Kurz und kritisch

13.06.2011
Um sehr unterschiedliche Hörbücher und Audio-Dokumente geht es in der heutigen Ausgabe von Lesart-Spezial von Ernest Hemingway bis Albert Camus - und auch um das Schicksal eines jungen Mannes, der seinen Vater an die Alzheimer-Krankheit verliert.
Die Erinnerungen schwinden, die Orientierung in der Gegenwart löst sich auf: Der alte Vater hat Alzheimer. Als die Krankheit beginnt, fühlt sich der Sohn hilflos und schwach, er ist erfüllt von Trauer und Wut.

Wie umgehen mit der Situation und dem Menschen, der sich so verändert? Der Sohn ist Arno Geiger. Ende zwanzig, Anfang dreißig ist er, als die geistige Beziehung zum Vater sich radikal verändert. Später schreibt Geiger diese Geschichte auf – und wie eine neue Freundschaft mit dem Vater entsteht. Daraus wird "Der alte König in seinem Exil": "Dann sind wir alle hingefallen", sagt Arno Geiger, "und wir haben uns wieder aufgerappelt."


Hörbuch-Cover "Der alte König in seinem Exil"Jahrelang begleitet der Schriftsteller seinen Vater und versucht, ihn in dessen anderer Welt zu verstehen und neu zu entdecken. Charme, Vitalität und Klugheit des kranken Mannes verschwinden ja nicht, schon gar nicht sein gelebtes Leben und seine Würde:

"Der alte König in seinem Exil", großartig interpretiert von Matthias Brandt, vier CDs, "Hörbuch Hamburg".


Richtig geraten, Frederic Henry ist der Protagonist aus Hemingways ‚In einem anderen Land’, erstmals erschienen 1929 in New York unter dem Titel ‚A Farewell to Arms’. Der Erzähler verarbeitet hier die Erinnerungen an seine Zeit im amerikanischen Sanitätskorps in den Isonzo-Schlachten des Ersten Weltkriegs. Und an seine erste Liebe: Die Krankenschwester Agnes von Kurowsky, die erheblich zur Heilung seiner Kriegsverletzung beitrug, ihn aber nach kurzer Romanze verließ.

Hemingway pflegt bereits hier den knappen Stil, der ihn weltberühmt machen und ihm den Literatur-Nobelpreis einbringen sollte. Eine neue große Hörspieledition enthält neben diesem Schlüsselwerk der amerikanischen Expatriates - das hier mit hervorragenden Schauspielern inszeniert wurde - weitere sieben gelungene Hörfunkproduktionen aus den vergangenen Jahrzehnten. Einfach ein Muss: ‚Best of Hemingway’, 8 CDs, Der Audio Verlag.


Er war der Kopf der Berliner Secession, die sich der konservativen akademischen Kunst entgegen stellte: Max Liebermann. Um ihn und um Walter Leistikow versammelten sich gegen Ende des 19. bis hinein in die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts zahlreiche berühmte, vor allem expressionistische Künstler, etwa Lesser Ury oder Lovis Corinth. Max Liebermann war ein echter Berliner, das hört man:

Dieses aufschlussreiche Tondokument voller Kolorit entnehmen wir nicht einer Höredition, sondern einem liebevoll gemachten Bändchen über Max Liebermann, dessen Familie und Leben. Beigefügt ist eine CD mit raren Original-Aufnahmen. Liebermann sprach 1932 zu Kindern – und erinnert sich dabei an seine eigene Kindheit in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Das ist vor allem deshalb hörenswert, weil man in ein völlig anderes Berlin versetzt wird. Hier spricht jemand, dem diese alte Welt schon lange versunken war - so wie uns die Zeit vor und zwischen den Weltkriegen. Ein einzigartiges Dokument aus dem deutschen Rundfunkarchiv, dazu ein lesenswertes Buch:

‚Max Liebermann erzählt aus seinem Leben’ von Regina Scheer, mit Original-Tondokument, vbb - Verlag für Berlin-Brandenburg.

Die Stadt heißt Oran. Sie liegt an der algerischen Mittelmeerküste. Oran ist eine geschundene Stadt um 1940: eine Seuche breitet sich aus. Wie heißt sie und woher kommt sie? Wie können sich die Menschen schützen? Fragen, die den französischen Schriftsteller und Philosophen Albert Camus während des Zweiten Weltkrieges bewegen. Mehrere Jahre arbeitet Camus an dem Text "Die Pest", der schließlich 1947 veröffentlicht und sein größter Erfolg wird.

Angst und Wehrlosigkeit gegenüber dem drohenden Unheil in Oran nehmen zu. Der Arzt Rieux – in der vorliegenden Hörspielfassung gesprochen von Götz Schubert – steht im Mittelpunkt der sich dramatisch entwickelnden Ereignisse. Geradezu pflichtbewusst und eher lakonisch berichtet er über Krankheit und Tod. Und über die vergeblichen Versuche, der Epidemie zu entkommen.

