Meyer: Christen sollen stärker für ihren Glauben eintreten

Moderation: Jürgen König |
Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Hans-Joachim Meyer, hat die Christen aufgefordert, für ihren Glauben entschiedener einzutreten. Wenn Christen die Verhöhnung ihres Glaubens - wie zum Beispiel in der MTV-Serie "Popetown" geschehen - einfach so hinnähmen, seien sie nicht mehr in der Gesellschaft präsent, sagte er im Deutschlandradio Kultur.
Jürgen König: "Gerechtigkeit vor Gottes Angesicht", unter diesem Motto beginnt heute in Saarbrücken der 96. deutsche Katholikentag. Wir haben in Saarbrücken ein kleines Studio aufgebaut und werden in den nächsten Tagen immer wieder den Katholikentag zum Thema machen.

Ich begrüße heute Morgen in Saarbrücken den Professor Hans-Joachim Meyer, den Präsidenten des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, ZdK, das steht für all die katholischen Frauen und Männer, die sich in den Laienräten, in Verbänden, Bewegungen, Initiativen, Organisationen, aktiv an der Gestaltung der Gesellschaft und der Kirche in Deutschland beteiligen. Herr Professor Meyer, guten Morgen!

Hans-Joachim Meyer: Schönen guten Morgen!

König: "Gerechtigkeit vor Gottes Angesicht", ein Bibelzitat, ich vermute, damit soll Gerechtigkeit als eines der zentralen Themen unserer Zeit benannt werden auf diesem Katholikentag. Nun 5 Millionen Arbeitslose in Deutschland, Millionen Asylsuchende weltweit, Diskriminierte in aller Welt, Afrika zum Beispiel, ohne Zugang zu den Weltmärkten, das sind himmelschreiende Ungerechtigkeiten. Was ist gerecht?

Meyer: Sie sagen es, die Sehnsucht nach Gerechtigkeit ist etwas, was viele Menschen wirklich umtreibt, denn in der Welt geht es nicht gerecht zu. Worum es uns geht, das ist, dass wir der Vorstellung entgegentreten, man müsse halt die Dinge so laufen lassen, wie sie sind. Gerechtigkeit wäre etwas, was allenfalls die Beziehung zwischen zwei Menschen angeht, aber nicht etwas, was die Gesellschaft angeht. Und das halten wir für einen großen Fehler.

Wir sind als Christen auch Realisten. Darum sagen wir, "Gerechtigkeit vor Gottes Angesicht". Wir wissen, dass menschliche Gerechtigkeit immer unvollkommen ist. Es ist ja eine Gerechtigkeit in einer sich geschichtlich wandelnden Wirklichkeit. Es stellt sich immer ein neues Bemühen.

Gerade in Deutschland und in Westeuropa waren wir ja erfolgreich. Die Bundesrepublik war erfolgreich mit ihrem Sozialstaat. Ich will nicht sagen, sie hat damit Gerechtigkeit verwirklichen können, aber sie ist doch den Idealen von Solidarität und sozialer Gerechtigkeit sehr nahe gekommen. Nun stehen wir unter völlig anderen Bedingungen. Zunächst einmal innerhalb der Gesellschaft selbst, nicht ohne Schuld der Gesellschaft, wenn ich das einmal hinzufügen darf, denn die demografische Herausforderung ist ja etwas, was aus menschlichem Handeln oder Herausforderungen folgt. Aber wir stehen auch unter der globalen Herausforderung...

König: Die Herausforderung, eine Weltgerechtigkeit herstellen zu müssen.

Meyer: Das ist der Punkt, wobei ja die Globalisierung von uns verständlicherweise in den vergangenen Jahren häufig eher als Bedrohung gesehen wird. Sie ist auch weltweit, nicht nur in Deutschland, nicht nur in Westeuropa, eine Bedrohung für viele Menschen, aber sie ist auch eine Chance. So kommen Menschen, wir sehen das ja in Südostasien, aber auch woanders, in die Nähe einer Chance zu einem Leben in Würde und Wohlstand, also es ist eine Welt im Wandel.

Und nun ist die Frage: Ist Gerechtigkeit noch ein gesellschaftliches Anliegen oder nicht? Wir treten mit Entschiedenheit dafür ein. Es geht uns um eine solche Bewusstseinsschärfung, um eine Sensibilisierung dafür, dass die Gesellschaft die Dinge nicht treiben lassen darf, dass sie nicht einfach sagt, das folgt nun aus Entscheidungen von Unternehmern, oder es folgt aus den Tarifkämpfen, sondern Gerechtigkeit muss das Klima sein, das die Gesellschaft zusammenhält.

