Mein Bericht an die Welt

13.06.2011
Als Geheimkurier der polnischen Exilregierung in London hatte Jan Karski, ein katholischer Pole aus Łódź, Zugang zum Warschauer Ghetto. Frühzeitig hat er den Westen über die Vernichtung der Juden informiert. Noch vor Kriegsende schreibt Karski auf, was er erlebt hat.
Zur Lesart-Spezial mit Hörbüchern begrüßt Sie Norbert Wassmund.

Jan Karski, ein katholischer Pole aus Lodsz, hat frühzeitig den Westen über die Vernichtung der Juden informiert. Als Geheimkurier der polnischen Exilregierung in London hatte er Zugang zum Warschauer Ghetto und in ein Vernichtungslager. Dort sieht er das Grauen und berichtet den Westmächten darüber. Doch vergebens: in London und Washington glaubt man Karski nicht – oder will ihm nicht glauben. Kann nicht sein, was man sich nicht vorstellen will? Wird die systematische Ausrottung der Juden hingenommen, um die Kriegsstrategie gegen Deutschland zu rechtfertigen?

Noch vor Kriegsende schreibt Karski auf, was er erlebt hat. Sein Zeugnis erscheint in den USA unter dem Titel "Story of a Secret State". "Mein Bericht an die Welt – Geschichte eines Staates im Untergrund" heißt das jüngst auf Deutsch veröffentlichte Buch. Nach Ende des Krieges meidet Jan Karski die Öffentlichkeit. Erst als Claude Lanzman ihn für seinen Film "Shoah" um ein Interview bittet, ist er bereit, sein jahrzehntelanges Schweigen zu brechen.

Eindringlich beschreibt der französische Autor Yannick Haenel, wie er Jan Karski vor der Kamera von Claude Lanzman wahrgenommen hat: es kostete Karski große Überwindung, sich den Erinnerungen zu öffnen. Über die Ereignisse und die Vergeblichkeit seines Handeln zu reden, war für ihn eine Qual. Haenel will wissen, warum Karski für mehr als 30 Jahre verstummte. In seinem Roman "Das Schweigen des Jan Karski" greifen Dokumentarisches und Fiktives ineinander. Und Christian Brückner liest das Buch nicht nur – er wird zur Stimme des Schreckens und der Verzweiflung des Protagonisten!

Heute weiß man, schreibt Yannick Haenel in Erinnerung an Jan Karski, daß es einen ausdrücklichen Willen gab, nicht zugunsten der europäischen Juden einzugreifen. US-Beamte hätten gar Druck auf jüdische Organisationen ausgeübt, sich "zu mäßigen". Wenn sich die Öffentlichkeit für eine Rettungsaktion engagierte, würde das die Kriegsanstrengungen beeinträchtigen…

Jan Karskis Bemühungen den Westen aufzurütteln, scheiterten. Und damit sein Versuch, den Todgeweihten eine Stimme zu geben. Der Autor Yannick Haenel gibt Karski nun eine Stimme - durch die Ich-Form im fiktionalen Teil des Romans:

Auch wenn die Konstruktion des Romans mit ihren erfundenen oder vielleicht interpretierten Gedanken des Jan Karski nicht unumstritten ist, so ist das dank des dokumentarischen Gewichts die beeindruckende Geschichte eines mutigen Mannes. Beklemmend die Beschreibung der unbegreiflichen Greueltaten der Nationalsozialisten und die Tatenlosigkeit des Westens.

Wir empfehlen das Hörbuch! Christian Brückner liest "Das Schweigen des Jan Karski" von Yannick Haenel, leicht gekürzt, etwa fünfeinhalb Stunden auf 4 CDs. Edition Parlando.

Gleich geht’s nach Algerien. Dort wütet die Pest - der berühmte Roman von Albert Camus als Hörspiel. Doch zunächst neue Hörbücher kompakt.


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Lesart vom 13.6.2011 - Von Pest und Alzheimer
Lesart-Spezial präsentiert fünf neue Hörbücher
Christine Brückner liest "Das Schweigen des Jan Karski"
Christian Brückner liest "Das Schweigen des Jan Karski"© Verlag Parlando