Die Pest führt zur Katastrophe mit vielen tausend Toten. Detailversessen beschreibt Albert Camus das Sterben in Oran. Er philosophiert über den Sinn des Leidens und des menschlichen Handelns in einer ausweglosen Lage. Die Pest als Metapher - mit den Ratten als Vorboten - für heraufziehende Katastrophen und die Ohnmacht des Menschen, wie sie Camus durch Krieg und Besatzung erlebt hat. Gibt es eine Hoffnung aufs Überleben?

Der Pest-Erreger, läßt uns Albert Camus wissen, lebt weiter. Auch seine Hauptfigur Dr. Rieux. Doch dessen Leben wird ein anderes sein nach all dem Leid und der physischen und moralischen Zerstörung der Menschen von Oran.

Der Roman "Die Pest" in der Übersetzung von Uli Aumüller eignet sich sehr gut als Hörspiel. Regisseur Frank-Erich Hübner hat eines der wichtigsten Werke der Nachkriegsliteratur überzeugend umgesetzt. In der Dramatik des Geschehens ebenso wie auf der metaphorischen Ebene der Text-Vorlage. Herausragend die Auswahl der vielen Schauspieler, die das Hörspiel zu einem Hör-Ereignis werden lassen: so Götz Schubert als Erzähler Dr. Rieux.

"Die Pest" von Albert Camus auf 2-CDs, erschienen bei Der Audio Verlag.

Für die einen ist er der "Märchenkönig" und sie verehren ihn. Andere halten ihn für eher exzentrisch und ein bisschen gaga: König Ludwig II. von Bayern. 1845 geboren und auf den Tag genau heute vor 125 Jahren gestorben – unter mysteriösen Umständen. Offiziell hieß es: Tod durch Ertrinken. Aber hartnäckig hält sich die Version, Ludwig II sei ermordet worden. Das Haus Wittelsbach hat dieser Tage betont, es gebe nach Aktenlage keine Hinweise auf einen Mord. Wie auch immer - um Ludwig II. ranken sich viele Gerüchte und Geschichten, die schon immer einen guten Stoff für Autoren und Regisseure abgaben. Auch, weil der glücklos regierende König sich gerne in eine eigene Welt flüchtete, etwa in das teure Märchen-Projekt Schloß Neuschwanstein. Er war technik-begeistert und ein großer Bewunderer der Opern Richard Wagners.

Mit dem Leben des bayerischen Monarchen beschäftigt seit Langem Jean Louis Schlim. Der gebürtige Luxemburger lebt und arbeitet in München. Sein Hörbuch "König Ludwig II. – Ein königlicher Träumer" wird gelesen von Gerd Anthoff, der mit leicht ironischem Tonfall den königlichen Protagonisten auf Distanz hält:

Wenige Tage vor seinem Tod am 13. Juni 1886 wurde Ludwig II. auf Betreiben der Regierung entmündigt. Die Begründung: "unheilbare Paranoia und Geistesschwäche":

Eine Demütigung, die Ludwig II. kurz darauf in den Tod treibt. Mit großer Anteilnahme erweist die Bevölkerung in München "ihrem Kini" die letzte Ehre. Nach der Trauerfeier zieht ein Gewitter auf: "Das war das himmlische Finale zu dem irdischen Trauerakte", steht tags darauf in der Zeitung. Mit vielen Details, Anekdoten und Zitaten von Zeitzeugen beschreibt Jean Louis Schlim "König Ludwig II." Gelesen von Gerd Anthoff. Eine Hörbuch-CD von Langen-Müller.

Das war unsere Lesart-Spezial. Die nächste Ausgabe hören Sie am kommenden Sonntag. Die Redaktion dieser Sendung hatte Gabriele Kalmar. Am Mikrophon verabschiedet sich Norbert Wassmund. Ihnen noch einen schönen Feiertag!


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Lesart vom 13.6.2011 - Mein Bericht an die Welt
Wie sich ein polnischer Geheimkurier an den Schrecken des Warschauer Ghettos erinnert
Hörbuch-Cover "Der alte König in seinem Exil"
Hörbuch-Cover "Der alte König in seinem Exil"© Hörbuch Hamburg
Hörbuch-Cover "Best of Ernest Hemingway"
Hörbuch-Cover "Best of Ernest Hemingway"© Der Audio Verlag
Hörbuch-Cover "Max Liebermann erzählt aus seinem Leben"
Hörbuch-Cover "Max Liebermann erzählt aus seinem Leben"© vbb
Hörbuch-Cover "Die Pest"
Hörbuch-Cover "Die Pest"© Der Audio Verlag
Hörbuch-Cover "König Ludwig II."
Hörbuch-Cover "König Ludwig II."© Langen-Müller-Hörbuch