"In die Höhe zu bauen, ist nicht wirtschaftlich"
Heute wird in Frankfurt der Internationale Hochhauspreis vergeben. Büro- und Wohntürme haben in Deutschland einen schlechten Ruf. Der Stararchitekt Meinhard von Gerkan, der selbst ein distanziertes Verhältnis zu Hochhäusern hat, sagt: Sie seien nicht wirtschaftlich und schon gar nicht ökologisch vernünftig.
Hochhäuser - damit assoziieren viele Menschen in Deutschland anonyme Großsiedlungen, von denen viele inzwischen zu sozialen Brennpunkten geworden sind. Aber wenn man in den Urlaub fährt, ist plötzlich alles ganz anderes: Die historischen Hochhäuser in New York oder Chicago sind Touristenmagneten, ebenso die höchsten Häuser der Welt wie der Burj Khalifa Tower in Dubai oder die Petronas Towers in Malaysia. In Frankfurt am Main, wo sich mit dem Europaturm das höchste Gebäude Deutschlands befindet, wird nun zum sechsten Mal der Internationale Hochhauspreis vergeben.
Ausgezeichnet wird ein Bauwerk, das "exemplarische Nachhaltigkeit, äußere Form und innere Raumqualitäten wie auch soziale Aspekte zu einem vorbildlichen Entwurf verbindet".
"Man steht ständig im Zug"
Der international renommierte Architekt Meinhard von Gerkan sagte aus diesem Anlass: Er selbst habe ein eher distanziertes Verhältnis zu Hochhäusern und auch selbst nie in einem Hochhaus gewohnt. Wann immer er beispielsweise in Städten wie Shanghai durch die Hochhausschluchten laufe, fühle er sich "beengt und bedrängt. Und man steht ständig im Zug". Doch seine Distanz zu dem Drang, in immer größere Höhen zu bauen, habe auch rein rationale Gründe:
"Weil ich weiß, dass in die Höhe zu bauen nicht wirtschaftlich ist, dass es nicht ökologisch ist." Die Vermutung, dass man mit Hochhäusern Bauland sparen könne, treffe nicht zu. "Man kann mit nur sechs- bis achtgeschossigen Häusern genauso viel Raum für Menschen schaffen." Dafür würden jedoch wesentlich wenige Ressourcen verbraucht.
Sehr skeptisch beurteilt von Gerkan, dessen Büro unter anderem den Entwurf für den Großflughafen Berlin-Brandenburg vorgelegt hat, deshalb die immer höheren Wolkenkratzer vor allem in Südostasien und in arabischen Staaten. Wenn man ein Gebäude von 1000 Metern baue, sei nur etwa die Hälfte tatsächlich als Nutzfläche verwendbar, der Rest sei Versorgungsfläche für das Gebäude. Aber einer bestimmten Höhe sei es also "irgendwann nur noch eine Frage des Prestige".
Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Hochhäuser haben in Deutschland einen schlechten Ruf. Man denkt sofort an Großsiedlungen, von denen viele inzwischen zu sozialen Brennpunkten geworden sind. Aber wenn man in den Urlaub fährt, dann ist das plötzlich alles ganz anders. Die eher historischen Hochhäuser von zum Beispiel New York oder Chicago sind Touristenmagnete. Die neuen höchsten Häuser der Welt, wie der Burj Khalifa-Tower in Dubai oder die Petronas-Towers in Malaysia sind es inzwischen auch. Passenderweise in Frankfurt am Main, wo sich mit dem Europaturm das höchste Gebäude Deutschlands befindet, da wird heute der internationale Hochhauspreis vergeben. Der Preisträger wird zwar erst in einigen Stunden verkündet, aber die Shortlist ist bekannt, und auf der befinden sich fünf Hochhausneubauten, von denen interessanterweise drei in Europa entstanden sind, eines in China und eins in Australien. Und diesen Preis wollen wir zum Anlass nehmen, um über Hochhäuser mit einem der berühmtesten und erfolgreichsten Architekten der Welt zu sprechen, mit Meinhard von Gerkan. Schönen guten Morgen, Herr von Gerkan!
Meinhard von Gerkan: Guten Morgen, Herr Kassel!
