Neue Bündnisse zwischen Jazz und Pop

Woher kommt das Pop-Interesse am Jazz?

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Steht bei Popfans hoch im Kurs: Der US-Jazzsaxofonist Kamasi Washington. © imago stock&people
Wolf Kampmann im Gespräch mit Mathias Mauerberger · 23.07.2018
Jazz und Pop - spätestens seit dem Erfolg von Kamasi Washington, der insbesondere auch in Popkreisen gehört wird, ist das eine neue, alte Liebesgeschichte. Wolf Kampmann erklärt die Hintergründe des Trends.
Mathias Mauersberger: Am 29.6. verkündete das in Seattle beheimatete Label Sub Pop, dass es die Preservation Hall Jazz Band gesignt hätte. An sich keine Sensation, wenn nicht Sub Pop das Label wäre, das einst Bands wie Nirvana, Soundgarden und Mudhoney großgemacht hätte und dessen Name als Synonym für den Grunge gilt.

Sub Pop ist nicht das einzige Pop-Label, das sich neuerdings auf Jazz kapriziert. Verbirgt sich dahinter ein Zufall oder verdichtet sich da ein neuer Trend?

Die Grenzen weichen auf

Wolf Kampmann: Es ist in der Tat so, dass es in jüngerer Zeit immer mehr Pop-Labels gibt, die Jazzkünstler in ihr Programm aufnehmen. Das ist überraschend, passt aber in eine Zeit, in der Genregrenzen immer weiter aufweichen. Wir dürfen dabei aber nicht übersehen, dass es sich bei Labels um Wirtschaftsunternehmen handelt, die unter Erfolgszwang stehen. Aus Menschen, die aus Idealismus ein Label gründen, werden ganz schnell Geschäftsleute, die unter einem ökonomischen Druck stehen. Der Markt wird immer enger. Es geht darum, immer neue Nischen aufzustoßen. Der Jazz ist natürlich weit mehr als eine Nische, aber für die Klientel der meisten Poplabels ist er immer noch ein Außenseiterthema.
Mauersberger: Aber waren Pop und Jazz nicht schon immer innige Verbündete?
Wolf Kampmann: Pop und Jazz haben sich schon immer gegenseitig beeinflusst, und in der Swing Ära war das Beste im Pop zugleich das Beste im Jazz. Ähnliches könnte man vom HipHop auch behaupten. Im Marketing wurden beide Bereiche jedoch immer weit auseinander gehalten. Lediglich in den 1990er Jahren gab es eine kurze Tendenz von amerikanischen Punk-Labels wie Thirsty Ear, SST und Homestead, die sich speziell auf die Free Jazz Renaissance kaprizierten.
Sie behandelten die Jazz-Veröffentlichungen aber immer etwas verschämt und legten nicht viel Wert auf das Marketing. Es geht nicht um den Jazz als solchen, auch nicht darum, mit dem eigenen Programm ins Jazzlager vorzudringen, sondern um den Jazz – mag er auch noch so autark sein – in der Wahrnehmung durch die Popwelt.

Der Trend blieb lange unter dem Radar

Mauersberger: Jetzt gibt es wieder Pop-Labels, die sich für Jazz interessieren. Was ist an diesem neuen Phänomen anders?
Kampmann: Dieser Trend ist relativ neu und hat sich erst einmal unterhalb des Radars der Öffentlichkeit abgespielt. Ausgerechnet einige der angesagtesten Pop-Lanels schmücken ihren Katalog mit Jazz-Künstlern. Erstaunlicher Weise handelt es sich auch diesmal nicht um gut verkäuflichen Popjazz oder glatt gebügelte Fusion, sondern um sperrige Außenseiterthemen.
Aber das passt in einen generellen Trend. Immer weniger Labels wollen sich auf einen bestimmten Stil festlegen. Viele Labels wenden sich an breit aufgestellte Hörer, die sich vom Label ihres Vertrauens in verschiedene Richtungen führen lassen. In der Regel sind es gut aufgestellte Independent Labels, die zur Not auch mal einen Flop verkraften können. Neu ist, dass im Marketing kein Unterschied zwischen den einzelnen Sparten gemacht wird. Die Jazz-Themen werden mit der gleichen Power vermarktet und promotet wie die Pop-Themen. Und die Rechnung geht auf.

Flying Lotus war der Pionier

Mauersberger: Wann und wie begann denn dieses unerwartete Interesse von Poplabels am Jazz?
Kampmann: Den Anfang machte der Elektronik-Producer Flying Lotus, selbst ein Nachfahre der Coltrane-Familie. Er machte auf seinem Label Brainfeeder nicht nur Kamasi Washington zum genreübergreifenden Star, sondern hat auch so sperrige Grenzgänger zwischen programmierter Musik und Free Jazz wie den Holländer Jameszoo im Programm.
Kamasi Washington wechselte von Brainfeeder zum noch besser aufgestellten Electro-Label Young Turks, das mit Künstlern wie The XX, FKA Twigs oder Sampha Erfolge feiert. Die zwischen Loftjazz und Downtown Avantgarde changierende Band Onyx Collective aus New York kam auf dem Londoner HipHop-Label Big Dada unter, das sonst für Acts wie Roots Manuva, Wiley, Busdriver oder Kate Tempest steht.

