Madeleine Peyroux - "Anthem"

"Ich begreife Jazz als ein politisches Medium"

Die anerikanische Sängerin Madeleine Peyroux 2005 auf einem Konzert in Nancy.
Die anerikanische Sängerin Madeleine Peyroux 2005 auf einem Konzert in Nancy. © AFP
Von Eric Leimann · 04.09.2018
Madeleine Peyroux Album "Anthem" ist eine Bestandsaufnahme der amerikanischen Wirklichkeit. Jazz ist für sie nicht nur eine musikalische Herangehensweise, sondern auch ein politisches Medium in Kontext der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung.
"There’s a crack in everything, that’s how the light get’s in", singt Madeleine Peyroux im Leonard Cohen-Song "Anthem" von 1992. Wunderbar doppelbödig beschreibt dieser die Dialektik des Schönen und Schmerzhaften in unser aller Leben. "Anthem" ist nicht nur ein Cohen-Coversong auf Peyroux’ neuem Album. Nein, sie hat gleich das ganze Werk danach benannt. Geschrieben wurden die 13 Stücke in der heißen Phase der amerikanischen Präsidentschaftswahlen im Herbst 2016.
"Ich suchte nach Liedern, die davon erzählen, wie man heute mit dem Leben auf dieser Welt umgehen soll. Lieder über Armut, Immigration, innere Konflikte, seelische Krankheit. Wir nahmen eine sehr fröhliche, positiv klingende Platte auf, während wir sehr viel über all diese schlimmen Dinge sprachen und diskutierten. Im Prinzip war es das, was ich erreichen wollte."
So funky kann die Enttäuschung klingen. Im Stück "Brand New Deal", das an die Groove-Eleganz von Steely Dan oder auch Sade erinnert, singt Madeleine Peyroux von einer großen Enttäuschung namens Amerika. Davon, dass es im Land der Freiheit eigentlich nur noch heißt: jeder gegen jeden. Zum verführerischen Edelsound ihres Stammproduzenten Larry Klein, Ex-Ehemann von Joni Mitchell, singt die 44-Jährige lyrisch feingliedrig von einer Welt auf der Flucht, von Drogenwracks und den Selbsttäuschungen des immer ach so fröhlichen Amerikas.

Blues mit "postmoderner Coolness"

Dass man bei dieser Themenschwere irgendwann auch beim Blues landet, liegt nahe. Madeleine Peyroux, der die Los Angeles Times einmal sehr treffend eine "postmoderne Coolness" attestierte, schafft es seit ihrem ersten Album 1996 immer wieder, alte amerikanische Musik verblüffend neu klingen zu lassen. Mit 22 Jahren machte die in den Südstaaten geborene und teilweise in Frankreich aufgewachsene Musikerin ihr erstes Album - schon damals wurde ihre ungeheuer ausdrucksstarke Stimme gefeiert.
"Das Singen und deine Stimme kommen aus einem Wissen über dich selbst. Aber das Wissen über die Welt da draußen muss trotzdem mitschwingen. Manchmal bin ich es, die da singt, manchmal bin ich es nicht. Wenn ich über Liebe singe, kann ich nur über meine eigenen Erfahrungen mit Liebe singen. Sie ist zu groß und zu kompliziert - für mich. Trotzdem benutze ich meine Empathie anderen Menschen gegenüber, um über Liebe zu singen."
"All meine Helden sahen sich selbst als Versager" (All My Heroes Were Failures in Their Eyes), singt Madeleine Peyroux im Stück "All My Heroes" und macht damit einmal mehr deutlich, auf welcher Seite ihre Lieder stehen. "Anthem" ist voll mit Hymnen für Außenseiter, Sensible und Gefallene. Verpackt in gut abgehangene, konservative Musikstile und einen Sound, der auch Audiophile und Hifi-Tester begeistern dürfte. Nur - ist das alles auch noch Jazz? Jenes Genre, zu dem man Madeleine Peyroux mit ihren Alben seit 22 Jahren irgendwie dann doch sortiert?
"Wir brauchen eine neue Definition des Wortes Jazz. Es ist ein schreckliches Wort in der englischen Sprache. Jazz ist für mich eher eine Art und Weise, wie ich an jegliche Musik herangehe und sie entdecken will. Ich begreife Jazz als ein politisches Medium unserer Kulturgeschichte. Natürlich auch als ein Stück Musikgeschichte. Jazz war Teil der Bürgerrechtsbewegung, die das gesamte 20. Jahrhundert prägte. Musik wird sich weiter entwickeln, weil die Menschen sich gegenseitig Dinge sagen müssen, auch sozial betrachtet. Aber bin ich eine Jazzsängerin oder eine Jazz-Songwriterin? Nein, ich bin – wahrscheinlich – nur eine Popmusikerin."
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