Michael Krüger: "Einmal einfach"

"90 Prozent aller Gedichte sind Gelegenheitsgedichte"

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Der Verleger, Dichter, Schriftsteller und Übersetzer Michael Krüger: 1968 begann er seine Karriere als als Verlagslektor beim Carl Hanser Verlag. © picture alliance / Markus C. Hurek
Michael Krüger im Gespräch mit Joachim Scholl · 10.01.2018
"Ich habe die ganze Geschichte der Poesie mit allen ihren Regeln und Vorschriften und so weiter hinter mir gelassen, und jetzt möchte ich das alles noch mal einmal einfach sagen." Das sagt der Lyriker und Autor Michael Krüger über seinen neuen Gedichtband "Einmal einfach".
Joachim Scholl: Er gehört zu unseren liebsten Lyrikberatern, seit es unsere "Lesart" gibt: Michael Krüger. Oft haben wir von seinen profunden poetologischen Kenntnissen profitiert, und dass der langjährige Verleger des Hanser-Verlags selbst ein Autor von Graden ist, das weiß die literarische Welt schon seit Jahrzehnten. Michael Krüger schreibt Prosa, Romane, Novellen, Erzählungen, den größten Respekt aber hat er sich durch seine Lyrik verschafft.
Im vergangenen Jahr wurde er mit dem Eichendorff-Preis geehrt, einer von vielen Preisen schon, und jetzt in einigen Tagen erscheint sein neuester Gedichtband "Einmal einfach". Wir durften schon spicken. Guten Morgen, Herr Krüger!
Michael Krüger: Guten Morgen!
Scholl: Den Einband, den ziert ein handgeschriebenes Gedicht. Ich bin immer so schlecht im Handschriftenlesen, Herr Krüger. Tragen Sie es uns mal vor?
Krüger: Sie sollten übrigens ein bisschen üben in Handschriftenlesen, weil da liest man ja mehr als im Druck.
Scholl: Wissen Sie, als Altphilologe hätte ich nix getaugt. Das war schon im Studium ganz schlecht, wenn ich Goethe-Briefe in Handschrift las. So, jetzt aber, Michael Krüger.
(Lesung Gedicht)

"Der Titel ist ja zweischneidig mit Absicht"

Scholl: Danke schön für diese Verse, Michael Krüger. Nachher hören wir noch mehr. Steht dieses Gedicht, habe ich mich gefragt, schon im Zusammenhang mit dem Titel "Einmal einfach", also die einfachen, die schlichten Dinge, das einfache Leben, die Natur, mit der man auch die Dämonen bannt?
Krüger: Ja, der Titel ist ja zweischneidig mit Absicht. "Einmal einfach", sagt man im Bus oder bei der S-Bahn, wenn man keine Rückfahrkarte haben will. Jedenfalls habe ich das so in Berlin in meiner Kindheit gelernt: "Einmal einfach, bitte."
"Einmal einfach" ist aber eben auch wörtlich genommen: der Versuch, etwas Kompliziertes noch mal einmal einfach zu sagen. Das heißt, früher sagte man: der langen Rede kurzer Sinn.
Das kann man aber bei Gedichten nicht sagen. Deshalb sagt man, ich habe sozusagen die ganze Geschichte der Poesie mit allen ihren Regeln und Vorschriften und so weiter hinter mir gelassen, und jetzt möchte ich das alles noch mal einmal einfach sagen.
Scholl: Aber das Einfache, das ist auch das Schwere, hat der große Goethe gesagt. Ich verwette mein schickstes Hemd, Herr Krüger, dass Sie alter Fuchs dieses Zitat kennen.
Krüger: Das kenne ich natürlich. Das Einfache ist auch schwer zu machen, aber man kann es eben sowieso nicht machen.
Scholl: Apropos Goethe: Vom Olympier haben Sie ein Motto entlehnt für Ihren Gedichtband aus den Gesprächen mit seinem Adlatus Eckermann, da heißt es: "Alle meine Gedichte sind Gelegenheitsgedichte. Sie sind durch die Wirklichkeit angeregt und haben darin Grund und Boden".
Und damit hat Goethe eine nicht nur für ihn aufschlussreiche Poetik angestoßen, eine Lyrik nämlich, die ganz auf die Anschauung setzt, die immer einen Gegenstand, eine Gelegenheit, einen Impuls braucht und aufnimmt. Sind Sie in diesem Sinne, Michael Krüger, auch ein solcher Gelegenheitsdichter?

