Bischof Marx: Wir müssen uns neu aufstellen

Moderation: Birgit Kolkmann |
Der Bischof von Trier und Gastgeber des Katholikentages, Reinhard Marx, hat die katholische Kirche zu mehr sozialpolitischem Engagement aufgerufen. Er wünsche sich, dass der Katholikentag der sozialen Bewegung innerhalb der Kirche einen neuen Impuls gebe, sagte Marx. Themen wie die Menschenwürde und die Überwindung von Armut und Ungerechtigkeit gehörten in die Mitte des Glaubens, betonte der Bischof.
Birgit Kolkmann: Reinhard Marx, der Bischof von Trier ist der Gastgeber des Kirchentages und jetzt am Telefon von Deutschlandradio Kultur. Schönen Guten Morgen!

Reinhard Marx: Guten Morgen.

Kolkmann: Bischof Marx, haben wir uns in der Ellbogengesellschaft längst von der Gerechtigkeit verabschiedet?

Marx: Von der Thematik jedenfalls nicht. Ich habe eher den Eindruck, dass in den letzten Jahren die Diskussion darüber, was eigentlich unsere Gesellschaft zusammenhält, was die Leitideen sind, dass das wieder zunimmt, weil wir eben manche Probleme nicht lösen. Insofern passt der Katholikentag mit seinem Thema sehr gut in die aktuellen Debatten. Es ist ja nicht zufällig, dass auch die beiden großen Parteien im Augenblick ihre Grundsatzprogramme erneuern wollen und da spielt das Wort Gerechtigkeit eine große Rolle. Das ist ein Zeichen dafür, dass es offensichtlich notwendig ist, darüber zu sprechen.

Kolkmann: Soziale Gerechtigkeit und Solidarität propagiert ja auf jeden Fall die SPD. Auf welche der politischen Parteien setzten Sie denn mehr? Die mit dem C im Namen oder die mit dem S?

Marx: Na, die Kirche ist nicht festgelegt in diesem Sinne, sondern sie hat eine eigene Soziallehre und die Parteien müssen dann selbst mit ihrem Programm zeigen, ob sie in bestimmten Punkten diese Soziallehre der Kirche aufnehmen und da ist das Leitmotiv oder die Leitidee Gerechtigkeit für uns als Kirche in unserer Tradition sehr wichtig, weil wir sagen, Gerechtigkeit bedeutet, alle Menschen haben eine gleiche Würde, also auch einen gleichen Anspruch auf Teilhabe und Mitwirken. Und ein wesentlicher Punkt, Sie haben es eben ja auch gesagt, ist die Arbeit. Und wo ganze Gruppen über viele, viele Jahre ausgegrenzt werden oder ihnen die Chance, überhaupt etwas beizutragen, überhaupt etwas für ihr Leben zu tun und durch Arbeit Teilhabe zu haben, wenn ihnen das verwehrt wird, das ist eine strukturelle Ungerechtigkeit, da müssen wir etwas tun. Und das müssen wir versuchen zu überwinden. Besonders im Blick auf die nächste Generation.

Kolkmann: Sie haben die katholische Soziallehre, die profilierte so eben herausgestrichen. Ist die ein bisschen ins Hintertreffen geraten in der Kirche? Hat sich die Kirche, die katholische, zu wenig engagiert in dieser Frage? Ging es da zu viel um Zölibat, Laienrechte, Abtreibung und Verhütung? Das sind ja Themen, die nicht gerade die Zentralen für die Menschen im Lande sind.

Marx: Ja ich glaube schon, dass wir uns wieder neu aufstellen müssen in Blick auf unsere Sendung und da können wir dankbar sein für die Soziallehre der Kirche, besonders auch die Päpste - Johannes Paul II ganz besonders - haben die großen Enzykliken vorgelegt. Wir hatten in Deutschland eine große soziale Tradition im Katholizismus, im 19. Jahrhundert, auch im 20. Jahrhundert noch und ich wünsche mir eigentlich, dass dieser Katholikentag ein Impuls ist, dass diese soziale Bewegung, die wir ja auch brauchen - wir brauchen nicht nur Texte, wir brauchen auch Menschen, die mit den Texten in die Politik, in die Gewerkschaften, in die Öffentlichkeit hineingehen - dass diese Sozialbewegung wieder einen Impuls bekommt. Das war ein ganz, ganz wichtiger und ist ein wichtiger Bereich der Kirche. Und gerade die Laien- und die Katholikentage haben das gezeigt in den letzten Jahrzehnten, können da einen wichtigen Beitrag leisten. Also ich wünsche mir schon, dass da etwas mehr Schwung hineinkommt in diese Perspektive des kirchlichen Handelns.

Kolkmann: Fordern Sie da nichts mehr und nichts weniger, als politisches Engagement der Kirchenleute und der Gläubigen?

Marx: Auf jeden Fall, es kann ja keine Berufung auf Jesus von Nazareth geben, sagen wir mal, ohne dass wir versuchen - besonders natürlich hier jetzt die Laien, da sind die Bischöfe mit ihren Hirtenworten und mit dem, was sie tun natürlich auch gefordert, und die Priester, aber im Wesentlichen die Laien - in Politik und Gesellschaft, in Wirtschaft, bei Gewerkschaften und wo anders tätig sind, ohne dass wir da das Thema Gerechtigkeit, Menschenwürde, Beteiligung, wie geht es hier mit der Überwindung der Armut, das sind ja Themen, die können wir nicht ausklammern, die gehören in die Mitte des Glaubens hinein. Und wenn wir das vergessen, dann können wir noch so viel verkündigen, dann geht das auf eine schiefe Bahn.

