Versagensängste und unsere Selbstzweifel."

Viele Gefühle sind Gefühle von früher

Gerade heute glauben viele, Gefühle sind das einzig Authentische. Sie rate in ihren Coachings, so Muthig, "dem eigenen Bauchgefühl zuhören – aber das Bauchgefühl ist wieder was anderes als ein antrainiertes Angstgefühl". Viele Gefühle seien bei genauem Hinsehen alte Gefühle. Sie stammten aus Situationen wie beispielsweise der, als man mit hochrotem Kopf vor der Klasse stand und ausgelacht wurde.
"Das ist alter Mist von damals." Diese Gefühle würden aus dem Unterbewusstsein wieder hochgespült. Sie finde wichtig, zu wissen, dass "Gefühle nicht stimmen müssen", aber auch, dass wir unserem inneren Kritiker nicht glauben müssen. Das sei "diese kleine Stimme im Kopf, die sagt: Das kannst du nicht, das kriegst Du nicht hin."
(abr)

Michaela Muthig: "Und morgen fliege ich auf. Vom Gefühl, den Erfolg nicht verdient zu haben. Das Impostor-Syndrom erkennen und überwinden"
dtv premium, München 2021
235 Seiten, 16,90 Euro

Mehr zum Thema