Mathias Jeschke: "Es traten Wälder aus mir heraus"

Kochmesser, Rhododendronhecke, Fahrradtour

06:12 Minuten
Mathias Jeschke: "Es traten Wälder aus mir heraus". Das Cover wird von einem schwarzen Pinselstrich dominiert.
© Limbus

Mathias Jeschke

Es traten Wälder aus mir herausLimbus, Innsbruck und Wien 2022

96 Seiten

15,00 Euro

Von Nico Bleutge · 05.10.2022
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Mal ironisch, mal euphorisch: Mathias Jeschke schreibt Gedichte, die erzählerisch daherkommen. Vom Alltag, von pandemischen Zeiten, aber auch vom Träumen. Dabei streift der Autor auch die eigene Kindheit und geht schließlich mit dem Papst auf Reisen.
Gedichte, heißt es einmal in diesem Band, können mit der flachen Hand auf die Wange klatschen. Oder sie drücken auf den Brustkorb, versuchen dem Dichter ihren Atem einzuhauchen. Dabei kann durchaus eine Rippe brechen. Und doch mag es so im besten Fall gelingen, “Musik und Möwen“ zu hören und in Gedanken hinaus aufs Meer zu schwimmen.

Der nüchterne Alltag

„Aufleben“ und „Lebendigwerden“ – das ist es, was für Mathias Jeschke beim Schreiben (und Lesen) eines guten Gedichts geschieht. Nicht von ungefähr sucht er diese Momente dort, wo sie am weitesten entfernt zu sein scheinen: in der Nüchternheit des Alltags.
Egal, ob es sich um den Besuch im Schwimmbad handelt, um ein frisch erworbenes Kochmesser oder einfach nur um die Rhododendronhecke vor dem Haus, die geschnitten werden muss – hier setzt Jeschke mit seiner Sprache an. Er überführt die Details in eine Melange aus Gedanken, Traumbildern und mal euphorischen, mal ironischen Wahrnehmungen. Auf seinen Wanderungen streift er die Paradoxien der Liebe genauso wie die Belastungen der pandemischen Zeit.

Freiheitserfahrungen aus der Kindheit

Einer Ohrfeige gleichen die Verse dabei nie. Auch geht Jeschke nicht so weit wie in seinen Gedichten für Kinder, wo er sich als veritabler „Wechstabenverbuchsler“ betätigt. Aber er spielt mit flapsigen Formulierungen wie „rumrödeln“, „werkeln“ oder „ankäsen“ und baut seine Sätze gern bewusst sperrig. So umschifft er, vor allem bei seinen Ausflügen in die Landschaft, die Gefahr der Idyllisierung, lässt seinen Sprecher zu jenem „Rädelsführer des Unruhrudels“ werden, von dem einmal die Rede ist.
Trotzdem gibt es hier immer wieder Reste einer Utopie zu entdecken, die das Titelgedicht formuliert. Eine Art Einheits- und Freiheitserfahrung, die an Eindrücke aus der Kindheit erinnert: „Meine Augen streuten Licht in das Dunkel, / ich fand einen Weg, lernte ihn zu gehen, / indem ich einen Fuß vor den anderen setzte. / Ich ging, hindurch, hinaus, ins Offene.“

Konzentrierte Tusche-Figuren

Allerdings vermisst man just diese Offenheit in einigen Gedichten. Jeschke hat einen ausgeprägten Hang zum Erzählerischen, wozu auch der Einsatz vieler Adjektive und Füllwörter gehört. So wirkt manches Gedicht eher wie eine Sammlung von auf Zeile gelegten Prosasätzen. Andere Verse neigen zu meinungsstarken Aussagen und Pointen oder stellen Befindlichkeiten aus, auch die eine oder andere Männerphantasie.
Der Maler und Dichterkollege Peter Schlack hat mit Tusche abstrakte Figuren zwischen die Gedichte gesetzt, die sehr konzentriert gehalten sind. Etwas von dieser Kunst der Verknappung hätte man sich auch für einen Teil der Gedichte gewünscht.

Sehnsucht nach einem anderen Leben

Unbedingt lesenswert hingegen sind jene Verse, in denen Mathias Jeschke seine ganz eigene Art von Komik ausspielt. Etwa wenn er in einem Traum mit dem Papst zu einer Fahrradtour aufbricht: „Ich hatte immer Bedenken, / dass ihm das Käppchen im Fahrtwind davonfliegt / oder die weiße Soutane womöglich in die / ölige Kette gerät.“
Auch dort, wo er mit der Form der Liste arbeitet und unterschiedliche Sprechhaltungen kollidieren lässt, ist Jeschke ganz bei sich. An solchen Stellen spürt man etwas von der Sehnsucht nach einem anderen Leben, einem „Leben, das nicht / linear, nicht logisch verläuft“, sondern einem Klang und Bildern folgt – und das vielleicht gerade vom Gedicht entfaltet werden kann.
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