Kassel: Was für Assoziationen haben Sie denn bei dem Begriff Hochhaus – eher positive oder negative?
von Gerkan: Äußerst ambivalente. Also will sagen, mit einer großen Spannweite. Rein rational stehe ich den Hochhäusern mit einer gewissen Distanz gegenüber, weil ich weiß, dass in die Höhe zu bauen nicht wirtschaftlich ist, dass es nicht ökologisch ist und dass es auch entgegen der Vermutung, dass man damit Bauland sparen kann, überhaupt nicht zutrifft. Man kann mit sechs- oder achtgeschossigen Bauten gleichermaßen viel Raum für Menschen schaffen, ohne dass man Hochhäuser baut. Aber es gibt natürlich eine emotionale Komponente, und die emotionale Komponente ist genau die gleiche, die man erfährt, wenn man ins Gebirge geht. Da sucht man ja auch die Spitzen der Berge auf, um den Horizont zu weiten, um sich in der Umgebung umschauen zu können, und man verbleibt ungern im Tal, wo man sich beengt fühlt. Ich glaube, das kann man unmittelbar übertragen, diese Wahrnehmung, und die überträgt sich natürlich auch auf das Lebensgefühl, wenn man in einem Hochhaus ganz oben, möglichst ganz oben, untergebracht ist, sei es im Hotel oder in einer Wohnung, hat man das Gefühl, man hat eine weitere Sicht über die Umgebung, über das Leben, ja über das Dasein schlechthin.
Wenn man aber in einem Hochhaus im Erdgeschoss oder gar im Untergeschoss untergebracht ist, dann stellt sich das nicht mehr ein, aber das ist ja beides miteinander verbunden. Es gibt ja kein Hochhaus ohne untere Geschosse. Also insofern bietet jedes Hochhaus natürlich auch zwei Wahrnehmungen, und wir – und ich denke, Sie auch – gucken immer nur auf die Wahrnehmung derer, die in den obersten Geschossen sind.
Je höher desto teurer
Kassel: In der Tat. Wenn ich mal in einem Hotel bin, das halbwegs hoch ist, bin ich natürlich extrem beteiligt, wenn man mir ein Zimmer im zweiten Stock zuweisen will. Die meisten Hotels haben ja deshalb da eher, auf den Stockwerken, auch Konferenzräume, weil sie das Problem ja schon kennen. Aber was Sie beschrieben haben jetzt mit dieser Wahrnehmung, wenn man eben oben ist in diesem Hochhaus. Wenn wir uns Leute vorstellen, die da arbeiten, da jeden Tag sind – oft sind es ja Büro- und Gewerberäume – oder die gar wohnen im 30. Stock irgendwo, können die nicht auch die Bodenhaftung verlieren?
von Gerkan: Ich glaube, nicht. Also ich selbst habe noch nie auf Dauer in einem Hochhaus gewohnt, nur immer in Hotels, natürlich, in New York, in Schanghai, in Peking oder in anderen Metropolen, und habe es, muss ich sagen, natürlich begrüßt, wenn man mir im obersten Geschoss ein Zimmer gegeben hat, was sich im Übrigen natürlich auch im Preis niederschlägt, das ist ja auch schon ein Indiz: Je höher man wohnt, desto höher sind die Preise. Also, all das sind ja Gradmesser für die Wertschätzung gegenüber der Lage innerhalb einer menschlichen Ansiedlung.
Auf der anderen Seite ist mir durchaus bewusst, dass ein Hochhaus zu bauen sehr viel mehr Ressourcen verbraucht für die gleiche Schaffung von Lebensraum, die man auch auf einfachere Weise herstellen kann, dass aber selbst die Bewohner auch noch Nachteile in Kauf nehmen müssen, nämlich die Beförderung, über Fahrstühle, über Wartezeiten und über Orientierung und dergleichen. Ich habe aber ein konkretes Beispiel, das ist meine Tochter, die in New York im 14. Stock, also im Dachgeschoss, in einem ehemaligen Lagerhaus das gesamt oberste Geschoss bewohnt mit 36 Fenstern, die alle gleich sind, und ein Rundblick auf ganz New York und Brooklyn und den Hudson-River genießt. Und wenn ich bei ihr bin, kann ich mich nicht sattsehen. Und das, was ich von Ihnen vernommen habe, dass Leute, die im Hochhaus sind, zwar gerne im Hochhaus sind, aber die anderen Hochhäuser nicht mögen, stimmt gar nicht. Denn New York wäre niemals die Faszination, die urbane Faszination, wenn es die ferneren Hochhäuser nicht gäbe. Es ist ja gerade ein Gewinn, dass man die Struktur einer Stadt in dieser Konfiguration wahrnehmen kann.
