"Marat/Sade" in Bochum

Spiel gegen die schnellen Zuschreibungen

07:02 Minuten
Eine Frau mit roten Haaren, stark geschminkt und ein junger Mann mit Mirko sitzen auf einer bunten Bühne.
In dem Stück "Marat/Sade" in Bochum stehen auch Menschen mit Behinderung auf der Bühne. © Schauspielhaus Bochum / Florian Krauß
Christiane Enkeler im Gespräch mit Sigrid Brinkmann · 29.06.2019
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Menschen mit geistiger und körperlicher Behinderung stehen in "Marat/Sade" im Schauspielhaus Bochum auf der Bühne. "In was für einer Gesellschaft wollen wir leben?" sei die Frage, die man sich am Ende stelle, sagt Kritikerin Christiane Enkeler.
Dass Menschen mit Behinderung auf der Bühne stehen, sei konsequent, da das Stück in einer Nervenheilanstalt spiele, sagt Manuel Gerst von der Performance-Gruppe "Monster Truck", die diesen Abend in Bochum inszeniert. "Irrsinn" heißt das Projekt, bei dem das Schauspielhaus Bochum mit dem von Regisseur Milo Rau geleiteten NT Gent zusammenarbeitet.
Entstanden ist dabei eine eigene Version von Peter Weiss' "Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats, dargestellt durch die Schauspielgruppe des Hospizes zu Charenton unter Anleitung des Herrn de Sade". Ein berühmtes doppelbödiges Stück über die Abgründe der Französischen Revolution, erzählt als Theater im Theater in einer psychiatrischen Anstalt.

Vorstellung jedes Ensemblemitglieds

Dramaturgisch sei mit den Behinderungen der Protagonisten gut umgegangen worden, findet die Theaterkritikerin Christiane Enkeler:
"Jedes einzelne Ensemblemitglied wird kurz mit seiner Biografie vorgestellt, das ist ein Text über der Bühne. Und da ist die ganze Bandbreite vertreten: Autismus, Down Syndrom, Diabetes, Angst- und Zwangsvorstellungen." Es sei bewusst mit diesen Zuschreibungen gespielt worden: "Und es geht schon darum, wie schnell wir jemanden in eine Schublade stecken."
Roswitha Kons, Dasniya Sommer, Rolf Fey (vorne), Nicole Schnippenkötter, Lukas von der Lühe, Andreas Stebner, Jörg Eiben, Lino Reifferscheidt (v. li.)
Szene aus der Inszenierung "Marat/Sade" in Bochum.© Schauspielhaus Bochum / Florian Krauß
Nicht überzeugt habe der Effekt der verfremdeten Stimmen, der häufiger eingesetzt worden sei: "Da muss man sich sehr dran gewöhnen. Es ist auch nicht immer so gut zu verstehen." Auch habe nicht alles dramaturgisch perfekt funktioniert:
"Ich glaube, dass deren dramaturgisches Rezept teilweise auch nicht ganz aufgegangen ist, weil sie das Stück sehr deutlich in zwei Teile teilen. Einmal den Marat, der den Sozialismus und Gleichheit vertritt, und dann den Sade, der einen ganz radikalen Individualismus vertritt. Ehrlich gesagt, wenn ich das nicht gelesen hätte, hätte ich das so nicht gemerkt."
Am Ende ist Enkeler tiefenentspannt aus dem Theater gekommen: "Ich habe nicht so viel Philosophie mitgenommen, aber schon die Frage: In was für einer Gesellschaft wollen wir leben?"

"Marat / Sade"
Text: Nach Peter Weiss
Regie, Bühne, Kostüm: Monster Truck
Schauspielhaus Bochum, in Koproduktion mit Monster Truck und dem NT Gent.

(nho)
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