Mauersberger: Um welche Art von Labels handelt es sich dabei?
Kampmann: Bis vor wenigen Wochen hätte ich noch behauptet, es handelt sich dabei in erster Linie um Labels aus der HipHop- und Elektronik-Szene, aber die eingangserwähnte Ankündigung von Sub Pop belehrt uns eines besseren. Sub Pop war das Label, das vor fast drei Jahrzehnten Grunge-Bands wie Nirvana oder Mudhiney groß gemacht hat.

Wir stehen ja gerade erst am Anfang dieses Phänomens, und Sub Pop ist der Beweis dafür, dass sich ganz unterschiedlich aufgestellte Labels in der Beschäftigung mit dem Jazz eine Chance ausrechnen. Insofern würde ich sagen, unabhängig von der inhaltlichen Ausrichtung handelt es sich dabei um Labels, die nicht nur ihren Bestand verwalten, sondern sich Optionen in die Zukunft sichern wollen.

Bloß Politur des Labelkatalogs?

Mauersberger: Worum geht es diesen Labels nun? Geht es darum, Grenzen aufzulösen, Außenseitern eine Chance zu geben und damit auf einen exklusiven Hippness-Faktor zu setzen?
Kampmann: Mit etwas Zynismus könnte man betreffenden Labels unterstellen, dem eigenen Katalog durch Schmuddelkinder aus dem Jazz mehr Glanz zu verleihen und die eigene Arbeit in den Ruf der Risikofreude und Bodenhaftung zu setzen. Aber die Hartnäckigkeit, mit der sie diese Projekte auf den Markt pushen, und der Erfolg, den sie damit einfahren, würden dieser Behauptung widersprechen.
Ich glaube, es geht dabei um etwas ganz anderes. Zunächst einmal mögen unterschiedliche Labels unterschiedliche Interessen verfolgen. Aber ein Label ist heute etwas anderes als noch vor zehn Jahren. Man verdient weitaus weniger Geld mit dem Verkauf von Tonträgern als das noch vor wenigen Jahren der Fall war. Musik ist eher Teil eines Gesamtpakets. Die Zeiten werden immer schnelllebiger, was heute unter Vertrag genommen und produziert wird, kann morgen schon veraltet sein. Insofern geht es darum, als Influencer ein ganzes Bündel von Trends vorzugeben, ein Höchstmaß an Glaubwürdigkeit zu erlangen und – vielleicht am wichtigsten – Identität zu stiften. Es geht um Meinungsführerschaft.

Unterschiedliche Regeln in Pop und Jazz

Mauersberger: Wie geht es den Jazzkünstlern damit selbst?
Kampmann: Darauf gibt es eine kurzfristige und eine langfristige Antwort. Der völlig unerwartete Erfolg von Kamasi Washington zeigt, dass die Jazz-Szene zunächst einmal sehr misstrauisch reagiert. Im Jazz herrschen gewisse Spielregeln, vorgegeben von Labels, Agenturen und Festivals.

Im Pop herrschen andere Bedingungen. Es heißt zwar in der Jazzszene immer, man müsste vom Pop lernen, aber wenn das dann tatsächlich mal jemand macht, gerät er schnell in den Ruch der Kommerzialität. Das mag zwar durch Washingtons Musik in keiner Weise gestützt werden, aber das ist egal, denn er ist für ein Publikum attraktiv, das sich sonst nur wenig für Jazz interessiert.

Die Hip-Hop-Fans der 90er sind die Jazzkenner von heute

Obwohl Washington eine große Öffentlichkeit garantiert, ist er von einigen deutschen Jazzmedien komplett ignoriert worden. Das hat sicher etwas mit deren Klientel zu tun. Andererseits besteht eine große Chance in diesem Trend. Erinnern wir uns an die 1990er Jahre. Als HipHop-Künstler begannen, ausgiebig Jazzalben zu samplen, begann sich ein Teil des Clubpublikums für historische Jazzaufnahmen zu interessieren.
Das führte nicht zuletzt zur Wiederbelebung des Labels Blue Note. Viele dieser ehemaligen HipHop-Fans sind heute ausgewiesene Jazzkenner. Viele Hörer, die heute Kamasi Washington, Thundercat, das Onyx Collective oder Kamaal Williams hören, tun das nicht in der Absicht, bewusst Jazz zu hören. Es ist ja nicht nur in Deutschland so, dass dem Jazz das Publikum wegläuft.
Aber die Fans von Kamasi Washington und Thundercat sind die Jazzhörer der Zukunft. Erste Auswirkungen sind schon zu sehen. Das junge britische Jazz-Label Black Focus, das den Jazz-Keyboarder Kamaal Williams vertritt, tritt von vornherein als Pop-Label an und erreicht somit seine Hörer. Das lässt für die Zukunft hoffen.
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