Kassel: Aber wie geht es Ihnen, Herr von Gerkan, wenn Sie zum Beispiel in New York oder in Chicago oder auch in China, wo Sie sich ja in letzter Zeit sehr häufig aufgehalten haben – wenn Sie da am Boden sind und durch Straßen gehen, wo es viele Hochhäuser gibt, da haben wir ja wieder diese Gebirgsanalogie, man nennt das ja nicht umsonst auch Hochhausschluchten. Was empfinden sie denn dabei?
von Gerkan: Ich empfinde das, was die meisten Menschen empfinden, dass man sich beengt und bedrängt vorkommt, dass Hochhäuser zwangsläufig, wenn man nicht die letzte Erkenntnis von Luftströmungen studiert und die beachtet, es sich immer mit hohen Windgeschwindigkeiten verbindet, dass man also im Zug steht irgendwo. Ich selbst habe lange Zeit in Braunschweig in einem Hochhaus im 15. Stock residiert als Professor und war froh, wenn ich oben war, denn unten an der Tür flog einem der Hut und die Tasche aus der Hand. Also es hat seine Vor- und Nachteile. Das ist wie fast mit allem im Leben: Was irgendwelche Privilegien bietet, hat auch seinen Tribut.
Nur noch eine Frage des Prestiges
Kassel: Es hat ja in den letzten Jahren, vor allen Dingen in Asien, einen großen Wettlauf gegeben um die Frage, wer hat das Höchste. Das ist zurzeit der Burj Khalifa-Tower in Dubai mit 830 Metern. Das zweithöchste in Tokio ist schon wieder fast 200 Meter kleiner. Es ist trotzdem alles riesengroß. Dann Petronas-Towers in Malaysia, in Taipeh, in China – dieser Wettlauf, fasziniert er Sie? Denken Sie manchmal darüber nach, kann ich persönlich vielleicht irgendwann noch mehr als 830 Meter – oder finden Sie das albern?
von Gerkan: Also ich bin zumindest so weit mit der Materie vertraut, dass ich weiß, dass die Grenze der Rationalität mit zunehmenden Metern über 800 Meter radikal abnimmt und höchstwahrscheinlich bei 1.000 Metern alles sprengt. Denn Sie müssen eines nicht vergessen: Dass, wenn man ein Haus von einem Kilometer Höhe baut, das mehr als die Hälfte der gesamten Fläche des Hochhauses, und zwar für jedes Geschoss, nicht nutzbar ist, sondern nur Konstruktionsfläche und Versorgungsfläche ist. Das heißt mit anderen Worten, der Anteil der Nutzfläche zur Gesamtfläche wird immer geringer. Gleichzeitig werden die Baukosten für jedes Geschoss mehr, umso höher. Es entflieht irgendwann jedweder rationaler Bewertung und ist nur noch eine Frage des Prestiges. Und dass das höchste Haus zurzeit in den Arabischen Emiraten steht, hat durchaus seine Parallelität zu dem Selbstwertgefühl in diesen Ländern.
Kassel: Ist ein Hochhaus ein Phallussymbol?
von Gerkan: Indirekt vielleicht – nie ausgesprochen, aber ich würde sagen, in der unterschwelligen Wahrnehmung vielleicht. Aber für mich nicht.
Kassel: Der Architekt Meinhard von Gerkan über das Phänomen Hochhäuser. Wir haben mit ihm gesprochen, weil heute in Frankfurt am Main der Internationale Hochhauspreis 2014 vergeben wird. Und wir werden Sie natürlich in unserem Programm darüber informieren, wer diesen Preis am Ende bekommt. Herr von Gerkan, vielen Dank für das Gespräch, und ich wünsche Ihnen immer das richtige Gefühl auf jeder Höhe!
von Gerkan: Ja, das wäre schön, wenn man das immer treffen würde. Also, ich baue die Hochhäuser gerne, aber ich bin immer mit mir selbst im Zweifel, ob das was Richtiges ist, was wir da tun.
Kassel: Ich fürchte, das wird am Ende ohnehin für alle die Nachwelt eher entscheiden, wenn die Häuser 50 Jahre stehen. Ich danke Ihnen sehr und wünsche Ihnen einen schönen Tag!
von Gerkan: Gleichfalls, danke schön! War schön, Herr Kassel!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.