Kolkmann: Wie politisch kann und will denn die katholische Kirche in Deutschland sein?

Marx: Nicht parteipolitisch! Also die Kirche ist natürlich jetzt nicht einfach ein politischer Akteur, indem sie sagt, wir machen jetzt eine neue Partei auf. Sie muss, wie es der Papst gesagt hat in seiner neuesten Enzyklika, in seiner ersten Enzyklika, sie muss versuchen, Orientierung zu geben, Gewissen zu schärfen, die Themen auf der Tagesordnung zu halten. Die Themen Gerechtigkeit, Überwindung der Armut, Teilhabe. Auch Globalisierung, globale Menschenrechte, globale Beteiligung. Das sind Themen, die wir auf der Tagesordnung halten müssen und wir müssen natürlich auch versuchen, konstruktive Beiträge da einzuspielen und nicht nur einfach Forderungen zu stellen, das ist auch immer natürlich einfach, Forderungen zu stellen, sondern an der Debatte sich zu beteiligen. Die Kirche, als Kirche jetzt der Bischof und der Pfarrer sind keine politischen Akteure, haben keine politischen Ämter. Aber viele Christen und viele Katholiken sind natürlich auch in politischen Aufgaben und da müssen sie ihren Beitrag leisten. Das ist auch Wirken der Kirche.

Kolkmann: Sie können natürlich den Finger in die Wunde legen. Sie haben die Gelegenheit dazu, die politischen Akteure direkt anzusprechen. Sie kommen ja zuhauf zum Katholikentag. Ganz offensichtlich ein sehr gutes Forum für Menschen in der Politik, weil die Wähler auch dort sind. Wie können Sie sich vorstellen den Finger in die Wunde zu legen?

Marx: Ja wir diskutieren darüber. Die Kirche hat's natürlich gesagt "die Macht des Wortes" und kann die Öffentlichkeit suchen. Deswegen bin ich ja auch ein Verfechter von Katholikentagen, bei all dem, was man immer wieder an Fragen hat, weil es ein buntes Programm ist und vielfältig. Wir brauchen das öffentliche Forum. Wir leben in einer offenen Gesellschaft. Was nicht öffentlich gesagt wird, ist eben nicht wirksam. Und deswegen brauchen wir diese Foren. Und ich freue mich, dass auch die Politiker, auch viele andere gesellschaftliche Akteure, sehen, das ist ein wichtiger Diskussionspartner die Kirche, die Foren, die Gläubigen, die da sind, das ist ein wichtiger Punkt für uns, auch in der Öffentlichkeit deutlich zu machen, was verstehen wir unter Gerechtigkeit. Wo sind die großen Gerechtigkeitslücken jetzt. Also insofern ist der Katholikentag auch ein Marktplatz in die Öffentlichkeit unserer Gesellschaft hinein und die Politiker nehmen das wahr und ich freue mich darüber.

Kolkmann: Wäre der Katholikentag auch ein Marktplatz für Kapitalismuskritik?

Marx: Ja die katholische Soziallehre ist im Grunde auch aus Kapitalismuskritik entstanden, natürlich ist sie auch kapitalismuskritisch, sie ist kommunistischkritisch, wenn man so will, sie hat also nie etwas am Hut gehabt mit dem Kommunismus und auch mit einem Sozialismus, der also im Grunde den Dirigismus und Kollektivismus propagiert, aber auch ein primitiver Kapitalismus, der nur noch die Kapitalrenditen im Blick hat, alles andere ausblendet, das ist inakzeptabel. Also kapitalismuskritisch in diesem Sinne war die katholische Soziallehre immer.

Kolkmann: Wenn es so weiter geht, wie im Augenblick in diesem Land - Sie prangern da ja Einiges an - was passiert da mit unserer Gesellschaft?

Marx: Ja wenn eine einseitige Orientierung an einer Kapitalrendite - habe ich einmal gesagt - das Einzige ist, dann kann das keine Zukunft haben. Wir sind ja ein Gebilde, ein Gemeinwesen, das also vielfältige Interessen zu verfolgen hat. Und auch die Wirtschaft besteht nicht nur aus Kapital, sie besteht aus Arbeitnehmern, sie besteht aus der sie umgebenden Gesellschaft, etwa an einem Ort, wo ein Unternehmen wirkt. Das alles sind ganz wichtige Perspektiven, die müssen hinein. Ich habe manchmal den Eindruck, das was wir früher Nationalökonomie oder Volkswirtschaft genannt haben, wo wirklich das gesamte Feld der Wirtschaft, mit seinen Auswirkungen betrachtet wurde, das geht immer weiter zurück und wir sehen nur noch betriebswirtschaftliche Ergebnisse, alles andere wird ausgeblendet. Und da ist die Aufgabe der Politik durch Rahmenbedingung dafür zu sorgen, dass das nicht passiert. Sonst ist das glaube ich eine sehr, sehr enge Perspektive, die nicht zukunftsfähig ist.

Kolkmann: Vielen Dank Reinhard Marx, der Bischof von Trier, Gastgeber des Katholikentages, der heute in Saarbrücken beginnt. Vielen Dank für dieses Interview.
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