Martin Mosebach: "Taube und Wildente"

Verkommene Gesellschaft

05:07 Minuten
Das Cover zeigt einen gemalten, orange leuchtenden Wolkenhimmel über einem Berg. Darauf Autorenname und Buchtitel.
© dtv

Martin Mosebach

Taube und Wildentedtv, München 2022

333 Seiten

24,00 Euro

Von Verena Auffermann · 20.10.2022
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Überall herrscht Misstrauen und das vollkommen zu recht. Martin Mosebach zeichnet in seinem neuen Roman das Bild einer kalten, sich fremd gewordenen Klasse. Kunst verliert hier an Bedeutung, Geld und Gier regieren.
 „Taube und Wildente“ setzt mit dem Wort „Grausamkeit“ ein und endet mit dem Wunsch nach Reichtum. Damit ist die Gier unserer heutigen Welt benannt. Martin Mosebachs 16. Roman ist das vernichtende Bild einer gewissenlosen bourgeoisen Gesellschaftsschicht,  ein sich von Szene zu Szene verdüsterndes Panorama.
Hauptfiguren sind die skrupelfreie Marjorie, in zweiter Ehe mit Ruprecht Dalandt verheiratet, einem schöngeistigen, eher zarten Essayisten und Kleinverleger. Man lebt nicht vom Verlag, sondern vom väterlichen Geld Marjories, erworben in Kolonialzeiten und pendelt zwischen der Provence und einem städtischen Leben.

Atmosphäre gegenseitigen Misstrauens

Während eines heißen Sommers ereignet sich äußerlich wenig. Paula, Marjories Tochter, reist mit neuem Freund und Kind Nike an. Ruprecht Dalandts Mitarbeiter kommen zur Lektoratsbesprechung. Das häusliche Personal, das schon Marjories Vater diente, verrichtet seine Arbeit notgedrungen.
Es herrscht eine Atmosphäre gegenseitigen Misstrauens, jeder belauert jeden und hat auch Grund dazu. Marjorie hat ein Verhältnis mit dem Verwalter, Dalandt eines mit Paula. Die beiden Verlagsmitarbeiter tun sich zusammen, um bei nächster Gelegenheit Dalandts Verlag zu übernehmen.

Tote Vögel als Menetekel

Martin Mosebach, bekannt für seine Liebe zur Kunst des 19. Jahrhunderts, nutzt als spiegelbildliches Gegenüber das Stillleben „Tote Feldtaube und Wildente“ des 1902 verstorbenen Frankfurter Künstlers Otto Schloderer. Das Bild zeigt zwei an Schnüren herabhängende schwere Geflügelkörper. Marjorie, der Kunst nichts bedeutet, will das Stillleben verkaufen, um mit dem Erlös die Dachsanierung zu finanzieren. Dalandt möchte das Gemälde unbedingt behalten und kauft seiner Frau das Bild ab, ohne zu wissen, wie er das finanzieren soll.
Martin Mosebachs erbarmungsloser Blick fällt auf die fremd und kalt nebeneinander her lebenden Menschen, denen das Wort „Liebe“ fremd geworden oder immer fremd gewesen ist und die sich nehmen, was ihnen gefällt, die minderjährige Tochter, den Verwalter. Das Bild der toten Vögel wird zum Menetekel.

Sittenbild einer Klasse

Man muss Geduld für den passionierten, oft detailversessenen Erzähler aufbringen, doch auch wer nicht allen Finten und Verweisen von Äsop zu Goethe und den Lehren der Kunstgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts folgt, erkennt in diesem „Sittenbild“ die Verkommenheit einer besitzenden Gesellschaftsklasse.
In einem dramatischen und atemberaubend realistisch erzählten Schlussbild steckt Vergeltung, auch ein Gran Hoffnung.
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