Gerade in einer freiheitlichen Gesellschaft, die ja ganz naturgemäß, darin liegt ja auch ihre Stärke, zur Individualisierung neigt, die die Möglichkeiten des Einzelnen freisetzt und da sticht ja die Stärke der freiheitlichen Gesellschaft, gerade in einer solchen freiheitlichen Gesellschaft brauchen wir gleichsam als einen anderen Pol der Spannung, in der jede Gesellschaft leben muss, damit sie sich auch bewegt und wandelt, brauchen wir Gerechtigkeit, also Freiheit und Gerechtigkeit, das gehört zusammen und das wollen wir durch diesen Katholikentag stärker wieder den Menschen ins Bewusstsein bringen.

Aber wir wollen, darum sagen wir "Gerechtigkeit vor Gottes Angesicht", sagen: Gottes Gerechtigkeit, Gottes Barmherzigkeit ist immer größer. Wir werden immer in diesem, unserem Streben unvollkommen sein, aber das ist kein Grund, kein Argument auf dieses Streben zu verzichten und zu sagen, wir erreichen ohnehin nichts, sondern die Zusage Gottes, dass er die Gerechtigkeit vollenden wird, das menschliche Streben nach Gerechtigkeit vollenden wird, das soll eine Ermutigung, eine Stärkung sein.

König: Lassen Sie uns doch mal über eine der Fragen sprechen, die in den letzten Monaten die katholische Kirche bewegte. Eines der Hauptthemen bei der Frühjahrskonferenz der katholischen Bischöfe war die Jugendarbeit. Man gab sich voller Elan, um die Begeisterung der Jugendlichen, wie sie sich etwa beim Papstbesuch in Köln gezeigt hatte, um daraus nun, sagen wir, einen anhaltenden Zuspruch für die katholische Kirche sich zugewinnen. Hat das aus Ihrer Sicht zu nennenswerten Ergebnissen, zu wirklichen Veränderungen geführt?

Meyer: Also dass vom Weltjugendtag Impulse in die katholische Jugendarbeit ausgegangen sind, das ist festzustellen. Das sieht man in den Gemeinden, das sieht man in den Verbänden. Natürlich wissen wir, dass so eine geistige Bewegung, so eine neue Hinwendung zur Religion oder auch zumindest eine neue Erkenntnis der Bedeutung von Religion. Das ist ein langsamer Prozess.

Jahrzehntelang hat man ja in Westeuropa, viele jedenfalls, gemeint, zu einer modernen Gesellschaft gehört Religion nicht, da hat Glauben nichts zu tun, da ist Glauben etwas, was sicherlich in der freiheitlichen Gesellschaft seinen Platz hat, aber doch nicht das Gesicht der Gesellschaft bestimmt. Ich glaube, dass heute niemand, der ernsthaft nachdenkt, behaupten könnte, dass die Bedeutung von Religion in der Gesellschaft und in der Welt abnimmt. Es ist richtig, nach wie vor verlassen Menschen die Kirche und gehen dann zum Glauben auf Distanz. Andererseits kehren, kehrt eine wachsende Zahl zurück oder es finden Menschen ganz neu zu Glauben und Religion.

König: Sie haben sich sehr stark gemacht, gegen die Ausstrahlung der Comicreihe Popetown auf MTV. Sie haben gestern diese Proteste bekräftigt: Eine "dümmliche, widerwärtige Verhöhnung des Papstes und der katholischen Kirche" sei diese Serie, "eine gravierende Störung des öffentlichen Friedens". Nun wird diese Serie dennoch ausgestrahlt. Die meisten finden sie banal und selbst zum sich darüber Aufregen noch zu uninteressant. 150.000 Zuschauer sollen es zuletzt noch gewesen sein. Ist dieser Fall nicht ein Beispiel dafür, wie gerade heftige Proteste einer Sache eine Beachtung und eine vermeintliche Wichtigkeit geben, die sie ohne diese öffentliche Erregung nie bekommen hätte?

Meyer: Ja, das ist sicherlich eine bedenkenswerte Überlegung, das habe ich auch gestern in der Vollversammlung gesagt, nur der Ausgangspunkt unserer Proteste war ja die skandalöse Werbung für diese Serie, in der Christus und das Kreuz in einer skandalösen Weise verhöhnt wurden und zum Gegenstand des Lächerlichen gemacht wurden. Und da muss ich wirklich mal sagen, wenn Christen das einfach hinnehmen, dann sind sie eben nicht mehr in der Gesellschaft präsent. Ich gehe davon aus, dass zum Wertehaushalt, zur Lebendigkeit von Werten in einer Gesellschaft gehört Streit und zwar ein Streit, der um der Sache willen betrieben wird, der, wo man sagt, das verletzt mich so und das verletzt andere Menschen so, so kann es nicht sein…

König: Ist dieser Kampf gegen "Popetown" auch ein Anzeichen für so eine neue Wehrhaftigkeit der Katholiken. Vielleicht sogar nach dem Vorbild mancher Muslime, die ihre Religion in Schutz genommen wissen wollen, vor zu großen Angriffen von außen?

