Heike Geißler: "Die Woche"

Protest als Sprachshow

05:34 Minuten
Heike Geißler: „Die Woche“
© Suhrkamp

Heike Geißler

Die WocheSuhrkamp, Berlin 2022

312 Seiten

24,00 Euro

Von Helmut Böttiger · 11.03.2022
Audio herunterladen
Zwei "proletarische Prinzessinnen" kämpfen sich durch eine Gesellschaft am Abgrund in Heike Geißlers Roman "Die Woche". Doch deren Kritik an den gegenwärtigen Zuständen verliert sich im Sprachspiel und landet am Ende beim eigenen Bauchnabel.
Dieser Text hat den Charakter eines Manifests, mit kurzen, prägnanten Sätzen, die meist im Ton einer Verlautbarung daherkommen. Es gibt ein "Wir", das die Richtung angibt: "Wir sind dumm, doof und dämlich" lautet der erste Satz, und das zieht sich, wie in einem Langgedicht, so durch bis zum Schluss. Dieses "Wir" will offenkundig den Leser in seinen Sog hineinziehen. Ziel aller Schähreden sind die gegebenen Verhältnisse, denen man sich nicht gewachsen fühlt.

Panoptikum einer durchdrehenden Gesellschaft

Eine Handlung gibt es in diesem Roman nicht. Stattdessen sprechen zwei Frauenfiguren, eine Ich-Figur und eine Kampfgenossin namens Constanze. Sie sind das "Wir", im Künstlermilieu unterwegs und arrangieren stakkatoartig, in einem hämmernden Präsens, ihre Wahrnehmungen. Dabei ist weniger entscheidend, was sie sagen, als wie: in akademisch und avantgardistisch daherkommenden Sprachspielen.
Eine Atmosphäre und Haltung zur Welt, in der Contanze und die Ich-Erzählerin leben, wird trotzdem deutlich. Hier ist das Meiste zugrunde gerichtet: die Mitmenschen, die Supermärkte, die Playmobilmännchen, die Coachinggruppen und Kletterparadiese, aber natürlich auch die sprechenden Personen selbst. In dieses Panoptikum einer durchdrehenden Gesellschaft mischen sich unter anderem eine Nachbarin mit unruhigen Beinen, bedrohliche "Riesen" in einem Karussell gegenüber oder auch der Tod, der slapstickartig als Figur auftaucht.

Verdammen und Verlachen der Zustände

Constanze, die Doppelgängerin dieses Ichs, hat etwas vermeintlich Konstantes. Sie entwirft Seminare zu bestimmten Themen, die in den Textkaskaden mitgeschwommen sind. Sie heißen zum Beispiel "Der Vorzeichenwechsel" oder "Zum Battle der Strukturkonzepte". Es geht also um ein akademisch-kulturelles Milieu, das Funken aus seinen diskursiven Zuweisungen schlägt.
Das Verdammen und gleichzeitige Verlachen der gesellschaftlichen Zustände geschehen parallel. Von welcher Position dies ausgeht, ist nicht direkt erkennbar.

Weniger Politik als formales Spiel

Als Gegner werden zwar in rhythmischen Abständen die Neonazis im Osten, die Investoren und die Immobilienbesitzer genannt, aber das ist eher Spielmaterial. Die neonazistischen "Montagsdemonstrationen" sind in erster Linie Anlass für ein formales Spiel mit "Montagen" und dem durch sie durchkreuzten Wochenrhythmus. Es geht weniger um Politik als um Effekte und um selbstreferenzielle kulturelle Codes, zentral ist dabei eine ironische Vision vom "schönsten Roman der Welt".
Und so können sich auch Klagen darüber einstellen, dass die "Weine in meinen Händen immer teurer geworden sind". Ganz selbstverständlich blitzen in den Leipziger Alltag auch Szenen aus Rom, Paris oder New York hinein.

Fugenlos gestylte Sprache

Charakteristisch ist die Selbstcharakterisierung des Ichs samt Constanze als "proletarische Prinzessinnen": Nicht nur, weil die PR in "proletarisch" und "Prinzessinnen" so einen schönen Stabreim bilden, sondern auch, weil alles von einem merkwürdig quasi-adligen Selbstbewusstsein durchdrungen scheint.
Den Verkündigungen dieses Textes geht es vor allem um ihre fugenlose, gestylte Sprache, die unbeirrbar bleibt und sich als "Show" oder "Revue" selbst zu feiern versteht. Diese Sprache dichtet alles ab. Außerhalb der sich selbst ermächtigenden Manifestschreiberin entsteht kein Raum.
Vorlesen lässt sich das sehr gut, es ist eine Performance. Wirklich originell sind die Sentenzen aber eher selten: Narzissmus für Fortgeschrittene.
Mehr zum Thema