Mia Couto: "Imani"

Vermittlung zwischen den Welten

Mia Couto: „Imani“
Buchcover "Imani" von Mia Couto © dpa / Unionsverlag
Von Maike Albath · 24.07.2017
Mia Couto geht in "Imani" den portugiesisch-afrikanischen Verflechtungen nach: In seinem Roman treffen Kolonialisten und Kolonialisierte aufeinander. So eröffnet der mosambikanische Schriftsteller uns einen Kontinent, den wir viel zu wenig kennen.
Das Leben ist wie ein Seil, sagt Imanis Mutter, man müsse es so lange flechten, bis sich Fäden und Finger nicht mehr voneinander unterscheiden. Die Mosambikanerin erklärt die Welt mit Bildern und versteht sich auf magische Praktiken. Aber den vielen Kriegen, die seit der Eroberung durch die Kolonialmacht Portugal andauern und in jeder Generation einen Blutzoll fordern, kann sie nichts entgegen setzen. Im Januar 1895, als ihre Tochter Imani langsam erwachsen wird, verlagern sich erneut die Konfliktlinien.
Der Offizier der portugiesischen Regierung Germano kommt ins Dorf. Germano soll gegen den mächtigen einheimischen Herrschers Ngungunyane Front machen, dessen Gebiet den gesamten Süden von Mosambik umfasst. Imani hat bei dem ortsansässigen Pater Portugiesisch gelernt und wird dem Offizier zur Seite gestellt. Sie soll ihm die Regeln und Rituale ihres Volkes erklären.

Historischer Stoff mit verblüffender Aktualität

Der mosambikanische Schriftsteller Mia Couto, 1955 in der Hafenstadt Beiro geboren, greift in seinem neuen Roman "Imani" einen historischen Stoff auf. Wie vielfältig seine Interessen sind, lässt sich an seiner Biografie ablesen: Als Medizinstudent engagierte er sich in der mosambikanischen Befreiungsbewegung, sattelte auf Journalismus um, leitete anschließend zehn Jahre lang die staatliche Nachrichtenagentur AIM und studierte dann noch Biologie. Im Hauptberuf ist er seit vielen Jahren Professor für Biologie.
In "Imani", benannt nach der jungen Mittlerin zwischen den Welten, geht er den komplexen portugiesisch-afrikanischen Verflechtungen nach und nimmt die blutige Kolonialgeschichte mit ihren innerafrikanischen Verwerfungen in den Blick, was dem Buch eine verblüffende Aktualität verleiht. Das sogenannte Gaza-Reich des Herrschers Ngungunyne war im 19. Jahrhundert der zweitgrößte Staat unter Führung eines Afrikaners. Der gefürchtete Regent wurde 1895 von den Portugiesen endgültig besiegt.
Die gegensätzliche Beschaffenheit der Kulturen vermittelt sich durch die Struktur des Romans: Couto lässt abwechselnd Imani und den Offizier erzählen. Daraus entsteht ein reizvoller Doppelgesang, denn zwischen den beiden Stimmen herrscht eine starke Spannung. Imani ist einerseits in der magischen Lebenswelt ihrer Familie verhaftet und bedient sich der mündlichen Tradition. Dass sie die Eigenarten ihres Stammes beschreiben kann, zeugt andererseits von Distanz.

Gegenseitiger Ansteckungsprozess

Der Offizier, der in Briefen an seinen Vorgesetzten zu Wort kommt, vertritt die koloniale Wahrnehmung. So herablassend er anfangs über die "Kaffern" urteilt – er ist bereit, das Fremde als etwas Anderes anzuerkennen. Nach und nach kommt es zu einer Art Ansteckungsprozess zwischen beiden Stimmen: Imani fühlt sich von der europäischen Denkweise affiziert, während der Vertreter der Macht zu ahnen beginnt, welche Schuld Portugal auf sich lädt.

Mia Couto zählt zu den aufregendsten afrikanischen Schriftstellern der Gegenwart, denn er ist auch formal innovativ. In seinem Werk verschmelzen portugiesische und afrikanische Einflüsse, was sich auf seine Erzählweisen und die Sprache niederschlägt und für die afrikanische Narrativik stilbildend wirkt. "Imani" eröffnet uns einen Kontinent, den wir viel zu wenig kennen.

Mia Couto: "Imani"
Aus dem Portugiesischen von Karin Schweder-Schreiner
Unionsverlag Zürich 2017
287 Seiten, 22 Euro

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