Goethes große, simple Wahrheit

Krüger: Ja. Ich habe dieses Zitat von Goethe schon vor Jahren mal bei Eckermann gefunden und dachte, mein Gott, auch er hat es so einfach gesagt, so simpel, eine große Wahrheit, denn auf der einen Seite war das Gedicht immer umstellt von bestimmten Formen, von bestimmten metrischen Problemen. Einen ganzen Rucksack voll haben die Dichter mit sich rumgeschleppt, vor allen Dingen im 19. Jahrhundert dann.
Und plötzlich kommt Goethe und sagt, ich weiß gar nicht, was ihr habt, es ist doch ein Gelegenheitsgedicht, man reagiert auf eine Anschauung, man reagiert auf ein Erlebnis.
Also wie er das mit seinem "Über allen Wipfeln ist Ruh" getan hat, da kann man es am besten demonstrieren. Das heißt, 90 Prozent aller Gedichte sind Gelegenheitsgedichte, vor allen Dingen die Liebesgedichte, denn wir können natürlich unterscheiden zwischen einem Gedicht, was man sozusagen auf die Liebe als eine abstrakte Sache schreibt oder ob es sich um ein Liebesgedicht handelt, das unmittelbar von einem Betroffenen geschrieben wurde.
Scholl: Sie sagen, 90 Prozent dieser Gedichte seien praktisch auf dieser Anschauung gegründet und gemeinden sich da mit ein. Ich würde sagen, im Gegensatz dazu steht ja auch eine Lyrik, die man vielleicht so eher als eine Art Innerlichkeitspoesie bezeichnen könnte, so etwa bei Rilke, der in seinem Turm von Muzot so wenig Anschauung gebraucht hat, um die "Duineser Elegien" zu schreiben, oder umgekehrt, wenn es strikt intellektuell zugeht, wie vielleicht –
Krüger: Aber Entschuldigung …
Scholl: – beim Briten T.S. Eliot. Ich hätte gedacht, dass man das schön zweiteilen kann, die Anschauungsdichter und so ein bisschen die Innerlichkeits- oder die Intellektuellendichter. Da widersprechen Sie gleich.
Krüger: Ja, ich muss widersprechen, vor allen Dingen bei Rilke. Wissen Sie, die hochkomplexen "Sonette an Orpheus" sind nach einer langen Pause, nach einer Dürreperiode, wo Rilke schon dachte, er würde nie in seinem Leben mehr irgendetwas schreiben können, plötzlich überfällt es ihn, und er schreibt in zehn Tagen diese Weltpoesie – bei Gelegenheit.
Das gilt auch für viele Gedichte von Eliot. Nicht für alle, da haben Sie vollkommen recht. Also es gibt selbstverständlich auch heute viele Kollegen, die sozusagen konstruierte große Gedichte schreiben, aber wie gesagt, das sind doch die wenigeren.
Scholl: Her Krüger, mit Ihnen verliert man sich immer gleich sofort in der Lyrik der Weltliteratur und ihren Problemen, ich möchte aber doch auf Ihre noch mal zu sprechen kommen, auch im Sinne von, ich habe auch so grundsätzlich gefragt, weil der Auftakt Ihres Bandes nämlich ein gar nicht so einfacher Nachtrag zur Poetik ist, wie Sie selbst betiteln das Gedicht, in acht Abschnitte unterteilen, einige davon umkreisen, konkrete poetische Probleme. Ist das auch so eine Art Selbstvergewisserung des Lyrikers Michael Krüger hier?

Poetische Bilanz

Krüger: "Einmal einfach" ist ja der fünfte Band in einer Serie von fünf Bänden, die Suhrkamp freundlicherweise gedruckt hat und herausgegeben hat, und ich bin ja ein alter Mann, und deshalb, glaube ich, ist es wahrscheinlich der letzte Band.
Also dachte ich, man stellt an den Anfang ein paar poetologische Überlegungen in Gedichtform oder in dieser Form, die wie ein Gedicht aussieht – das macht ja nicht die Definition –, um sozusagen so eine kleine Summa zu ziehen aus diesen fünf Bänden, die sich mit bestimmten Themen – mit der Natur, mit der Stellung des Menschen in der Natur, mit den Fragen nach der Aufklärung und nach der Aufklärung der Aufklärung, darauf spielt ja das kleine Gedicht "Auf dem Land" an, das wir am Anfang gelesen haben.
Was bleibt also von all den Konzeptionen, die wir seit der Goethezeit, seit der Aufklärung, seit 1750 mit uns herumgetragen haben in politischer, ideologischer, philosophischer, psychologischer Hinsicht, ökologischer Hinsicht, was bleibt davon in einer Welt, die eben jedes Jahr um 500 Millionen wächst und sich keinen Deut schert um die Grundlagen, die sie dabei ist zu vernichten.
Scholl: "Wenn ich morgens die Zeitung hole, kommt mir das eigene Leben vor wie die flüchtige Skizze eines anderen, das im vermischten Haus." Diesen Vers habe ich mir aufgeschrieben, und am Ende dieses Gedichts heißt es:
"Wenn der Apfelbaum nicht wäre in meinem Garten, ich gäbe auf."
Jetzt haben Sie schon gesagt, Sie sehen sich selbst als alter Mann, Herr Krüger, wir sehen Sie irgendwie fidel und munter und wohlaufgelegt, immer wenn wir uns miteinander unterhalten. Die Melancholie in diesem Band, die ist schon dominant, würde ich sagen, aber Sie brechen Sie zugleich auch immer so ironisch, so im Sinne von, na komm, Alter, mach dich locker.

Der flapsige Sprung aus der Melancholie heraus

Krüger: Ja, aber das gehört ja Gott sei Dank zum poetischen Programm. Die Leute, die am tiefsten Punkt angekommen waren – Heinrich Heine, Baudelaire –, haben dann immer aus der Melancholie diesen, sei es ironischen, sei es flapsigen Sprung gemacht, um sich überhaupt zu retten, denn das haben wir ja von den großen Skeptikern gelernt, es gibt nur ein Leben. Also entweder wir beenden das – das ist allerehrenwert – oder aber wir halten es aus, und wer es aushält, muss sich natürlich auch den Bedingungen dieses Lebens fügen.
Scholl: Aber in diesem Zusammenhang wollen wir nicht hören, dass Sie von Ihrem letzten Gedichtband reden. Wir werden einen sechsten und siebten sehen, Herr Krüger. Das glaube ich schon. Jetzt lesen Sie uns noch eins aus diesem Band.
(Lesung Gedicht)
Scholl: Aus "Einmal einfach". Neue Gedichte von Michael Krüger, im Suhrkamp-Verlag erscheint der Band, ab kommenden Montag ist er im Handel mit 136 Seiten zum Preis von 20 Euro. Vielen Dank, Michael Krüger, dass Sie bei uns waren!
Krüger: Danke schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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