Meyer: Das mag bei dem einen oder anderen so sein. Bei mir ist das eigentlich eine andere Erfahrung. Da ich ja aus der DDR komme und die Christen in der DDR eine Minderheit waren, katholische und evangelische Christen insgesamt, komme ich sozusagen aus der Minderheitensituation und sage, eine Minderheit muss Profil zeigen. Mein Eindruck ist, dass Christen in der alten Bundesrepublik dazu neigten, in dieser Gesellschaft nicht mehr erkennbar zu sein, die Sorge zu haben, dass wenn sie ihre christlichen Wurzeln, ihr christliches Bekenntnis betonen, dass sie dann Unterschiede und Gegensätze zu ihren Mitmenschen aufbauen. Ich kann zwar solche Überlegungen verstehen, aber ich halte sie im Wesentlichen für irreführend.

In dieser Gesellschaft brauchen wir ethische Haltungen und brauchen wir klare Überzeugungen, und wenn die nicht erkennbar sind und die Menschen keinen Wert auf ihre Überzeugung legen und wenn man Toleranz missversteht als Verzicht auf Überzeugung statt als Respekt vor anderen Überzeugungen - was natürlich auch heißt, ich muss meine eigene Überzeugung ernst nehmen und muss die wertschätzen- da sehe ich eine wirkliche Bedrohung für die freiheitliche Gesellschaft.

König: Papst Benedikt XVI. steht vor einer Reise nach Polen. Wird dieser Katholikentag, was die öffentliche Aufmerksamkeit angeht, nicht vollends im Schatten dieser Papstreise stehen?

Meyer: Also ich setze hier auf wechselseitige Ergänzung. Einerseits ist es Ausdruck des weltweiten Charakters der Kirche, dass diese beiden Ereignisse auch unterschiedliche Aspekte der Kirche beleuchten. Die Reise von Papst Benedikt XVI. nach Polen ist ja ein Akt des Bekenntnisses zu dem Vermächtnis seines Vorgängers. Es ist zugleich, ich sage das in aller Behutsamkeit, eine Reise in ein Land, wo die katholische Kirche in einer ernsthaften, inneren Auseinandersetzung steht, wie sie mit der freiheitlichen Gesellschaft umgehen muss und umgehen will. Ein notwendiger Prozess, ein Prozess, wo wir großen Respekt haben vor vielen katholischen Christen in Polen, die sich sehr ernsthaft und sehr überzeugend auf diesen Weg gemacht haben.

Und Sie wissen ja, dass Papst Johannes Paul II. gerade diesen Weg unterstützt hat, dazu ermutigt hat in Polen. Das ist ein Prozess der weitergeht, den sicherlich dieser Papst in einer ganz anderen Weise unterstützen wird. Anders, weil es eine andere Persönlichkeit ist, aber eben auch, weil er nicht Pole ist, sondern Deutscher. Also das ist eine große Herausforderung, eine ganz wichtige Mission, der sich Benedikt XVI. da stellt, dem wir mit großer Sympathie, mit großem Respekt …

Wir beschäftigen uns mit dem Gerechtigkeitsthema. Es ist ein Thema der deutschen Gesellschaft, es ist ein Thema der europäischen Gesellschaft, - denken Sie an die wachsende EU-Skepsis in Polen - gerade ein Thema der Beziehungen zwischen dem östlichen und dem westlichen Teil der Europäischen Union, zwischen den alten Mitgliedsländern und den neuen. Ich sehe dort wechselseitige Ergänzung, wechselseitige Bestärkung. Ob man nun dabei rechnet, wenn da ja sozusagen, ich sag mal für Katholisches, gehen wir mal davon aus, es gäbe da so einen begrenzten Raum, wie man überhaupt über Katholisch meldet und berichtet, dass man da sagt, dann hätte man vielleicht mehr über den Katholikentag geschrieben oder nicht. Ich glaube, das ist nicht unsere wirkliche Sorge.

Unsere Sorge ist, dass die beiden Anliegen, die ich Ihnen versucht habe zu beschreiben, die dem Papstbesuch zugrunde liegen, die dem Katholikentag zugrunde liegen, dass die ja doch in gleicher Weise, wenn auch aus unterschiedlichen Motiven heraus und zu unterschiedlichen Themen, etwas zu den Wertegrundlagen der entstehenden Europäischen Gesellschaft beitragen.
Mehr zum Thema