#MeToo-Debatte – eine erste Bilanz

"Viele Männer wussten zuvor nicht, was Sexismus ist"

#MeToo-Demonstration gegen sexualisierte Gewalt und sexistische Übergriffe am 28.10.2017 in Berlin Neukölln
Was bringt die gesellschaftliche #MeToo-Debatte tatsächlich? © imago/Bildgehege
Moderation: Gesa Ufer · 20.12.2017
Seit den Enthüllungen der "New York Times" über Harvey Weinstein wird auch hierzulande unter dem Stichwort #MeToo über Sexismus und sexuelle Übergriffe debattiert. Wir ziehen eine erste Bilanz und fragen: Was haben die Diskussionen bisher gebracht?
Auslöser der #MeToo-Debatte waren Enthüllungen der "New York Times" Anfang Oktober: Der Filmproduzent Harvey Weinstein soll sich sexuell übergriffig verhalten haben, sogar von Vergewaltigungen war die Rede. Ermöglicht hatten diese Enthüllungen mutige Frauen, die ihr Schweigen gebrochen hatten – und die das "Time"-Magazin nun als "Silence Breaker" feiert. Doch ändert sich dadurch tatsächlich etwas? Was zeigen die Diskussionen und was haben sie bisher gebracht? Darüber diskutierten im Deutschlandfunk Kultur die Philosophin Catherine Newmark, die "Spiegel"-Kolumnistin Margarete Stokowski und der Medienwissenschaftler Matthias Dell.

Historischer Wandel

Wenn man es historisch betrachtet, habe sich einiges verändert, sagte Catherine Newmark im Hinblick auf die gesellschaftlichen Veränderungen seit den 70er-Jahren. Damals sei das Konsensmodell der Sexualität überhaupt erst aufgekommen.
"Ich glaube, das ist dieser historische Moment, dass wir jetzt wirklich noch mal drüber reden, wie wir eigentlich mit diesem Konsensmodell der Sexualität, was wir eigentlich dachten, wir hätten es durchgesetzt, und was bestimmt dem Selbstverständnis ganz vieler Leute entspricht, umgehen, wie wir das weiter in der Gesellschaft verankern können."
Matthias Dell, Gesa Ufer, Catherine Newmark und Margarethe Stokowski im Deutschlandradio-Funkhaus in Berlin (v.l.n.r)
Matthias Dell, Gesa Ufer, Catherine Newmark und Margarethe Stokowski im Deutschlandradio-Funkhaus in Berlin (v.l.n.r)© Deutschlandradio/Maurice Wojach
Es gehe darum, wie man dies breitenwirksam durchsetzen könne, "das ist die Frage, die MeToo aufwirft in einem ganz emphatischen Sinne – und in dem Sinne ist es doch eine sehr produktive Debatte".

Aggressive Reaktionen

Auch Margarete Stokowksi, Autorin des Buchs "Untenrum frei", sprach in Bezug auf die Diskussionen und die jüngsten Verschärfungen im Sexualstrafrecht in Schweden mit dem sogenannten Einverständnisgesetz, von Entwicklungen, die noch nötig seien.
"Ich glaube, dass die Tatsache, wie wahnsinnig aggressiv Leute auf so eine juristische Entscheidung reagieren, schon zeigt, dass in der Sexualkultur was nicht stimmt. Wenn Leute glauben, ihnen würde was weggenommen, wenn sie nur noch einvernehmlichen Sex haben dürfen."
Gleichzeitig distanzierte Stokowski sich von Stimmen in der Debatte, die kritisieren, es werde zu viel in einen Topf geworfen. Keine Frau setze Anfassen mit Vergewaltigung gleich. Das Gute und Produktive an dieser MeToo-Debatte sei, "dass eben gerade eine sehr sehr große Skala aufgezeigt, wird, was alles falsch laufen kann. Das können falsche Bemerkungen sein, falsche Berührungen sein, das kann unerwünschter Sex sein."
Margarete Stokowski sprach von unterschiedlichen Eskalationsstufen von Übergriffen, und forderte: "Wir müssen noch viel viel weiter rein in alltägliche Kleinigkeiten, um diese ganze falsch laufende Kultur aufzubrechen." Sorgen um das gute alte Kompliment machte sich Catherine Newmark dabei nicht. "Ich glaube schöne Komplimente, die waren immer schon schön", so die Philosophin, die sich irritiert zeigte in Bezug auf Verunsicherungen, was eine Zote, was ein Übergriff und was ein Kompliment sei.
"Ich frage mich manchmal schon, machen wir grundsätzlich etwas falsch bei der Sozialisierung unserer Jungs und Männer, das so viele Leute von sich behaupten können, ihnen sei dieser Unterschied nicht klar?"

"Machen wir grundsätzlich etwas falsch bei der Sozialisierung unserer Jungs und Männer?"

Matthias Dell wertete die Abwehrreaktionen in der Debatte wiederum explizit als Zeichen von Verunsicherungen. Das habe auch etwas damit zu tun, dass man sich nicht hinterfragen müsse.
"Ich würde zum Beispiel behaupten, dass bis vor Weinstein ganz viele Männer überhaupt nicht gewusst haben, was Sexismus eigentlich ist und vielleicht heute auch noch nicht wissen, was es ist. Also es hat nichts damit zu tun, dass in diesem Satz Sex vorkommen muss, sondern es geht um Macht, die auf so einer Ebene ausagiert wird."

Blick in die eigenen Reihen

Und so seien die Kräfte der Beharrung auch dementsprechend groß, so Dell, denn die Macht wollte keiner gern verlieren. Dennoch wundere er sich darüber, warum der Journalismus in Deutschland bislang nur nach Amerika und nicht in die eigenen Reihen schaue.
Auch wenn in Deutschland bisher keine Namen genannt worden seien, ist sich Margarete Stokowski sicher, das werde passieren. "Ich glaube, diese Diskussion steht uns noch bevor", sagte sie. "Und es stimmt, dass die Abwehrkräfte gegen dieses Sprechen groß sind, aber die Wut auf die Täter ist mindestens genauso groß." Deshalb sei diese Debatte noch längst nicht am Ende.
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